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Die Rote Armee: letzte Offensiven

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Von der Verteidigung Moskaus bis zu den Siegen von Stalingrad und Koursk, von Smolensk bis zum Schwarzen Meer, von der Weichsel bis zur Oder und bis zum Einzug in Berlin…. der große patriotische Krieg, den die rote Armee führt, besiegelt das Schicksal des Dritten Reichs und bedeutet das Entstehen einer neuen Supermacht.

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Die Suche nach der „entscheidenden Schlacht“, der „Wende“, ist eine Marotte der Historiker und Ursprung endloser Debatten. Ohne sich darauf einzulassen, kann man sich mindestens zweier Dinge sicher sein: Hitler hat den Krieg schon lange vor 1945 verloren; seinem wichtigsten militärischen Element, dem Heer, wurde von der Roten Armee das Rückgrat gebrochen: auf ihre Kosten gehen 4 der 5,3 Millionen der im Zweiten Weltkrieg getöteten deutschen Soldaten. Doch selbst wenn der Ausgang des Krieges schon vorher besiegelt war, so verdienen die letzten Offensiven der Roten Armee doch eine nähere Betrachtung hinsichtlich ihrer militärischen und politischen Bedeutung. Die sowjetische Geschichtsschreibung unterscheidet acht verschiedene Operationen in den ersten fünf Monaten des Jahres 1945. Alle werden von der Gesamtheit oder einem Teil von zwei oder drei Fronten ausgeführt, die sich aus operativ autonomen bewaffneten Gruppierungen zusammensetzen, die über ihre eigenen Luftstreitkräfte verfügen und jeweils aus

zwischen 270.000 bis zu fast 1,1 Millionen Männern (1. Ukrainefront) bestehen. Insgesamt umfassen die acht betroffenen Fronten fast 5 Millionen Männer, ungefähr 60 Infanteriearmeen, 6 vollständig motorisierte Panzerarmeen, ein Dutzend Luftarmeen, sowie polnische, tschechische, rumänische und bulgarische Einheiten. Die Kräfteverhältnisse sind in der Regel in der Größenordnung von 3 zu 1 für die Infanterie, 6 zu 1 für die Panzer und mehr als 10 zu 1 für Luftwaffe und Artillerie.

Zwei Gruppen von Operationen verdienen Aufmerksamkeit. Die erste verbindet die Operation Weichsel-Oder, die die Weichsel in Richtung Berlin und Schlesien trifft, mit Flügeloperationen im Norden (Ostpreußen und Ostpommern) und im Süden (Operation Westkarpaten). Diese gigantischen Zusammenstöße finden vom 12. Januar bis zum 25. April 1945 statt.

Die Resultate sind beeindruckend. Auf militärischem Niveau gelingt ihnen die Vernichtung von 100% der Gruppe Zentraldeutschland und 50% der Armeegruppe A. Die menschlichen und materiellen Verluste sind so erheblich, dass Hitler Nachschub von allen anderen Fronten abziehen muss, um seine Streitkräfte gegen die Rote Armee neu zu formieren. Vom 16. Januar bis zum 20. Februar 1945 rücken aus Norwegen, Italien, der Kurischen Nehrung und von den westlichen Grenzen 33 Divisionen an. Im Februar gehen fast alle in den Fabriken gefertigten schweren Waffen in den Osten: 1.550 Sturmgeschütze gegenüber 67 an der Westfront, 3.166 neue Panzer gegenüber 513. Die erste offensichtliche Folge ist, dass diese sowjetischen Offensiven, weit vor allen anderen Gründen, die Erfolge der Alliierten im Februar und März in ihrem Vorrücken zum Rhein erklären. Die zweite Konsequenz, ausschlaggebend für die Nachkriegszeit, ist die Kontrolle Stalins über 100% Polens und 25% Deutschlands ab März 1945.

Die andere bedeutende sowjetische Offensive betrifft Ungarn. Die 2. und 3. Ukrainefront führen dort zwei Operationen aus, die von Budapest zwischen dem 29. Oktober 1944 und dem 13. Februar 1945, dann die von Wien zwischen dem 16. März und dem 15. April 1945, welche Hitler dazu veranlassen, seine letzten SS- Panzereinheiten in die ungarische Tiefebene zu entsenden, in der Hoffnung, sich die ungarischen und österreichischen Treibstoffvorräte zu sichern. Diese Streitkräfte fehlen vor Berlin und ihm Ruhrgebiet, und sie können nicht verhindern, dass Stalin die Kontrolle von 100% Ungarns und 75% Österreichs übernimmt.

Die letzten beiden sowjetischen Operationen in Europa visieren schließlich Berlin (16. April – 8. Mai) und Prag (6. – 11. Mai 1945) an. Sie führen die Rote Armee ins Herz Deutschlands, an die Elbe, und verschaffen ihr die Kontrolle über die Tschechoslowakei, nachdem die amerikanischen Truppen aus Thüringen und Ostböhmen entsprechend der zuvor getroffenen Abkommen abgezogen sind. Insofern stellen die letzten Offensiven der Roten Armee direkt - auf Grund ihrer Übermacht – und indirekt - indem sie das Eindringen der westlichen Armeen in Deutschland und Norditalien erleichtern – den Hauptfaktor der Gestaltung der Nachkriegszeit dar.


Auteur
Jean Lopez - Historiker, Herausgeber der Zeitschrift Guerres & Histoire

Mehr kennen

Berlin. Les offensives finales de l'Armée rouge : Vistule-Oder-Elbe, Jean Lopez, Economica, 2009.

Les cent derniers jours d'Hitler, Jean Lopez, Perrin, 2015.

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