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Hans Sommer, von der SD zur Stasi

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Erkennungsdienstliches Foto von Hans Sommer. © SHD

Der Wechsel von Hans Sommer von der SS zur Stasi, über die deutsche Armee und die SD, macht eines sehr deutlich: die deutschen Agenten waren äußerst gut ausgebildet. Als echte Profis des Geheimdienstes haben einige von ihnen ihr Wissen nach Kriegsende den Geheimdiensten zur Verfügung gestellt, die stets auf der Suche sind nach ”Talenten”, die sie einsetzen können.

Corps 1

Hans Sommer wird am 26. Juni 1914 in Nortorf, Schleswig-Holstein geboren. 1931 tritt er der Hitlerjugend bei. Im darauffolgenden Jahr beginnt er seine Arbeit im Import-/Exportunternehmen seines Onkels in Hamburg. Am 1. Dezember 1932 tritt er der SS und am 1. Februar 1933 der NSDAP bei. Er ist an der Universität Heidelberg für das Studium von Fremdsprachen eingeschrieben, mit Schwerpunkt Englisch, Französisch und Spanisch, was für seine Reisen nach Großbritannien, in die Schweiz und nach Schweden sehr zuträglich war.

Von der Armee zur SS

Der junge Student hat ein interessantes Profil. Er hat erste Kontakte zur SD, die in Universitätskreisen nach neuen Rekruten sucht. Im Oktober 1936 wird er zum Wehrdienst einberufen und dem Bataillon für Nachrichtenübermittlungen der 2. motorisierten Infanteriedivision in Pommern zugeteilt. Im Dezember wird er nach Halle versetzt, um sein Englischstudium fortzusetzen. Im Januar 1939 wird er als Leutnant der Reserve von seinen militärischen Pflichten entlassen, um dann im darauffolgenden August wieder einberufen zu werden. Er wird dann dem Bataillon für Nachrichtenübermittlungen des 8. Armeekorps in Breslau zugeteilt, mit dem er am Feldzug in Polen teilnimmt. Im März 1940 nimmt er erneut Kontakt auf zum SS-Hauptsturmführer Helmuth Loohs des politischen Geheimdienstes im Ausland der SD (SDAusland), den er in Heidelberg und Pasewalk kennengelernt hatte. Sommer wird entsprechend seines militärischen Grades als SS-Untersturmführer in die SD aufgenommen und erhält Ende Mai 1940 mit der Gruppe VI den Auftrag zur Intervention in Frankreich. Im Juni wird er mit einem Einsatzkommando der SD und auf Befehl von SS-Sturmbannführer Dr. Knochen nach Paris beordert.

Corps 2

Ein Experte für ”üble Streiche”

Sommer gründet schließlich eine Dependence, die sich im Wesentlichen mit englischen und amerikanischen Fragen beschäftigt. Unter seiner Befehlsgewalt arbeiten vier weitere Agenten. Zu ihnen zählen Keller und Stenger, zwei Benediktinermönche, die mit der Überwachung der Beziehungen zwischen dem hohen Klerus und dem Vatikan betraut sind, wie auch z. B. die des britischen Botschafters in Spanien, Sir Samuel Hoare, mit den Benediktinern des Klosters Montserrat, in der Nähe von Barcelona. Ein weiterer Agent, Reichl, ehemaliger Freimaurer, ist beauftragt, Informationen über die Beziehungen der französischen Logen mit ihren britischen und amerikanischen Gleichgesinnten zu sammeln. Der vierte im Bunde, Dr. Fischer, ehemaliger deutscher Emigrant, wird schnell nach Deutschland zurückgeschickt.

Im März 1941 nimmt Sommer, nach Vermittlung durch Keller, Kontakt auf mit Eugène Deloncle, ehemaliger Leiter der Cagoule und Parteichef der kollaboristischen MSR (Mouvement social révolutionnaire). In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober werden sieben Synagogen in Paris Ziel terroristischer Attentate, verübt von der MSR unter Einsatz von mit Sprengstoff beladenen Kanistern, die von Sommer organisiert worden waren. In einer vertraulichen Nachricht präzisiert Obersturmbannführer Dr. Knochen: ”Es steht nahezu fest, dass es sich bei den Attentätern um radikale und anti-jüdische Franzosen handelt, wie dies auch bereits bei der Explosion in der Synagoge von Marseille der Fall gewesen war, und die nun analog in Paris vorgegangen sind. Es handelt sich somit um eine rein französische Angelegenheit, deren Aufklärung Aufgabe der französischen Polizei ist”.

Sommer wird währenddessen von den Deutschen verhaftet. Er erhält eine symbolische Strafe von 10 Jahren Versagens von Aufstiegsmöglichkeiten und wird nach Berlin zurückgeschickt. Unter dem Pseudonym Herbert Senner wird er in Marseille als Generalkonsul eingesetzt und ist dort zuständig für die Überwachung der spanischen, italienischen und schweizerischen Grenze. Er ist in engem Kontakt zu Mitgliedern der Gruppe Collaboration sowie ehemaligen Mitgliedern der MSR und er ist häufiger Gast der Marseiller Unterwelt, wo er zahlreiche Informanten rekrutiert.

Von der SS zur Stasi

Unter dem Druck, Deutschland im August 1944 wiederzuerobern, wird er nach Italien abkommandiert. Zunächst in Mailand und später in San Remo kontrolliert er die Franzosen, bevor sich diese dem Widerstand anschließen. Im Mai 1945 kehrt er über die Berge zurück nach Frankreich. An der Küste von Brigue wird er verhaftet, wird aber am nächsten Morgen befreit und nach Nizza gebracht. Dort nimmt er Kontakt auf mit den französischen Nachrichtendiensten. Er wird nach Spanien geschickt und beim Grenzübertritt verhaftet und ins Lager von Miranda de Ebro gebracht. Durch Intervention des ehemaligen spanischen Konsuls in Marseille kommt er auf freien Fuß und gelangt nach Madrid, wo er seine Arbeit für die französischen Nachrichtendienste beginnt. Die amerikanische OSS verlangt jedoch seine Auslieferung und so wird er nach Deutschland zurückgebracht, in Dachau inhaftiert und dann wieder auf Aufforderung des Militärgerichts nach Frankreich überstellt. Er wird in Marseille inhaftiert, zu einem Jahr Freiheitsentzug verurteilt, jedoch unmittelbar danach bereits wieder entlassen. Zurück in Deutschland arbeitet er für die Organisation Gehlen und dann für den BND.

Die Überwachungsdienste verfolgen ihn bis in die 60er-Jahre. Schließlich erhält er eine Anstellung beim italienischen Waffenhersteller Isotta Frachetti. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet er jedoch bereits für die Geheimdienste Ostdeutschlands. Seine Stasi-Akte ist beeindruckend: über 22.000 Seiten.

François le Goarant de Tromelin

Forscher, Experte für Miliz und Besatzung

WEITERE INFORMATIONEN

Die vollständige Akte von Hans Sommer wird aufbewahrt unter dem Aktenzeichen GR 28 P 9 1468 und kann im Lesesaal eingesehen werden.

  • Rapport de la DGER sur l'affaire Hans Sommer (extrait), 26 mai 1945.
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