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Gedenken durch Sport

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Zwei junge Spieler führen den Kick-off bei einem Spiel der Top 14 durch, an der Seite des Militärgouverneurs von Paris, General Charpentier, 30. November 2014. © Rugby-Liga der Ile-de-France

Anlässlich der Hundertjahrfeier des Ersten Weltkriegs stellten der Präsident des Département-Ausschusses für Rugby von Paris, Jean-Louis Biasin, und der stellvertretende Präsident der Rugby-Liga der Île-de-France, Peter Macnaughton, das Tournoi des Capitales unter das Motto der Gedenkarbeit, um die jugendlichen Sportler für das gemeinsame Gedenken von Frankreich und den früheren alliierten sowie gegnerischen Nationen zu sensibilisieren.

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Was ist das Tournoi des Capitales?

Warum stand es in den letzten Jahren unter dem Motto des Gedenkens?

Jean-Louis Biasin: Das Tournoi des Capitales ist ein internationales 7er-Rugby-Turnier für Jugendliche, das 2006 im Rahmen der Rugby-Weltmeisterschaft 2007 gegründet wurde. Alle zwei Jahre kommen hier in Paris einige der besten Jungen- und Mädchen-Mannschaften der Welt zusammen. Neben den sportlichen Herausforderungen hat das Turnier auch einen ausgeprägten erzieherischen Charakter, denn es ermöglicht Jugendlichen unterschiedlicher sozialer und geografischer Herkunft, sich drei Tage lang unter Einhaltung der universellen Werte des Rugby zu treffen und auszutauschen - diese sind: Respekt, Solidarität, Toleranz und Mut.

Jean-Louis Biasin

Jean-Louis Biasin. © DR

 

Für jede Ausgabe des Turniers wird ein gesellschaftliches Thema ausgewählt und so haben wir uns 2015 für das Gedenken des Ersten Weltkriegs entschieden, um die in diesem Konflikt gefallenen Rugbyspieler zu würdigen. Unsere 250 jungen Spieler nahmen an der Militärschule an einem Vortrag über Sportler (darunter 121 Rugbyspieler) teil, die 1914-18 gefallen sind. Besonders wurden zwei von ihnen erwähnt, die den beiden Turnierstadien ihren Namen gaben: Georges Carpentier, Boxer und Rugbyspieler, und Jean Bouin, Weltrekord-Läufer.

2017 haben wir das Gedenkthema erneut gewählt, um besonders jene Soldaten zu ehren, die von anderen Kontinenten kamen, um in Europa zu kämpfen. So entzündete die Mannschaft des Clubs von Manly aus einem Vorort von Sydney die Flamme des unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen, bevor sie sich im Département Somme an die Gräber von zwanzig Spielern ihres Clubs begab, die in den Kämpfen gefallen waren.

Hat der Sport auch die Aufgabe, das Gedenken zu vermitteln und ermöglichte er, die Jugendlichen mehr für die Gedenkfeiern zu interessieren?

Peter Macnaughton: Die Gedenkhandlung ist in den von Jean-Louis genannten Werten des Rugby verankert. Als einziger Sport, der in einer Schule entstanden ist, muss das Rugby seine erzieherische Aufgabe der Vermittlung des Gedenkens wahrnehmen, indem es Vergangenheit und Gegenwart auf einfache Weise verbindet. Diese muss für Jugendliche, die von den Geschichtestunden in der Schule nicht unbedingt begeistert sind, zugänglich sein!

In diesem Geiste haben wir uns 2014 mit der Direktion für Kulturerbe, Erinnerung und Archive des Verteidigungsministeriums und dem Ausschuss für die Hundertjahrfeier zusammengetan, um ein Wochenende für die jungen Spieler der beiden historischen Clubs von Brive und Paris zu organisieren. Auf Einladung von Pierre Camou, Präsident des französischen Rugby-Verbandes, trainierten wir im nationalen Rugby-Zentrum, legten Kränze zu Ehren der Toten des Ersten Weltkriegs nieder und besuchten anschließend das Armeemuseum. Am Abend, als sich der Vorhang zum Match der Top 14 im Stadion Jean Bouin hob, trugen unsere Spieler die damaligen Trikots mit „geschnürtem Kragen“. Vor dem Match legten zwei kleine Kinder jeder Pariser Rugby-Schule symbolisch einen Rugby-Ball vor der im Gedenken an Jean Bouin aufgestellten Tafel nieder.

 

Peter Macnaughton

Peter Macnaughton. © DR

 

Ihre Veranstaltungen haben eine höchst internationale Dimension. Wie kann der Sport ein Vermittler des gemeinsamen Gedenkens zwischen den Nationen sein?

Peter Macnaughton: Das Gedenken ist eine menschliche und natürliche Handlung, die in allen Ländern der Welt praktiziert wird. Diesen edlen Akt gemeinsam mit anderen Völkern zu setzen ist wichtig, aber weniger natürlich, denn jedes Land besitzt klarerweise aus geschichtlichen, temperamentbedingten und kulturellen Gründen seine eigene Art des Gedenkens. Rugby kann ein Vermittler der Gemeinsamkeit sein, weil es durch seine gemeinsame Sprache nicht nur die sprachliche Barriere überwindet, sondern auch vor allem deshalb, weil es ein Kampfsport ist, bei dem am Feld zwei Halbzeiten lang erbittert gekämpft wird und am Ende überall auf der Welt der gemeinsame Moment der Geselligkeit steht, den wir die 3. Halbzeit nennen!

Ein konkretes Beispiel: kürzlich, im Oktober 2019 empfing unsere Liga die deutschen Nationalmannschaften (U18 und U16) zu einem Praktikum in Paris, in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, einer Organisation, die von den beiden Staaten 1963 gegründet wurde, um die Beziehungen zwischen ihren jeweiligen Jugendlichen auszubauen. Die deutschen Jugendlichen und ihre Kollegen aus der Île-de-France verbrachten gemeinsam fünf Tage auf dem Feld und abseits davon, in denen es um ihre gemeinsame Leidenschaft für den ovalen Ball ging.

Ist Ihr Ansatz mit der Mobilisierung der sportlichen Werte zu Gedenkzwecken eine Art, unsere Gedenkpraktiken zu hinterfragen und zu zeigen, dass man auch anders gedenken kann?

Peter Macnaughton: Ich denke schon. Es bleibt heute wie morgen eine unverrückbare und unbestreitbare Pflicht, das Gedenken an unsere Vorfahren zu ehren, die vor 20, 50 oder 100 Jahren auf dem Schlachtfeld gefallen sind. In der Zwischenzeit entwickelt sich die Gesellschaft ständig weiter, daher müssen sich auch die Gedenkpraktiken weiterentwickeln, um für alle relevant und zugänglich zu sein.

 

Rencontre France/Allemagne, 26 octobre 2019 © Ligue Ile de France de Rugby

Match Frankreich/Deutschland, 26. Oktober 2019 © Rugby-Liga der Ile-de-France

 

Ich bin 1955 geboren, knapp 10 Jahre nach Kriegsende. Mein Vater hatte mit 21 Jahren sein Studium abgebrochen, um in Nordafrika gegen Hitler zu kämpfen, und meine Mutter war Krankenschwester, die mit 18 Jahren Schwerverwundete in einem britischen Krankenhaus pflegte. Jede Familie in unserem schottischen Dorf hatte in den Jahren 1939-1945 Mitglieder verloren: für meine Nachkriegsgeneration waren das Gedenken und die Andacht 10 oder 20 Jahre später instinktive, alltägliche Reflexe. Sie drückten sich eher formell aus, denn sie waren Bräuche aus einer Zeit, die wirtschaftlich hart war.

Aber heute, 75 Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten, hatte eine große Mehrheit der jungen Europäer, wie meine eigenen Kinder, das unglaubliche Glück, dank ihrer Großeltern in einem friedlichen Europa aufzuwachsen. Sie verstehen sehr gut, warum es wichtig ist, diejenigen zu ehren, die für diesen Frieden gekämpft haben, aber ihr instinktives Gedenken ist anders, vielleicht weniger formell, und der Sport kann ihnen mit seinen Werten und Traditionen, mit denen sie sich leichter identifizieren können, tatsächlich eine andere Art des Gedenkens anbieten.

Wird die Gedenkfunktion nach Ihrem Engagement für das Gedenken an den Ersten Weltkrieg in Ihren künftigen Projekten weiterleben?

Ist eine bestimmte Aktivität für die Olympischen Spiele 2024 geplant?

Jean-Louis Biasin: Ja, für die Olympischen Spiele 2024 in Paris wird es sicherlich Aktivitäten geben, die gemeinsam mit der Pariser Stadtverwaltung und der Region Île-de-France durchgeführt werden, aber vergessen wir nicht ein anderes, wichtiges Ereignis ein Jahr zuvor: die Rugby-Weltmeisterschaft 2023. Der französische Veranstalter hat bereits einen Stiftungsfonds gegründet, der von Jean-Pierre Rives geleitet wird, um die Schirmherrschaft für Projekte zu übernehmen, welche die erzieherischen Werte des Rugby fördern. Wir halten ein großes Schulprojekt, das Rugby und das Gedenken rund um das Tournoi des Capitales 2023 verbindet, für ein Muss und arbeiten bereits daran!

Gespräch mit Jean-Louis Biasin und Peter Macnaughton