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Der Struthof, ein deutsch-französischer Ort

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Gemälde aus dem Projekt „Fraternité" (2018). © CERD-Struthof

Als erste transnationale Stätte, die das Label des europäischen Kulturerbes erhielt, dürfte der Struthof der deutsch-französische Erinnerungsort schlechthin sein. Zahlreiche pädagogische Initiativen zeugen davon, doch bisher hat sich diese Stätte noch nicht als ein von Franzosen und Deutschen gemeinsam genutzter Gedenkort etabliert.

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Die ehrgeizigen Ziele des Centre Européen du Résistant Déporté (CERD), das auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof eingerichtet wurde, sind Teil eines zunehmend stärker werdenden Bestrebens, unsere deutschen Nachbarn und Partner einzubeziehen. Es sei daran erinnert, dass rund 50 Nebenlager, die meisten davon auf der anderen Seite des Rheins, an dieses Stammlager angeschlossen waren.

Die Verleihung des Europäischen Kulturerbe-Siegels im Jahr 2018, ein Projekt, das vom CERD und dem Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler (VGKN) gemeinsam geleitet wurde, war zweifellos ein Wendepunkt. Das Projekt ermöglichte eine Vielzahl von deutsch-französischen Initiativen, um Seite an Seite eine Erinnerung lebendig werden zu lassen, die bis dahin vielleicht zu sehr auf beide Seiten des Rheins beschränkt war, ohne dass es eine wirkliche Interaktion zwischen ihnen gab.

Auch das pädagogische Projekt „Photographier la mémoire", ein Wegbereiter der gemeinsamen Erinnerung zwischen deutschen und französischen Schülern, trug 2018 ebenso zu diesem neuen Aufschwung bei wie das Projekt „Fraternité", ein umfangreiches Kunstprogramm, bei dem 32 Künstler, 16 Franzosen und 16 Deutsche zusammenarbeiten, um großformatige Gemälde zu schaffen, die in Frankreich und Deutschland ausgestellt werden.

 

Fraternité 2018

Gemälde aus dem Projekt „Fraternité" (2018). © CERD-Struthof

 

Am 2. Juli 2019 besuchten 42 deutsche und französische Jugendliche aus dem Collège Guynemer in Montbéliard einerseits und dem Goethe Gymnasium in Ludwigsburg andererseits „Hand in Hand" das ehemalige Konzentrationslager.

In jüngerer Zeit boten die Einrichtung eines gemeinsamen Webportals (www.natzweiler.eu) und der Aufbau einer digitalen Datenbank durch ein deutsch-französisches Team über alle Deportierten im Lager die Gelegenheit, die verschiedenen und vielfältigen Informationsquellen zusammenzuführen und miteinander in Einklang zu bringen.

Mit mehr als 40.000 deutschen Besuchern pro Jahr, darunter 36.000 Schulklassen, bilden die Besuchergruppen von der anderen Seite des Rheins den harten Kern der ausländischen Gäste des Struthofs. Es müssen noch viele Anstrengungen unternommen werden, um diese besser zu erreichen und sie bei ihrem Gedenkprozess zu begleiten, auch wenn bereits Maßnahmen in dieser Richtung ergriffen wurden (deutsch-französische Lehrerfortbildung, Herausgabe - in beiden Sprachen - eines Handbuchs für Lehrer zum Besuch der Gedenkstätte). Diese Bemühungen erfordern zweifellos eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern und den Aufbau neuer Partnerschaften, um den Herausforderungen im Zusammenhang mit der Erinnerung gerecht zu werden, die sich angesichts des unaufhaltsamen Verlustes der letzten Überlebenden dieser Tragödie ankündigen.

Aber auch wenn die Aktionen oder Gedenkveranstaltungen des CERD ihren Ursprung zunehmend in einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit haben, wobei sein europäisches Engagement in Verbindung mit dem VGKN als treibende Kraft fungiert, muss diese Zusammenarbeit möglicherweise noch auf der Ebene des Gedenkens umgesetzt werden. Die großen Gedenkfeiern auf dem Struthof haben unseren deutschen Nachbarn bislang kaum Platz eingeräumt, weder auf der Ebene der Repräsentanz, die sich sehr oft auf den diplomatischen und Vereinssektor beschränkte, noch auf organisatorischer Ebene.

 

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Deutsch-österreichisch-polnischer Kranz - Zeremonie am 21. Mai 2021. © CERD-Struthof

 

Während fast alle Präsidenten der französischen Nachkriegsrepublik auf den Struthof kamen, um die offiziellen Gedenkfeiern durch ihre Anwesenheit zu würdigen, hat noch keiner der deutschen Bundeskanzler den Struthof besucht.

Die Suche nach neuen Formen des Gedenkens, die stärker mit der Bevölkerung im Allgemeinen und der jungen Generation im Besonderen in Verbindung stehen und von einem europäischen Ideal geleitet werden, stellt sicherlich eine historische Chance dar, unseren deutschen Partnern eine aktivere Rolle bei deren Inhalt und Ablauf zuzugestehen.

Sie in diesen Prozess einzubeziehen bedeutet auch, daran zu erinnern, dass die ersten Opfer des Nationalsozialismus und die ersten, die ins Lager deportiert wurden, die Deutschen selbst waren. Tatsächlich waren fast 3.700 von ihnen in Natzweiler registriert, ob als gewöhnliche Häftlinge, politische Widerständler, Asoziale, Juden, Homosexuelle, Zigeuner, Verweigerer der Wehrmacht oder Zeugen Jehovas, die das gleiche Schicksal erlitten wie die Deportierten der etwa 30 anderen Nationalitäten, die im KZ Natzweiler vertreten waren.

Auch wenn der Platz Deutschlands im Gedenkkonzept des Struthofs mittlerweile offensichtlich ist, muss er noch deutlicher herausgestellt werden, indem er bei zukünftigen Veranstaltungen konkreter zum Ausdruck gebracht wird. Es geht also darum, einen neuen Abschnitt im Bereich des Gedenkens zu durchlaufen.

 

Guillaume D’Andlau - Leiter des Europäischen Zentrums des deportierten Widerstandskämpfers - Struthof