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1918, der Krieg ist zu Ende

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Zusammenfassung

    Zusammenfassung

    DATUM: Montag, 11. November 1918

    ORT: Lichtung von Rethondes, im Wald von Compiègne

    AUSGANG: Unterzeichnung des Waffenstillstands zum Ende des Ersten Weltkriegs

    TEILNEHMENDE LÄNDER: Frankreich, Großbritannien, Deutschland

    Mit dem Waffenstillstand am 11. November 1918 beginnen komplizierte Zeiten, in denen der Kriegsaustritt von vier Millionen Soldaten in Gang gebracht wird. Zunächst muss ihre Demobilisierung, das heißt ihre Heimkehr, organisiert werden. Manche, insbesondere Soldaten aus den Kolonialgebieten, warten bis Ende 1919 auf ihre Demobilisierung.

    Die Erfahrung der Demobilisierung nach dem Krieg von 1914–1918 ist außergewöhnlich wegen ihres Ausmaßes, aber auch wegen der vielfältigen Situationen der betroffenen Personen, die nicht nur aus Metropolitan-Frankreich, sondern auch aus Übersee, das heißt aus den ehemaligen Kolonien, stammen. Sie sind Soldaten, aber auch Arbeiter und Arbeiterinnen, die für die Kriegsführung eingestellt worden waren.

    Nach Verkündung des Waffenstillstandes Waffenstillstandes ist die Aussicht auf Heimkehr für vier Millionen Mobilisierte der französischen Armee (davon vielleicht 300.000 Soldaten aus den ehemaligen Kolonien) sicherlich der größte Grund zur Freude für die Soldaten und ihre Familien. Die Regierung ist sich dieser Sehnsucht bewusst. Aber bis zur endgültigen Unterzeichnung des Friedensabkommens Friedensabkommens, das dem geschlagenen Deutschland auferlegt wird, möchte sie eine starke Armee beibehalten. Doch zu dieser Unterzeichnung kommt es erst am 28. Juni 1919 mit dem Friedensvertrag von Versailles. Andere internationale Beunruhigungen (Mittel- und Osteuropa, Russland und der Nahe Osten) rufen zu Wachsamkeit auf.

    Ein demobilisierter Soldat probiert den sogenannten „Abrami“-Anzug an, Paris, Militärschule, 13. Februar 1919

    costume

    © © Joly/ECPAD/Verteidigung

     

    DIE DEMOBILISIERUNG ORGANISIEREN

    Die Entlassung der Soldaten ins Zivilleben verläuft also zeitlich gestaffelt, wobei den Älteren der Vorzug gegeben wird. Ab Ende November können somit die ältesten Männer (49–51 Jahre) heimkehren. Die Männer zwischen 32 und 48 Jahren werden von Dezember bis April ebenfalls nach Hause geschickt. Zu diesem Zeitpunkt sind die alliierten Machthaber besorgt über die von Deutschland geäußerten Vorbehalte hinsichtlich der als zu schwer eingeschätzten Bedingungen. Deshalb ziehen sie ganz klar einen militärischen Einsatz in Betracht, um die Besiegten zur Unterwerfung zu zwingen.

    Das Demobilisierungsverfahren wird also unterbrochen. Die Altersklasse, die die Reserve der aktiven Armee darstellt, das heißt Soldaten unter 32 Jahren, werden weiterhin bis Juli 1919 zum Wehrdienst verpflichtet. Zwar wurden bis dahin bereits eine Million Soldaten demobilisiert, dennoch zählt die französische Armee immer noch 2,5 Millionen bewaffnete Männer gegenüber mehr als vier Millionen am 11. November 1918. Schließlich geht die Demobilisierung weiter und wird bis September in vier Stufen unterteilt. Erst am 14. Oktober 1919 wird der Erlass zur allgemeinen Demobilisierung unterzeichnet, der den berühmten und traurigen Mobilisierungserlass vom 1. August 1914 aufhebt. Die Rücksendung derer, die aus den Kolonien stammen, erfolgt auf die gleiche Art und Weise. Allerdings sind viele einen Vertrag für die gesamte Kriegsdauer eingegangen, in dem vereinbart wurde, dass die Demobilisierung erst sechs Monate nach Kriegsende erfolgt, das heißt frühestens im Mai 1919, wenn man den Tag des Waffenstillstands als Stichtag nimmt. Im September 1919 bleiben noch 15.000 „indigene“ Soldaten in Frankreich, davon 13.000 aus Indochina, vor allem Vietnamesen und hauptsächlich Krankenpfleger und Fahrzeugführer. Sie kehren zwischen September und November in ihre Heimat zurück.

    Ärztliche Untersuchung eines demobilisierten Soldaten, Paris, Militärschule, 13. Februar 1919

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    © © Joly/ECPAD/Verteidigung

    Diese stufenweise Demobilisierung wird nur selten von den Betroffenen geschätzt, auch wenn sie manchen von ihnen eine schöne Erinnerung von der Teilnahme an der Parade des 14. Juli 1919 unter dem Triumphbogen bietet. Sie zieht eine gewisse Unordnung in der Zusammensetzung der Einheiten nach sich, denn diese müssen nach der Rückkehr einiger Soldaten untern ihnen neu eingeteilt werden. Überdies neigt die Disziplin zu kippen, da das Ende der deutschen Bedrohung für die bürgerlichen Soldaten nicht mehr die Anwendung der Verordnungen rechtfertigt, denen sich die Mehrheit mit stiller Empörung unterworfen hatte und denen sie immer noch mit regem Unmut gegenüberstehen. Für die Demobilisierten verläuft der Austritt aus der Armee nicht immer ohne Schwierigkeiten. Dabei ist das Verfahren einfach: eine ärztliche Untersuchung, die Aktualisierung der militärischen Unterlagen und die anschließende Überlieferung ins Demobilisierungslager, das heißt das Lager des Regiments, dem der Betroffene angehört. Aber häufig gibt es Randale, insbesondere bei den Bahntransporten: Um gegen die langsamen Züge und die unbequemen Wagons zu protestieren, schlagen die Soldaten Fenster oder Türen ein. Im Lager in Saint-Raphaël kommt es zu Demonstrationen seitens der senegalesischen Infanteristen, die bei einer Heerschau einen General beiseitestoßen und lauthals ihre Heimkehr fordern. Es sei erwähnt, dass sich die Rückführung der Soldaten aus Übersee aus Mangel an Schifffahrtsmöglichkeiten noch schwieriger gestaltet.

     

    DIE ARMEE VERLASSEN, NACH HAUSE ZURÜCKKEHREN

    Die ersten Rückkehrten stellen sich häufig als Ernüchterung heraus. Tatsächlich wird den rückkehrenden Männern seitens der Obrigkeit nur Gleichgültigkeit geschenkt, es findet keinerlei Willkommenszeremonie statt. Als Ersatz für ihre in der Kaserne gebliebenen, zurückgelassenen oder kaputten Kleidungsstücke erhalten sie lediglich einen schlecht geschnittenen Anzug (den sogenannten „Abrami“, nach dem Namen des Unterstaatssekretärs Léon Abrami benannt), oder, wenn sie diesen ablehnen, die lächerliche Summe von 52 Francs, heutzutage vermutlich 50 Euro. Sie werden sogar vom Finanzamt aufgefordert, ihre Steuerrückstände zu begleichen, deren Stundung in der Tat auf das Kriegsende festgelegt wurde. Erst ab März 1919 werden einfühlsamere Maßnahmen eingeführt, um diesen Ungeschicklichkeiten abzuhelfen: Wiedereinführung der Steuerstundung, Auszahlung einer Demobilisierungszulage, die nach einer angemesseneren Skala berechnet wird (250 Francs plus 20 Francs pro Einsatzmonat an der Front), Gesetz zur Rentenzahlung an Kriegsinvaliden oder an die Familien gefallener Soldaten. Auch der Empfang hat sich verändert.

    Heerschau der Spahis bei den Siegesfeiern in Paris, 14. Juli 1919

    défilé

    © © Albert Harlingue / Roger-Viollet

    Nach Unterzeichnung des Versailler Vertrags Versailler Vertrages wird die Rückkehr der Regimente in ihren Stützpunkt von nun an gefeiert: Die Festlichkeiten beginnen in den beflaggten und mit Blättern verzierten Straßen mit einer Heerschau der Soldaten, die von ihren Landsleuten viel umjubelt werden. Die Emotionen sind umso größer, da viele der marschierenden Soldaten trotz der Verteilung unter die verschiedenen Regimente während der Gefechte immer noch Kinder sind. Nach der Parade werden manchmal, jedoch nicht immer, verschiedene Festlichkeiten veranstaltet (Konzerte, Bälle, Feuerwerke, Fackelzüge). Doch auch diese Festlichkeiten, sofern sie denn stattfinden, können weder die große Trauer verbergen, die über Jahre hinweg von der Anwesenheit der Verstümmelten ausgeht, noch die der Witwen und Familien, deren schwarze Kleidung an all diejenigen erinnert, die nie wieder zurückkommen werden.

    Die Demobilisierten müssen sich zudem deutlich bemühen, um sich wieder anzupassen. Mehrere Jahre, manchmal sogar fünf Jahre, lebten sie mit ihren Kameraden zusammen, weit weg von ihren Familien und abgeschnitten von der zivilen Welt, mit Ausnahme der seltenen Fronturlaube. Zunächst müssen sie wieder Arbeit finden. Auch wenn ein Gesetz aus dem Jahr 1918 die Arbeitgeber dazu verpflichtet, ihre ehemaligen Arbeiter oder Angestellten wieder einzustellen, sind diese nicht mehr unbedingt im Betrieb und können sie somit nicht zurücknehmen. Außerdem müssen sie eine ganze Reihe an Verwaltungsverfahren auf sich nehmen, die langwierig sind und als demütigend empfunden werden, um so die ihnen zustehenden Entschädigungen zu erlangen. Aber es geht nicht nur darum, Arbeit zu finden. Der freie Mann, dessen Alltag bis dahin durch die Armee bestimmt wurde, hat ganz vergessen, wie er seinen Lebensrhythmus gestalten, selbst für sich sorgen, sich ernähren und kleiden soll. Insbesondere das Familienleben muss neu gestaltet werden, mit Ehefrauen, die wohl oder übel die Aufgaben des Familienoberhaupts übernommen haben, und Kindern, die für lange Zeit ihren Vater nicht gesehen oder gar niemals kennengelernt haben. Ehepaare sind auseinander gegangen oder trennen sich und Scheidungen sind wesentlich häufiger als vor dem Krieg.

    Aus Deutschland heimkehrender französischer Gefangener, November 1918

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    © © Maurice-Louis Branger/Roger-Viollet

    Schließlich sind die Demobilisierten der Ansicht, dass sie ihre Erfahrungen nicht mit jenen teilen können, die nicht die gleichen Leiden, die gleichen Ängste, die gleiche Einsamkeit wie die Kameraden ertragen mussten. Jedoch findet ein Teil der sechseinhalb Millionen Veteranen (etwa einer von zwei Erwachsenen) in Vereinen die Möglichkeit, ihre Solidarität und ihre Forderungen  innerhalb der französischen Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Ihre Gemütszustand wird vor allem durch den Stolz, „durchgehalten“ zu haben, charakterisiert, indem sie die Stellung gehalten haben, so wie in Verdun Verdun, um die deutschen Truppen vor dem Eindringen ins Land zu hindern. Ihre Pflicht erfüllt zu haben verleiht ihnen wesentlich mehr Zufriedenheit als die Verherrlichung der kämpferischen Errungenschaften, auch wenn nicht alle vollkommen unempfänglich dafür sind. Je weiter der Krieg zurückliegt, desto stärker entwickelt sich in ihnen ein sehr friedfertiger, ja sogar pazifistischer Patriotismus, der sich vor allem in der Verurteilung des Krieges und allem, was ihn erleichtert, ausdrückt: insbesondere Militarismus, Verherrlichung des kämpferischen Heldentums, ja sogar, in machen Extremfällen, Ruhm, der den Tod der Knechtschaft vorzieht.

     

    WELCHES SCHICKSAL FÜR DIE ANDEREN „MOBILISIERTEN“ DES KRIEGES?

    Das Kriegsende betrifft auch andere Soldaten. Die französischen Gefangenen französischen Gefangenen, die auf etwa 500.000 geschätzt werden, können sofort nach dem Waffenstillstand die Lager verlassen. Viele von ihnen ergreifen die Initiative, mit eigenen Mitteln heimzukehren, nicht ohne Schwierigkeiten. Die französischen Behörden übernehmen die Repatriierung der anderen. Der Großteil kann in nur zwei Monaten, von Mitte November 1918 bis Mitte Januar 1919, heimgebracht werden. Seitens der Behörden und Öffentlichkeit kommt ihnen Gleichgültigkeit entgegen, als seien die Bedingungen dieser ehemaligen Soldaten eine Entehrung, obwohl sich die meisten nicht als unwürdig erwiesen haben. Die Gesetzgebung setzt sie im Übrigen in Bezug auf die ihnen zustehenden Entschädigungen mit den anderen Veteranen gleich.

    Die Demobilisierung der Elsässer und Lothringer aus den seit 1871 ins Deutsche Reich eingegliederten Gebieten, die in der kaiserlichen Armee gedient haben (250.000 Soldaten über die gesamte Kriegsdauer),verläuft aus verständlichen Gründen genauso unauffällig. Um dem Unverständnis und den Ungerechtigkeiten entgegenzutreten, die ihre Situation als Franzosen, die auf Feindesseite gekämpft haben, hervorruft, wird unter der Schirmherrschaft des berühmten patriotischen Schriftstellers Maurice Barrès im Jahr 1920 erstmals ein Verein mit dem Namen „Malgré nous“ („Gegen unseren Willen“) gegründet. Anlässlich der noch weit tragischeren Umstände des Zweiten Weltkriegs kommt er erneut zum Einsatz.

    Viel mehr noch wird die Demobilisierung der Frauen außer Acht gelassen, die während des Krieges dazu aufgerufen wurden, die bis dahin Männern zugeschriebenen Arbeiten in Industrie und Dienstleistung zu übernehmen. Auf Druck der Behörden müssen sie ihre Arbeit aufgeben, um wieder Hausfrau oder Dienstmädchen zu werden (Rundschreiben vom Rüstungsminister Louis Loucheur vom 13. November 1918). Dieser Übergang verläuft ohne viel Aufhebens und hinterlässt kaum Spuren.

    Chinesischer Arbeiter in einer Kriegsmanufaktur, Region Lyon, September 1916

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    © © Piston/Excelsior-L’Équipe/Roger-Viollet

     

    DIE KOLONIALORDNUNG INFRAGE STELLEN ODER AUFRECHTERHALTEN?

    Auch die Heimkehr der demobilisierten Soldaten der Kolonien geht oft mit Feierlichkeiten einher. In einer Ansprache in Algier rühmt General Nivelle General Nivelle, der die in ihre Garnison zurückkehrenden Infanteristen Infanteristen und Zuaven willkommen heißt, „ihren Heldenmut, ihre Bereitschaft zur Aufopferung, an der Marne Marne, in Ypern Ypern, an der Somme Somme, am Chemin des Dames Chemin des Dames, in Verdun Verdun,am Château-Thierry, in der Champagne Château-Thierry, in der Champagne“. Er erinnert daran, dass er ihnen immer einen Ehrenposten zugewiesen hat. Dieser Empfang kommt allerdings nur dem ersten Schub an Rückkehrern zugute, den folgenden wird bei ihrer Ankunft gleichwohl weniger Interesse entgegengebracht. In manchen Fällen scheint es, als würden sich die Obrigkeiten um die Wiedereingliederung der Kämpfer kümmern. So wird den Demobilisierten aus Indochina eine Broschüre ausgeteilt, in der ihnen die Formalitäten zur Geltendmachung ihrer Rechte erklärt werden. Sie unterliegen einer ärztlichen Untersuchung, wobei Kranke und Verletzte in medizinischen Versorgungsstellen behandelt werden.

    Diese Fürsorglichkeit bedeutet allerdings nicht den Verzicht der Überwachung. Immer noch in Indochina wird im September 1917 eine Abteilung für Heimkehrende gegründet, deren Aufgabe darin besteht, Informationen über die „Indigenen“ in Metropolitan-Frankreich zu zentralisieren, sodass eventuelle Probleme, aber auch diverse Abweichungen in den einzelnen Verhaltensweisen, gemeldet werden, die der lokalen Sicherheitsbehörde mitgeteilt werden. Dabei muss erwähnt werden, dass die Ankünfte in manchen Regionen zu Ausschreitungen führen: Im Frühling 1919 kommt es in Dschibuti seitens der demobilisierten Soldaten, von denen sich einige auf den Schlachtfeldern ausgezeichnet haben (insbesondere bei der Übernahme von Douaumont im Oktober 1916), zu Meuterei. Einige geben sich bei der Rückkehr in ihre Lager der Plünderei hin. In der Stadt kommt es zu Ausschreitungen. Ähnliche Tumulte brechen in Französisch-Westafrika aus, insbesondere im Senegal und in Guinea. Jedoch kommt es dabei zu keinen schweren Unruhen. Auch die aus den Kolonien stammenden und für den Krieg eingestellten Arbeiter (deren Zahl auf 200.000 geschätzt wird) kehren größtenteils wieder in ihr Heimatland zurück. Die Obrigkeiten möchten nicht, dass sie vor Ort bleiben. Sie befürchten, sie könnten sich an den revolutionären Ideen anstecken, die sich im französischen Proletariat weit zu verbreiten scheinen. Die Rücksendung durch die Obrigkeiten trifft bei der unzufriedenen Gesellschaft auf demagogische Zufriedenheit, wo doch die von der Front heimgekehrten Soldaten immer noch auf Arbeitssuche sind. Letzten Endes möchten die Verantwortlichen in den Kolonien möglichst schnell alle „indigenen“ Arbeitskräfte zurückerlangen. Sie sind unabdingbar für den Wirtschaftsaufschwung der Gebiete, da ihre Gehälter dank des Drucks der Heimkehrenden auf ein niedrigeres Niveau gebracht werden. Um dem Wiederaufbau in Frankreich entgegenzutreten, wird lieber auf Europäer gesetzt, da sie als effizienter gelten und aufgrund ihrer Arbeitertradition weniger Misstrauen bei den Gewerkschaften hervorrufen. Bei den ersten Aufräumarbeiten an der Front, deren Bedingungen im Übrigen oft sehr schwer und gefährlich sind, beschränkt man sich auf eine kleine Anzahl an Arbeitern aus den Kolonien und China China. Die Kosten der Heimreise wird im Prinzip vom Staat übernommen, aber die Behörden beeilen sich nicht sonderlich, dieser Verpflichtung nachzukommen. Die Vietnamesen kehren erst im Juli 2020 vollständig in ihre Heimat zurück.

    Wie ihre Kameraden aus Metropolitan-Frankreich bringen auch die anderen Veteranen, ob Europäer oder „Indigene“, die Wirklichkeit des Krieges kaum zu Sprache. Manche neigen dazu, Letzteren einen „Fatalismus“ zuzuschreiben, durch den sie den außergewöhnlichsten Ereignissen gleichgültig gegenüberstehen würden, anstatt des Wunsches zu vergessen, der bei den Veteranen sehr weit verbreitet ist. Nach ihrer Heimkehr tragen dieselben „Indigenen“ nicht weniger dazu bei, die Vorkriegsordnung, die von der kolonialen Oberherrschaft, aber auch von den traditionellen Gesellschaften auferlegt wurde, infrage zu stellen. Die Unterwürfigkeit gegenüber ihren eigenen Standespersonen und ihren Ältesten liegt ihnen zur Last.

    Französische Truppen besetzen die Kriegsmitte in Deutschland: Vorposten am Ende der Brücke vor Mannheim, März 1919 Fotografie erschienen in der Zeitung Excelsior am Mittwoch, 5. März 1919

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    © © Excelsior-L’Équipe/Roger-Viollet

    Sie berufen sich auf ihre Eigenschaft als ehemalige Soldaten der französische Armee, um zu versuchen, den Anordnungen der Obrigkeiten zu entkommen. In Französisch-Westafrika prangern die Chefs die Arroganz der Demobilisierten an und beschuldigen sie, während ihrer Dienstzeit faule Angewohnheiten erworben zu haben, die sie zu Straftaten verleiten. Dagegen erfreuen sich viele andere einer großen Anerkennung im Volk, die sie dank ihrer sichtlichen Beherrschung „weißer Umgangsformen“ erwerben: Sie rauchen Tabak, kennen ein paar französische Wörter, können offizielle „Papiere“ zur Schau tragen. In einer Gesellschaft, in der der Krieger großes Ansehen genießt, werden sie für ihre Militäraktionen bewundert. Ihre Demobilisierungsprämie, die ihnen einmalig ausgezahlt und meist in Geschenke investiert wird, verleiht ihnen zumindest zu Beginn ein gewisses Ansehen in einer von frugalem Dasein geprägten Umgebung.

    Außerdem haben einige der Heimgekehrten im Kontakt mit Europa ein neues politisches Bewusstsein und neue Handlungspraktiken erlangt. Ein Veteran, Dorothée Lima, gründet 1920 die erste Zeitung Dahomeys namens Voix du Dahomey. Ein Arbeiter, Tôn Duc Thang, der vielleicht an den Meutereien im Schwarzen Meer beteiligt war, ruft nach seiner Rückkehr aus Frankreich die erste Gewerkschaft Saigons ins Leben. Bei anderen hat die Zeit in der Armee eher eine schon vorhanden gewesene politische Berufung bestätigt, so wie bei dem Lehrer Jean Ralaimongo, der mit 32 Jahren freiwillig in den  Krieg zog und später einer der ersten Anführer der madagassischen Emanzipierungsbewegung wurde, oder der Buchhalter Galandou Diouf, kurze Zeit später senegalesischer Rivale von Blaise Diagne. Man kann sich allerdings die Frage stellen, ob diese Verhaltensweisen bei den Veteranen sehr häufig waren. In der Tat scheint der Großteil unter ihnen nach dem Krieg eher mit dem Wunsch nach Frieden heimzukehren und von den Vorteilen profitieren zu wollen, die ihnen die Regierung zukommen lässt sowie der Anerkennung ihres Umfelds.

    Die europäischstämmigen Veteranen, insbesondere die Franzosen aus Algerien, legen ein anderes Verhalten an den Tag. Auch wenn ihre Mentalität sehr der ihrer Landsleute aus Metropolitan-Frankreich ähnelt, verleiht die Kolonialsituation ihrem Patriotismus einen ganz besonderen Unterton. Ihre Kriegserfahrung, die Waffenbruderschaft, durch die viele von ihnen eine enge Beziehung zu den „Indigenen“ geschlossen haben, die unzähligen Beispiele an Heldentaten und Hingabe durch Letztere, scheinen sich für den Beibehalt der Kolonialordnung auszusprechen, die dieses tadellose Verhalten hervorgerufen hat. Ihre sehr positive Sichtweise auf die ehemaligen Kriegskameraden zieht jedoch kaum die oft sehr schweren Lebensbedingungen oder die Bestrebungen Letzterer in Betracht, nach ihrer Rückkehr ins zivile Leben nicht mehr als „Subjekt“ betrachtet zu werden. Auch wenn jene, die man später „Pieds Noirs“ („Schwarzfüße“) nennen wird, den „Indigenen“ mit mehr Verbundenheit und Achtung gegenübertreten als zuvor, sind sie dennoch nicht bereit, den Forderungen ihrer Vertreter ein offenes Ohr zu schenken. Diese übertriebenen Gefühle von Optimismus werden später durch die beispielhafte Teilnahme der Soldaten aus den Kolonien am Zweiten Weltkrieg noch verstärkt.

    Insgesamt kann die Demobilisierung als gelungen angesehen werden: Die Soldaten wurden ohne Reibereien wieder in das zivile Leben eingegliedert. Die Veteranen Metropolitan-Frankreichs drücken weiterhin ihre Treue an der Republik aus, die durch diese Belastungsprobe noch stärker geworden zu sein scheint. Aber ihre Erwartungen entsprechen den Aufopferungen, die sie gebilligt haben: ein glückliches Leben, aufmerksamere Regierungen. Was die in den Kolonien mobilisierten Männer anbelangt, so trägt der Stolz, gute Soldaten gewesen zu sein, zu den Forderungen nach Würde bei, die wiederum den Wunsch nach Unabhängigkeit nähren.

    Autor

    Jacques Frémeaux – emeritierter Professor der Universität Paris-Sorbonne (Paris-IV), Mitglied der Académie des Sciences d’Outre-mer und emeritiertes Mitglied des Institut universitaire de France.

    Unterricht über Verteidigung

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    Zusammenfassung

      Zusammenfassung

      DATUM : 1997

      ORT : Frankreich

      AUSGABE : Gesetz über die Reform des Militärdienstes. Der Unterricht über Verteidigung wird zu einem Bestandteil des Weges zur Staatsbürgerschaft

      “Die Verteidigung! Sie ist die wesentliche Daseinsberechtigung des Staates. Er würde nicht ohne sie auskommen, ohne sich selbst zu zerstören.“ So drückte sich General de Gaulle in Bayeux am 14. Juni 1952 aus. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 1997 übertrug der Gesetzgeber der nationalen Bildung die Aufgabe, jungen Menschen die wichtigsten Begriffe der Verteidigung und nationalen Sicherheit zu vermitteln.

      Diese Aufgabe, die ursprünglich auf den “Weg zum Bürgersinn“ beschränkt war (Erfassung mit sechzehn Jahren, Unterricht über Verteidigung in der Sekundarstufe I und II, Tag der Verteidigung und der Bürgerrechte), erstreckt sich nunmehr auf die gesamte Schullaufbahn und setzt sich an der Universität fort.

       

      Unterricht über die Verteidigung und nationale Sicherheit bedeutet, sich auf drei Dinge zu konzentrieren. Zuerst die historische Distanz, durch die Verteidigungsfragen über einen längeren Zeitraum betrachtet werden können: von der Bedrohung an den Grenzen zur Bedrohung ohne Grenzen, und damit von der Verteidigung der Grenzen zur Verteidigung ohne Grenzen, von der nationalen Unabhängigkeit zur strategischen Autonomie, von der nationalen Verteidigung (Weißbuch von 1972 über die nationale Verteidigung) zur Verteidigung (Weißbuch von 1994) und zur Verteidigung der nationalen Sicherheit (Weißbücher von 2008 und 2013); dann Frankreich “... inmitten der Völker der Welt“, im Zusammenhang mit Bedrohungen von innen und außen, mit seinen Bündnissen und Einsätzen, Militäroperationen und -aktionen seiner Streitkräfte, mit einem Kontinuum der inneren Sicherheit und der äußeren Sicherheit, dessen Hauptmerkmal der Kampf gegen den Terrorismus ist; und schließlich die Verteidigung als öffentliche Politik, das heißt eine Politik, die entscheidet, Akteure, die sie ausführen, die ihr von der Nation gewidmeten Mittel, unter Analyse der Dimensionen der Verteidigung zu Land, Luft und zu Wasser sowie ihrer interministeriellen und interalliierten Dimensionen.

       

      Die zentrale Frage ist die Beteiligung der Schüler, der künftigen Staatsbürger, an der Verteidigung und der nationalen Sicherheit ihres Landes. Denn die Verteidigung hinterfragt den Bürgersinn und nicht umgekehrt. Die Aussetzung der Wehrpflicht führt zu einem neuen Verhältnis zwischen den Staatsbürgern, der Verteidigung und der nationalen Sicherheit: zu einem neuen Bürgervertrag zwischen Frankreich und seiner Armee.

       

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      Klasse CM2 der Schule Paul Bert
       © Laurent Villeret / Picture Tank / Ministerium für nationale Bildung

       

      Im Laufe der Zeit beschränkt sich die Organisation der Verteidigung nicht mehr nur auf den nationalen Rahmen: im Namen multilateraler Abkommen und Vereinbarungen, insbesondere in Europa, beteiligt sich Frankreich an vielen Auslandsoperationen im Rahmen der internationalen Sicherheit, im Namen der Werte, die es verteidigt und des Rechts, das es unterstützt, im Konzert der Nationen. Die Geschichte- und Geografielehrpläne der Sekundarstufe I und II fallen in diesen Bereich. Angesichts von Bedrohungen, die sich über Grenzen hinwegsetzen, verschwimmen die herkömmlichen Unterschiede zwischen der Verteidigung nach außen und der inneren Sicherheit, und die Gegenwehr sowie die Widerstandsfähigkeit müssen sich auf die gesamte nationale Gemeinschaft stützen.

       

      Die zentrale Aufgabe der nationalen Bildung ist in diesem Zusammenhang, allen Schülern die unerlässlichen Kenntnisse und Kompetenzen beizubringen, die diese Themen abdecken, dieses erworbene Wissen im Rahmen eines kontinuierlichen Fortschritts zu verfestigen und zu überprüfen, mit dem Ziel, eine Kultur der gemeinsamen Verteidigung zu bilden. Offizielle Lehrpläne und die Ausbildung der Lehrer sind die dafür erforderlichen Bedingungen.

       

      VERTEIDIGUNG UND NATIONALE SICHERHEIT IM MITTELPUNKT DER AUSBILDUNG VON SCHÜLERN ZU STAATSBÜRGERN

      Die Lehrpläne der Primarstufe räumen der moralischen und staatsbürgerlichen Erziehung breiten Raum ein. Orientierungshilfen, die dem Schüler angesichts seines Alters eine bessere zeitliche und räumliche Einordnung ermöglichen, versetzen ihn de facto in unsere Zeit und in unser Land. Im Rahmen des sogenannten “Konsolidierungszyklus“ der Grundbildung lernt der Schüler, die Symbole und Hoheitszeichen der Republik und die grundlegenden Merkmale der französischen Nation zu erkennen und zu respektieren, das französische Staatsgebiet in der Europäischen Union einzuordnen, die Franzosen im europäischen Kontext einzuordnen und Frankreichs Position in der Welt.

       

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      Grundschulklasse
      © Phovoir

       

      In der 3. und 1. Schulstufe waren zwei Module “Verteidigung“ klar ausgewiesen (Lehrpläne 2010-2012). Der Lehrplan der “Gemeinschaftskunde“ in der 3. Schulstufe widmete 20 % der Zeit dem Thema: “Verteidigung und Frieden“. Die neuen Lehrpläne der moralischen und staatsbürgerlichen Erziehung haben diese Situation grundlegend verändert. Nicht nur, dass sie nicht mit den Lehrplänen für Geschichte und Geografie verbunden sind, sondern dass man die Elemente für den Unterricht über Verteidigung und nationale Sicherheit in den Texten suchen muss. Der fehlende Verweis auf eine Unterrichtsstufe stellt ebenfalls ein Problem dar. Die notwendige Verbindung mit den Geschichte- und Geografielehrplänen führt zur Empfehlung eines Unterrichts in der 3. Schulstufe, damit die drei oben genannten Dinge gelehrt werden.

       

      In der Frage “Engagement“ lässt der Titel “das Kennenlernen der wichtigen Grundsätze“ anklingen, “die die nationale Verteidigung beherrschen“. Angesichts der grenzüberschreitenden Bedrohungen (mit Ausnahme der Spannungen im Zusammenhang mit den Migrationsrisiken, die sie verstärken oder gewisse Staaten veranlassen, neue zu erfinden), verwischt die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit. In diesem Zusammenhang werden die militärischen Aktionen Frankreichs im Ausland präsentiert. In Form einer Aufnahme in die Rubrik “den Zusammenhang zwischen Engagement und

      Verantwortung erklären“ wird “die Sicherheit von Personen und Gütern: Organisationen und Probleme“ genannt, die eine Verknüpfung der Verteidigung und der nationalen Sicherheit erlaubt.

       

      In der Frage “Beurteilung“ werden im Bereich “verstehen, dass zwei Werte der Republik, die Freiheit und die Gleichheit, in ein Spannungsfeld geraten können“ die “Probleme Frieden und Krieg in der Welt und Ursache von Konflikten“ erwähnt. Es ist unsere Aufgabe, diesen vereinzelten Elementen einen Zusammenhang zu geben, indem wir sie eng mit den Geschichte- und Geografielehrplänen der 3. Schulstufe verbinden.

       

      In der Sekundarstufe II ist ein Teil des Lehrplans der moralischen und staatsbürgerlichen Erziehung in der ersten Klasse der Verteidigung gewidmet. Es handelt sich um das Thema 4: “Organisation und Herausforderungen der Landesverteidigung“. Die “Landesverteidigung“ erfährt seit Ende der 1980er-Jahre tief greifende Entwicklungen und Reformen als Reaktion auf die Entwicklungen in der Welt, welche die Voraussetzungen sowohl für den Frieden als auch für den Krieg verändern; die Organisation der Verteidigung beschränkt sich nicht mehr nur auf den nationalen Rahmen; im Namen der Bündnisverträge und Vereinbarungen, insbesondere in Europa, beteiligt sich Frankreich an mehreren externen Operationen der internationalen Sicherheit; die Aussetzung der Wehrpflicht, die Professionalisierung der Streitkräfte, die Komplexität und die steigenden Kosten für Ausrüstung bedingen ein neues Verhältnis zwischen Bürgern, Verteidigung und nationaler Sicherheit.

       

      Die Analyse von zwei Themen, die aus den vorgeschlagenen ausgewählt werden können, erlaubt laut Untersuchungen von Schülern weitere Denkanstöße zu diesen Fragen: Aufgaben der Verteidigung und der nationalen Sicherheit (neue Formen der Unsicherheit wie Terrorismus, Piraterie und Verbreitung von Waffen und Vernichtungsmitteln, die Gesamtverteidigung, Frankreich zwischen Frieden und Krieg, Schutz des Hoheitsgebietes und Auslandsoperationen, die Rechtfertigung internationaler Missionen der Streitkräfte); Mittel der Abwehr (französische Streitkräfte, Allianzen und internationale Verteidigungsverpflichtungen, bilaterale Verträge); Akteure der Verteidigung (institutionelle Akteure, Bürger, Information, Verteidigungsberufe, die Reserve, die Feminisierung der Streitkräfte, laufende Debatten wie der Begriff der militärischen Ethik, die Einhaltung der Rechtsvorschriften).

       

      NEUE BEGRIFFE IN DEN GESCHICHTE- UND GEOGRAFIELEHRPLÄNEN

      In der 4. Klasse der Sekundarstufe I ermöglicht der Geschichtelehrplan, “die Revolution, das Kaiserreich und den Krieg“ durchzunehmen. Er erwähnt auch die Verbreitung des Nationalgefühls in Europa. Damit lässt sich das heutige Wiedererwachen dieses Gefühls verstehen. Der Geografielehrplan ist der Globalisierung gewidmet und glücklicherweise aus einer Frage heraus formuliert, die sich dem Thema “Meere und Ozeane: eine meeresbezogene Welt“ widmet. Dabei beschäftigt er sich mit Häfen, Küsten und dem Seehandel sowie der strategischen Rolle der Meerengen, wodurch sich Möglichkeiten für Überlegungen zur Geostrategie am Meer eröffnen.

       

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      Collège Jean-Philippe Rameau, Champagneau- Mont-d’Or
      © Philippe Devernay / Ministerium für nationale Bildung

       

      In der 3. Schulstufe umfasst der Geschichtelehrplan, der beim Ersten Weltkrieg beginnt und bis zu den Konflikten unserer Zeit reicht, die beiden Weltkriege, den Totalitarismus und die Beschäftigung mit Militäroperationen (Stalingrad, Pazifikkrieg) anhand von Karten. Er setzt mit dem Kalten Krieg und den wichtigsten Schwerpunkten der globalen Geopolitik seit Beginn der 1990er-Jahre fort, sodass sich ein Bild der Zusammenhänge zwischen den Macht- und Verteidigungsinteressen Frankreichs ergibt. Der Geografielehrplan behandelt ebenfalls in der 3. Schulstufe “Frankreich in der heutigen Welt“. Er ordnet Kontinentalfrankreich und seine Überseegebiete in der Welt ein und bringt den Begriff “Macht“ ein, der in geeigneter Weise näher erläutert und ausgeführt wird, sowohl für Frankreich als auch für Europa. Er präsentiert die Europäische Union als wichtigen Wirtschaftsakteur, “der sich auf die Finanzmacht des Euro stützt, dessen diplomatische und militärische Rolle jedoch beschränkt bleibt“.

       

      So werden die Grundlagen für geschichtliches, geopolitisches und strategisches Denken, aber auch die politischen, materiellen und moralischen Herausforderungen der Verteidigung betrachtet. Allgemeiner gesagt umfassen die Geschichte- und Geografielehrpläne die jüngere Vergangenheit und ermöglichen den Schülern so das Verständnis für die aktuellen Konflikte und den schwierigen, unvollendeten Aufbau des Friedens in der Welt. In der Sekundarstufe I entsteht fächerübergreifender praktischer Unterricht, angelehnt an unsere Programme, ausschließlich auf dieser fachlichen Grundlage (Geschichte, Geografie sowie moralische und staatsbürgerliche Erziehung): die Verteidigung und nationale Sicherheit mit allen Aspekten solle nur den Platz einnehmen, den ihr die Lehrkräfte geben.

       

      Die Lehrpläne der verschiedenen Arten von Gymnasien (allgemeine, technische und berufsspezifische Sekundarstufe II) bringen die Fragen der Verteidigung und nationalen Sicherheit deutlicher zum Ausdruck und sind ausführlicher in den Geschichte- und Geografielehrplänen (Lehrpläne 2010-2012, 2013 geändert) formuliert.

       

      In der ersten Klasse des allgemeinen Gymnasiums behandelt das Thema 2 in Geschichte und Geografie “den Krieg im 20. Jahrhundert“: die beiden Weltkriege, den Kalten Krieg, die neuen Konflikte seit 1990 (einen bewaffneten Konflikt: den Golfkrieg; einen Ort: Sarajewo; einen Terroranschlag: den 11. September 2001). Die Geschichtelehrpläne konzentrieren sich auf die jüngere Vergangenheit und stärken so das Verständnis der Schüler für die aktuellen Konflikte.

       

      Der Geschichtelehrplan der oberen Klassen S, ES und L hat “historische Betrachtungen der aktuellen Welt“ zum Thema. Thema 1 behandelt wahlweise “den Historiker und die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg“ oder “den Historiker und die Erinnerungen an den Algerienkrieg“. Auf diese Weise ermöglicht beispielsweise das Studium der Geschichte des Widerstands (in der 1.) und der Erinnerungen an den Widerstand (in der obersten Schulstufe) einerseits die Unterscheidung der Geschichte als Schritt und der Erinnerung als Geschichtsobjekt, andererseits die Analyse der Geschichte des Widerstands seit 1945 und jene der eingefügten und übereinstimmenden Erinnerungen, wie sie heutzutage erscheinen.

       

      Thema 2 in Abschnitt S, Thema 3 in Es und L, behandelt die Bereiche “Großmächte und Konflikte in der Welt seit 1945“, “die Wege der Macht“ (die USA und die Welt seit 1918/1945, China und die Welt seit 1919/1945), “ein Konfliktherd“ (der Nahe und Mittlere Osten, ein Konfliktherd seit dem Ende des Osmanischen Reiches/Zweiten Weltkriegs).

      Die Herausforderungen der Verteidigung und der Sicherheit werden darin im Hinblick auf die Aktualität dieser Fragen behandelt. Das Geografiethema der obersten Schulstufe der allgemeinen Gymnasien “Geostrategische Bedeutung von Meeren und Ozeanen“ reiht sich ebenfalls in diese Vorgehensweise ein.

       

      In den technischen Zweigen können die Gymnasiasten je nach Abschnitt zwischen mehreren Themen wählen, darunter: “Leben und Sterben in Kriegszeiten“. Außerdem ist “Europa, ein von zwei Weltkriegen geprägter Raum“ eine Pflichtfrage für die Schüler der 1. Klasse “Wissenschaften und Techniken in Management und Verwaltung“ und “Gesundheits- und Sozialwissenschaften und -technologien“.

       

      Im berufsspezifischen Gymnasium konzentriert sich der Lehrplan der Gemeinschaftskunde der 1. Klasse “besonders auf die Pflicht zur Verteidigung“. In der obersten Schulstufe wird im Geschichtekapitel “die Welt seit der Wende der 1990er-Jahre“ der Zusammenbruch des sowjetischen Modells erwähnt, unter Hervorhebung der “Krisen, die den Beginn dieses neuen Zeitabschnitts markieren“: Genozide in Afrika und Europa, Terrorismus, Kriege gegen den Terrorismus, die internationale Verantwortung Frankreichs und das Bewusstsein seiner Bürger. Thema 4 des Geschichtelehrplans (“Kriege und Konflikte in Europa im 20. Jahrhundert“) in der berufsspezifischen Ausbildung ermöglicht die Präsentation der Herausforderungen der Verteidigung und der nationalen Sicherheit.

       

      In den Lehrplänen der Schulen gibt es daher umfangreiche und vielfältige Informationen, die aufbauend organisiert sind und den Schüler an Kenntnisse und Kompetenzen der Verteidigung und nationalen Sicherheit heranführen, die für die Ausübung seiner Bürgerpflichten als Akteur in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur oder Umweltschutz auf Basis der von der Schule unterstützten französischen und republikanischen Werte unerlässlich sind. Die Lehrpläne ermöglichen daher, den kritischen Abstand zu lehren, die Distanz zum Ereignis, die Verantwortung des Bürgers in der Zukunft. Das Nachdenken, das Verstehen, das Akzeptieren der Komplexität, die die Grundlage der Erziehung zur Verteidigung und nationalen Sicherheit sind, ermöglichen auch hier Fortschritte in der Erziehung junger Bürger: Dinge nicht zu akzeptieren, ohne darüber zu diskutieren, sie zu vergleichen und zu verstehen.

       

      Doch ist es notwendig, dass die Geschichte-, Geografie- und Gemeinschaftskundelehrer, aber auch jene anderer Fächer, auf die Vermittlung dieser Begriffe vorbereitet sind und diese gut eingeordnet werden. Diese Forderung ist umso wichtiger, als die Ersetzung der pädagogischen Hochschulen (Instituts universitaires de formation des maîtres, IUFM) durch Fachschulen für das Lehramt und Erziehung (Écoles supérieures du professorat et de l'éducation, ESPE) die bisherigen Errungenschaften in diesem Bereich in Frage stellen.

       

      VERTEIDIGUNG UND NATIONALE SICHERHEIT IN DER GRUNDAUSBILDUNG VON LEHRERN

      Die Generalinspektion für das Schulwesen hat auf Antrag des Generaldirektors für Schulbildung 2012 einen Standard ausgearbeitet, um den neuen ESPE eine Arbeitsgrundlage zu liefern. Dieses Dokument wurde an die ESPE verteilt und von einigen seit Beginn des Universitätsjahres 2013 verwendet. Die vorgeschlagene Arbeit soll die Professoren und das Lehrpersonal begleiten, die sich in der Allgemeinbildung zu militärischen, Verteidigungs- und nationalen Sicherheitsfragen einsetzen. Sie gliedert sich in vier Termine zu je zwei Stunden und einen Termin für Nachbereitung und Fallstudien.

       

      education civique
      Collège Michelet, Vanves
      © Xavier Schwebel / Picture Tank / Ministerium für nationale Bildung

       

      Die Studie handelt in erster Linie von “der Bedeutung des militärischen Ereignisses in der Geschichte“ bis zu den Schnittpunkten von Krieg und Nation, zur Rolle und dem Platz der Armee und der

      Marine im Wirkungsbereich der Nation, zum Platz der Streitkräfte für die Verteidigung und nationale Sicherheit. Es geht darum, die Verteidigung als staatliche Politik zu untersuchen, aus historischer Sicht, langfristig als Organisation und Institution, mit räumlichen und zeitlichen Vergleichen und einem Querschnitt über die Land-, Luft- und Seestreitkräfte sowie die nationale Gendarmerie. Die Untersuchung mündet in einer Analyse der aktuellen Grundlagen der Verteidigung und der nationalen Sicherheit.

       

      Anschließend liegt der Schwerpunkt auf der Verteidigung in ihrem politischen, sozialen und kulturellen Umfeld (Aufgaben, Geschichte, Militärtraditionen), also “von der Verbindung zwischen den Streitkräften und der Nation bis zu den Beziehungen zwischen Verteidigung und Gesellschaft“. Die Frage der Teilnahme der Franzosen an der Verteidigung und der Teilnahme der Streitkräfte an der Herausbildung des Bürgersinns nimmt hier einen zentralen Platz ein. Hier werden die Beziehungen zwischen Schule und Armee untersucht. Die Einflüsse zwischen dem militärischen Ereignis und der Literatur, der Philosophie, der Kunst und den Wissenschaften sind Gegenstand nützlicher Annäherungen.

       

      “Neue Rahmen, neue Bezugssysteme: Frankreich im Umfeld seiner Verteidigung und nationalen Sicherheit (von 1970 bis heute)“ bezieht sich auf das Entstehen von Gefahren und der Strukturierung des internationalen Lebens und analysiert die aktuellen Grundlagen der Verteidigung Frankreichs im Geiste der wesentlichen Entwicklungen, die in den folgenden Weißbüchern zum Ausdruck kommen. Die Fragen der Verteidigung und nationalen Sicherheit werden im Lichte der größten Gefahren, der Massenvernichtungswaffen und der nationalen Widerstandsfähigkeit betrachtet.

       

      Der letzte Teil der Arbeit befasst sich mit den neuesten Aspekten der französischen Problematik der Verteidigung und nationalen Sicherheit: “Regieren in stürmischen Zeiten. Wie soll die Sicherheit der Nation organisiert werden?“ Dabei werden der Rahmen, der Zusammenhang und die Akteure erwähnt, aus denen sich die französische Verteidigungs- und Sicherheitsarchitektur zusammensetzt, sowie das Entstehen einer neuen Regierungskultur in dem Bereich, ausgehend vom Ziel der Kontinuität des Lebens dieses Landes, von weitergeführten Auslandsoperationen und von der Abschreckung als letzte Sicherheit.

       

      cours lycee
      Gymnasialklasse
      © Sophie Brandstrom / Ministerium für nationale Bildung

       

      Das im Dezember 2013 in Form einer DVD erschienene Werk mit dem Titel “Unterricht über Verteidigung“ ermöglicht, den Unterricht durch eine akademische Ausrichtung und Umsetzungsvorschläge zu unterstützen. Das nationale Portal enthält auch, unter Aufsicht der Generalinspektion, besonders aktuelle Bezugnahmen auf Fragen der Verteidigung und nationalen Sicherheit. Die Weiterbildung der Lehrkräfte, die für jeden und jede verpflichtend ist, muss sich schließlich an die Ausbildungen anlehnen, für welche die regionalen Schulaufsichtsbehörden in den Akademien die Hauptverantwortlung tragen, insbesondere innerhalb der “akademischen Trinome“. Es ist notwendig, dass diese Ausbildungen von der Generalinspektion miteinander in Verbindung gebracht und auf nationaler Ebene aufeinander abgestimmt werden.

       

      espe
      Ausbildung künftiger Lehrkräfte in der Fachschule für das Lehramt und Erziehung (ESPE)
      © Xavier Schwebel / Ministerium für nationale Bildung

       

      Tristan Lecoq - Generalinspektor für nationale Bildung - Beigeordneter Universitätsprofessor (Zeitgeschichte) an der Universität Paris Sorbonne

      Autor

      Tristan Lecoq - Inspecteur général de l’Education nationale - Professeur des universités associé (histoire contemporaine) à l’Université Paris Sorbonne

      Die Marseillaise von der Entstehung bis heute

      Aktie :

      Zusammenfassung

        Zusammenfassung

        DATUM : Mittwoch, 25. April 1792

        ORT : Straßburg

        AUSGABE : Komposition der Marseillaise

        AUTOR : Rouget de Lisle

        Die Marseillaise hat ihren Ursprung in der Französischen Revolution und ist nunmehr seit über zwei Jahrhunderten Teil der Geschichte unseres Landes. Sie begleitet uns gleichermaßen in Momenten der Hoffnung und ausgelassener Freude wie auch in schweren Zeiten der Umwälzung und tragischen schweren Zeiten. Als Symbol für Einheit ist sie Anziehungspunkt für alle Verfechter der Freiheit in Frankreich und auf der ganzen Welt.

        Die in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1792 unter dem Titel Kriegslied für die Rheinarmee verfasste Marseillaise verdankt ihren Ursprung Joseph Rouget de Lisle, Offizier des Korps der Ingenieure und bekannt für sein Geigenspiel und seine dichterischen Werke. Über die genauen Umstände der Entstehung gibt es verschiedene Versionen: am selben Abend während des Abendessens mit Dietrich, dem Bürgermeister von Straßburg, am nächsten Vormittag, nachdem er den ganzen Tag über der Komposition saß oder auch die Version, dass sie beim Mittagessen des Korps gesungen wurde. Die Geschichte wurde gleich zweifach verewigt, einerseits von Lamartine in seinem Werk Histoire des Girondins sowie andererseits in dem von Isidore Pils im Jahr 1849 angefertigten Gemälde, das die Freude über das Ausrufen der Zweiten Republik widerspiegelt. Die erste Version der Partitur wird ohne Angabe des Autors von Dannbach in Straßburg gedruckt und Marschall Luckner gewidmet. Auf diese Weise wurde die Version erst dem Mai 1792 zugeordnet, nachdem dieser als Kommandant der Nordarmee berufen wurde und dann schließlich im Januar 1794 auf dem Schafott endete. Dietrich erfuhr dasselbe Schicksal und wurde 1793 auf der Guillotine hingerichtet. Wie die anderen, war auch Rouget gegen die Absetzung des Königs, konnte jedoch der Todesstrafe entkommen und wurde lediglich von August 1793 bis Juli 1794 inhaftiert.

        Die Hymne wurde zunächst in Frankreich über die Clubs und Zeitungen verbreitet. Der spätere General François Mireur macht in Montpellier ihre Bekanntschaft. Schon bald wird sie vom Bataillon der föderierten Freiwilligen von Marseille übernommen, die durch ein Abkommen verpflichtet waren, am 10. August 1792 den Sturz der konstitutionellen Monarchie zu unterstützen und die Revolution und den Terror zu kippen. Das Lied wurde überraschend zum Erfolg. Die Umstände, wie es nach Paris transportiert und von der Bevölkerung der Hauptstadt angenommen wurde, gaben ihm den neuen Namen "Marseillaise".

        Gossec bessert einige Schwachstellen in der Partitur von Rouget nach und erarbeitet eine Harmonisierung für Orchester unter dem Titel L'Offrande à la liberté. Mit dieser Version werden fortan alle Veranstaltungen eröffnet. 1793 wird sie per Beschluss zur offiziellen Hymne, bevor sie am 14. Juli 1795 (26. Messidor im Jahr III) vom Konvent der Thermidorianer zur "Nationalhymne" ernannt wird. Die Marseillaise verbreitet sich rasant in ganz Europa. Sie wird bereits 1792 ins Englische und Deutsche übersetzt und ist 1793 in Schweden und 1795 in den USA bekannt.

        Die mit den Ausschweifungen der Revolution in Verbindung gebrachte Marseillaise wird im Kaiserreich verboten und zunächst durch den Chant du départ und später durch Veillons au salut de l'Empire ersetzt. Während der Herrschaft der 100 Tage kommt sie erneut zu Ehren, wird jedoch während der Restauration erneut verboten. Während der Julirevolution von 1830 ertönt sie wieder in meisterhafter Orchestrierung mit Chor, verfasst von Berlioz, der seine Fassung Rouget de Lisle widmet. Dennoch erreicht die Marseillaise nicht mehr ihren Status als Hymne, weder während der Zweiten Republik noch während des zweiten Kaiserreichs. Dass sie trotz aller öffentlichen Turbulenzen, die die Regierungen des 19. Jahrhunderts mit sich brachten, dennoch überlebte, macht deutlich, dass sie stets in den Köpfen existierte, mit all ihren verschiedenen Auslegungen und dem Nachhall der Revolution. Die Marseillaise wird als Lied wahrgenommen, insbesondere in den Arbeitervierteln der Großstädte.

         

        partition originale
        Erste Partitur der "Marseillaise" von Claude Joseph Rouget de Lisle, 1792. BnF
        © Roger-Viollet

         

        UMSTRITTENE URHEBERRECHTE

        Obwohl Bonaparte Rouget mit der Komposition einer neuen Hymne beauftragt hatte, wurde der am 3. Januar 1800 in der komischen Oper aufgeführte Chant des combats genauso ein Misserfolg, wie das für die Rückkehr der Bourbonen im Jahr 1815 komponierte Lied Vive le roi. Da insbesondere die ersten Versionen nicht unter seinem Namen veröffentlicht wurden, musste Rougets, Komponist eines einzigen Geniestreichs, miterleben, wie seine Urheberrechte auf die Marseillaise angefochten wurden. Manche meinen, die Handschrift von Pleyel, Holtzmann oder sogar Mozart erkennen... 1863 erhält der Musikwissenschafter Fétis eine Vorladung für das Gericht, um zu bezeugen, dass die Komposition Navoigille zuzuschreiben ist, was er jedoch widerruft. 1886 entdeckt der Chart-Analyst Arthur Loth das Thema in Les Stances de la calomnie, einem Auszug aus dem Oratorium Esther, eine Partitur aus Zeiten vor der Revolution, unterzeichnet von Jean-Baptiste-Lucien Grisons, Kantor von Saint-Omer in den Jahren 1775 bis 1787. Die Angelegenheit wurden von der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt und führte zur Veröffentlichung der während der Revolution entstandenen musikalischen Werke von Constant Pierre und der Geschichte der Hymne verfasst von Julien Tiersot, beide in der Absicht, Rouget zu verteidigen. Erst kürzlich wurde eine Partitur eines virtuosen Geigers entdeckt

        Auch Giovanni Baptista Viotti verwendet in Thème et variations en do majeur von 1781 das Thema der Marseillaise. In der Tat verhält es sich so, dass in dieser Epoche keine Urheberrechte bestanden und das Lied häufig "ausgeliehen" wurde. Somit ist der Fall längst nicht abgeschlossen.

        DIE ALS STAATSFEINDLICH WAHRGENOMMENE HYMNE

        Im zweiten Kaiserreich wollte man die Marseillaise am liebsten vergessen machen, Genehmigungen für eine Neuauslegung wurden systematisch verweigert, bis es schließlich im Juli 1870 zur Kriegserklärung kam. Das Lied der Aufständigen wurde sodann in der Kommune wieder zum Leben erweckt. Am 8. September 1877 wird es während der Bestattung der Opfer von Thiers gesungen. Nach einer theatralischen Interpretation in einem Theater in Nantes hegen noch im selben Jahr republikanische Abgeordnete die Absicht, das Lied erneut als Nationalhymne anzuerkennen. Am 30. Juni 1878 wird M. Sellenick, musikalischer Leiter der republikanischen Garde, vom Obersten Kommandeur der Garde für sein Verhalten disziplinarisch belangt. Diese äußerst ungewöhnliche Sanktionierung des musikalischen Leiters des angesehenen Armeeorchesters, a fortiori für das Regime, ist exemplarisch für die Vorgehensweise des Kriegsministers General Borel. Er verbietet das Lied, indem er die bereits während der Restauration vorgebrachten Argumente wiederholt: "Abgesehen von der politischen Bedeutung, die dem Lied beigemessen werden könnte, was im Zusammenhang mit der Armee unter allen Umständen zu vermeiden ist, wurde die Marseillaise als Kriegslied komponiert und passt somit nicht zum aktuellen Status der Armee, da wir mit der ganzen Welt in Frieden leben und dies auch so bleiben soll". Dieser Vorfall findet statt in der letzten Periode der Krise des 16. Mai 1877, in der das Regime gestürzt wird, wo Einrichtungen auf die Wiederherstellung der Monarchie warten, hin zu einer radikalen Republik, in der symbolische Gesten zunehmen werden, um die revolutionäre Vergangenheit für sich zu beanspruchen. Sicherlich in Absprache mit den Pariser Behörden und während der Einweihung eines Monuments zu Ehren der Republik, lässt die Interpretation von Sellenick die huldvolle Rückkehr des revolutionären Liedes bereits erahnen. Dieser Fall hat keine Auswirkungen auf seine Karriere, bis er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wird und er vom Kriegsminister den Befehl erhält, eine noch schnellere Version für die Feierlichkeiten anlässlich des 14. Juli 1880 zu verfassen. Diese Position behält er darüber hinaus bis zum Erreichen des Höchstalters im Jahr 1884 inne.

        ENDGÜLTIGE ANERKENNUNG ALS NATIONALHYMNE

        Am 14. Februar 1879 legt Gambetta einen Gesetzesentwurf vor, der dann jedoch wieder zurückgezogen wird. Sechs Tage später beschließt das Parlament, auf Vorschlag von Kriegsminister General Gresley, die Marseillaise als offizielle Nationalhymne zu verwenden, was durch Beschluss vom 14. Juli 1795 bestätigt wird (26. Messidor im Jahr III). In einem Schreiben des Kriegsministers vom 24. Februar 1879 wird mitgeteilt, dass "die Hymne mit Titel Hymne des Marseillais bei allen Veranstaltungen zu singen ist, wo der Einsatz von Militärkapellen offiziellen Charakter hat". Dieses Schreiben wollte glauben machen, dass dieses Lied eigentlich niemals etwas anderes war als die offizielle Hymne und die anderen Regime nichts anderes waren als historische Zwischenspiele: "Aus einer Gesetzesverordnung, datiert vom 26. Messidor im Jahr III (14. Juli 1795), veröffentlicht im amtlichen Gesetzblatt, über das nie berichtet wurde, geht hervor, dass das Musikstück mit Titel Hymne des Marseillais von den Militärkapellen zu spielen ist." 1879, zu früh für einen Nationalfeiertag, hatten die Republikaner noch kein definitives Datum festgelegt. Der erste Nationalfeiertag wird somit erst am 14. Juli 1880 gefeiert, mit Fahnenübergabe auf der Pferderennbahn in Longchamp, Paraden, Artilleriesalven und Ballveranstaltungen. Seit diesem Datum wird die Marseillaise bei allen offiziellen Zeremonien gespielt.

        OFFIZIELLE PARTITUR

        Für die Einführung einer offiziellen Hymne bedarf es einer Referenzpartitur, um sicherzustellen, dass beim Zusammenspiel mehrerer Musikkapellen eine einzige identische Version gespielt wird. Die Problematik der Instrumentation und Organisation wurde dank der von Adolphe Sax 1845 durchgeführten Anpassung der Instrumente gelöst. Nun musste man sich nur noch auf die Partitur einigen. Die Harmonisierung von Gossec war nicht geeignet und die von Berlioz war eher als Begleitmusik für einen Chor vorgesehen und nicht als reine Orchesterdarbietung. 1886 rief der amtierende Kriegsminister General Boulanger einen Wettbewerb für alle musikalischen Leiter ins Leben, während die bekanntesten Musiker der Epoche in die Jury berufen wurden. Die offizielle Version für Orchester wird am 20. Mai 1887 festgelegt. 1912 folgt dann eine neue Partitur für Darbietungen mit Chor. Sie wird in der Version von Pierre Dupont geändert, im Jahr 1938 offiziell anerkannt und seither so verwendet. Einzige Ausnahme ist unter der Präsidentschaft von Giscard d'Estaing, der eine langsamere Version verlangte.

         

        transfert cendres rouget
        Überführung der Asche von Rouget de Lisle in den Invalidendom: Prozession, Avenue des Champs-Élysées, Paris, 14. Juli 1915
        © Wackernie / Excelsior - L'Équipe / Roger-Viollet

         

        HYMNEN IN EUROPA

        Ab 1792 schwappte die Welle der revolutionären Gedanken der französischen Streitkräfte auch auf die anderen europäischen Länder über. In den Jahren 1809 bis 1813 übernehmen die Studenten und Soldaten der germanischen Freischarenzüge die Kompositionen ihrer Poeten (Arndt, Weber, Uhland usw.). Die Ode an die Freude von Schiller wird von Beethoven musikalisch inszeniert. Dieses musikalische Thema, letzter Satz der 9. Symphonie, wird im Jahr 1986 zur europäischen Hymne. 1831 wird in Polen die La Varsovienne (Warszawianka) von Sienkiewski und Kurpinsky verfasst. In Belgien endet der Aufstand von 1830 mit dem Erreichen der Unabhängigkeit, die in der Oper mit den Worten der La Muette de Portici von Auber verkündet wird. In Italien spielt Verdi die Hauptfigur, dessen Name selbst bereits für Einheit steht. Das von den Partisanen der Einheit verwendete Viva VERDI steht für Viva Vittorio Emanuele Re d'Italia (Victor-Emmanuel war der italienische Thronanwärter). Die Wacht am Rhein, 1840 geschrieben und 1854 musikalisch inszeniert, war die offizielle Nationalhymne des germanischen Volkes während des Krieges im Jahr 1870. Und auch der Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben ließ sich von der nationalen Frage inspirieren und schrieb 1841 zu einer Partitur von Haydn Das Lied der Deutschen, auch bekannt als Deutschlandlied, dessen dritte Strophe die heutige Nationalhymne Deutschlands ist. Die Briten waren die ersten, die mit diesem Beispiel vorangingen und als erste Nation patriotische Hymnen schrieben. Mitte des 18. Jahrhunderts ertönten bereits Rule Britannia (1740), God Save The King (1745, die Melodie wurde aus einer Komposition von Lully übernommen, was von den Briten bis heute abgestritten wird) sowie Heart Of Oak (1759), die Hymne der Seeleute der Marine.

        EIN DIALOG ZWISCHEN DEN VÖLKERN

        Neben dem Ausdruck kollektiver Identität durch den Gesang, sind die Nationalhymnen auch ein Mittel, sich an andere Nationen zu wenden. Auf diese Weise entstand eine Art Völkerverständigung, ein Konzert der Nationen. Die Musik und somit das Lied bleiben lange im Gedächtnis der Menschen. Lieder, die in der Kindheit oder auch in der Jugendzeit erlernt werden, bleiben ein Leben lang im Gedächtnis. Sie sind wie ein unauslöschlicher Stempel, der an die folgenden Generationen weitergegeben wird. Diese Musik verwurzelt sich im kollektiven Gedächtnis, sie nimmt Einfluss auf die Entwicklung, in zwangsläufig langsamer Geschwindigkeit. Bis zur Zeit von Luther sang Europa mit einer Stimme. Und zwar nicht nur Volkslieder, sondern auch geistliches Repertoire. Lateinkenntnisse waren nicht erforderlich, um die Lieder zu singen und ihren Sinn zu verstehen. Als Luther das Deutsche zur liturgischen Sprache machte, zerbrach die Einheit, die das Lateinische vermittelte. Man kann somit interpretieren, dass anhand der Nationalhymnen der Versuch bestand, den Dialog zwischen den Menschen und Nationen zu stärken, um die verloren gegangene Einheit zurückzugewinnen. In den Zeiten, in denen es noch keine Mittel zum Aufzeichnen oder moderne Kommunikationsmittel wie Radio, Kino oder Fernsehen gab, waren die Lieder ein wichtiges Medium.

        GEMEINSCHAFTLICHE BEZIEHUNG ALS STÄNDIGER GEGENSTAND VON DISKUSSIONEN

        Eine Nationalhymne ist in dem Land, für das sie geschrieben wurde, ein Instrument der Gemeinschaft und kollektiven Identität. Über ihre Worte, Melodie und Geschichte erhält diese Komposition eine ganz eigene Bedeutung und wird von allen wiedererkannt. Wird ein Lied erst mal zur Nationalhymne, führt dies unmittelbar zur Minderung der subversiven Wahrnehmung. Während die Marseillaise während der Revolution als politisches Lied gesungen wurde, bevorzugten die Arbeiter die L'Internationale, deren Musik 1888 komponiert wurde. Diese Veränderung wird auch im Ausland wahrgenommen. Von Februar bis November 1917 wird die Marseillaise von der provisorischen Regierung Russlands als Nationalhymne angeordnet, bevor sie dann von den Bolschewisten durch die L'Internationale ersetzt wurde. Der 1938 gedrehte und von Renoir der Marseillaise gewidmete Film, trägt dazu bei, das Volk mit dem Lied zu versöhnen. Allerdings wirft auch diese Institutionalisierung weiterhin Fragen auf. Bis heute werden nur die erste Strophe, der Refrain und die sechste Strophe gesungen, allesamt von Rouget, sowie die siebte so genannte "Strophe der Kinder", die dem Abt Pessonneaux zugeschrieben wird. Alle anderen Strophen werden eigentlich nie gesungen.

        Fragen, Kritiken und Einwände, mögen sie manchmal noch so legitim sein, werden genauso in Frage gestellt wie die Stichhaltigkeit ihrer Rolle und somit der gemeinschaftlichen Verbindung, die alle Menschen derselben Nation vereinen. Und trotz der komplexen Geschichte hat die Marseillaise ihren Rhythmus innerhalb der Geschichte Frankreichs nicht verloren. Auch wenn sie nicht sicher ist vor Polemik und teilweise auch Ablehnung, so ist die Hymne nach wie vor ein Symbol der Einheit und sie bleibt unwiederbringlich mit der Republik verbunden. Sie ertönt bei allen Feierlichkeiten: Gedenkfeiern, offizielle Zeremonien, Feierlichkeiten anlässlich des Gedächtnisses, internationale Sportveranstaltungen. Seit 2003 ist die Marseillaise per Gesetz geschützt und seit 2005 wird sie von den Kindern in der Schule erlernt.

         

        gustave dore
        Gustave Doré (1832-1883). "La Marseillaise", allegorische Radierung, 1870. BnF
        © Albert Harlingue / Roger-Viollet

         

        BEISTAND FÜR DIE FRANZOSEN IN SCHWEREN ZEITEN

        Durch den Unterricht für die jungen Generationen nimmt die Institutionalisierung der Hymne ihren Weg. Als 1911 die Spannungen in ganz Europa zunehmen, macht der französische Bildungsminister Maurice-Louis Faure das Erlernen der Marseillaise an den Schulen zur Pflicht.

        Als der Erste Weltkrieg ausbricht, wird sie zum Lied der "heiligen Einheit", der letzten Bastion gegen den deutschen Aggressor. Überall, an der Front und in den hinteren Reihen, auf den Terrassen der Cafés, bei offiziellen Zeremonien und Veranstaltungen ertönt die Hymne. Als Symbol dieser Hingabe, wird am 14. Juli 1915 die Asche von Rouget de Lisle auf dem Friedhof von Choisy-le-Roi exhumiert und im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in den Invalidendom nach Paris überführt.

        Auch unter dem Regime von Vichy bleibt sie offizielle Nationalhymne und das niemals offiziell anerkannte Lied Maréchal nous voilà erreicht niemals denselben Stellenwert. Alle singen die Hymne, sowohl die französischen Soldaten in England, als auch die Gefangenen in den Stalags und die Widerstandskämpfer. In der Verfassung von 1946, und der späteren von 1958, ist die Marseillaise ausdrücklich als Nationalhymne festgeschrieben. 1962 wird sie gleichermaßen von den Partisanen des französischen Algeriens und denen von General de Gaulle gesungen, der diese so lange in seine Reden einbaute, bis diese vom Publikum mitgesungen wurde. Am 30. Mai 1968 erhält der General Unterstützung von den anwesenden Demonstranten, die auf den Champs-Élysées als Chor in die Hymne einstimmten.

        Unterschiedliche Interpretationen werden anerkannt und geschätzt, unter anderem die Version von Jessye Norman, dargeboten anlässlich der 200-Jahr-Feier der Revolution am 14. Juli 1989 auf dem Place de la Concorde oder die Version von Mireille Mathieu. Wiederum andere Interpretationen, wie die Reggae-Version von Serge Gainsbourg im Jahr 1979 sind leicht missverständlich und ihr Einsatz während der Eröffnungsfeier eines Fußballspiels ist häufig sehr umstritten. Während der Gedenkfeier der Nationalversammlung für die Opfer der Attentate vom 7. Januar 2015, wurde die Nationalhymne gemeinsam von allen Abgeordneten gesungen. Ein Zeichen jüngster Zeit, das die nationale Einheit gegenüber der terroristischen Bedrohung symbolisiert. Dieselbe Einheit wurde auch demonstriert, als sich das Parlament nach dem Attentat vom 13. November 2015 zum Kongress in Versailles versammelte.

        VEREHRUNG DER GEMEINSCHAFTLICHEN BINDUNG

        Als Ausdruck der Verbindung, die ein ganzes Volk vereint, nimmt die Nationalhymne eine heilige Dimension an. Ihre Darbietung unterstreicht den Respekt für die Haltung derer, die sie singen oder ihr zuhören. Man verspürt das Bedürfnis, sich zu erheben und sich selbst zu entdecken. Es ist nicht der Gesang als solcher, der heilig ist, sondern vielmehr das, was die Gemeinschaft dadurch repräsentiert. Bereits seit den Anfängen der Revolution nimmt die Marseillaise eine rechtmäßige Stellung ein und ersetzt das traditionelle Te Deum: "Bei Bekanntwerden der Neuigkeiten, ergeht der Beschluss für eine staatsbürgerliche Feier: auf Vorschlag des Kriegsministers Servan wird beschlossen, dass anstelle von Te Deum nunmehr die Hymne des Marseillais zu singen ist. Die Sitzung, in der die Ehre dem Lied von Rouget de Lisle (28. September 1792) zuteil wird, ist die erste, in der die Versammlung über eine zukünftige Nationalhymne berät, die dann nach erster offizieller Anhörung beschlossen wird."

        In der römischen Liturgie wird Te Deum in Festgottesdiensten gesungen, um der Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen (Siege, Feiertage, Geburten an den Fürstenhöfen, Remission von Krankheiten, Rettung, Prozessionen usw.) sowie bei allen Gelegenheiten und Anlässen, für die es Gott zu danken gilt. Das Ersetzen dieser Hymne durch die Marseillaise zum Feiern eines Sieges weist auf die neue Wertigkeit ihrer heiligen Bedeutung hin. Nunmehr ist es nicht mehr Gott, der von den Menschen gefeiert wird, sondern vielmehr feiert sich das Volk selbst als Meister seines eigenen Schicksals.

        Autor

        Thierry Bouzard - Musikhistoriker

        Verdun 1916-2016

        Aktie :

        Soldaten in den Schützengräben an einem Ort mit dem Namen Monument nach der Offensive vom 15. Dezember 1916. - © ECPAD / Albert Samama-Chikli
        Soldaten in den Schützengräben an einem Ort mit dem Namen Monument nach der Offensive vom 15. Dezember 1916. - © ECPAD / Albert Samama-Chikli

        Zusammenfassung

          Zusammenfassung

          Datum : 10. - 31. August 1944

          Ort : Paris

          Ausgang : Befreiung von Paris

          Anwesende Truppen : 5. amerikanisches Armeekorps von General Gerow

          2. Panzerdivision von General Leclerc

          Französische Streitkräfte des Inneren (FFI)

          Deutsche Garnison des Generals von Choltitz

          Die Schlacht von Verdun steht für die Franzosen für den Krieg 14-18 in all seiner Intensität und all seinem Schrecken, aber sie ist auch "die" Schlacht geworden, Symbol für den Widerstand und den Sieg, bevor Verdun zum Ort der deutsch-französischen Versöhnung wurde. Antoine Prost und Gerd Krumeich stellen hier ihre Analysen gegenüber, um die Erinnerung an Verdun auf beiden Seiten des Rheins zu hinterfragen.

          UNTER WELCHEN BEDINGUNGEN FAND DIE SCHLACHT STATT?

          Antoine Prost : Am Ende des Jahres 1915 scheint der Krieg festgefahren zu sein. Die Alliierten schafften keinen Durchbruch und ihr Scheitern im Artois und in der Champagne hat den deutschen Oberbefehlshaber Falkenhayn davon überzeugt, dass ein Durchbruch unmöglich war. Aber dieser möchte den Krieg wieder in Bewegung bringen. Er schätzt die britische Armee sehr, aber er glaubt, dass die französische Armee am Ende ihrer Kräfte ist. Wie könnte dieses Volk den Krieg noch fortsetzen? Daher rührt die Idee, den Franzosen in einem Sektor eine große Niederlage zuzufügen, in dem die Briten ihnen nicht helfen konnten. Er glaubte, dass sie dann um einen Separatfrieden bitten würden. Ein falsches politisches Kalkül, dem eine Unterschätzung des Gegners zugrunde lag. Aber warum der Angriff auf Verdun?

          clemenceau

          Ratspräsident Georges Clemenceau am Mort-Homme bei einem Besuch auf dem Schlachtfeld, September 1917.

          © ECPAD 1917 / Albert Samama- Chikli

          Sobald die Schlacht festgefahren war, gab Falkenhayn vor, dass er die Franzosen bluten lassen wollte, weil sie diesen Ort aufgrund seiner symbolischen Bedeutung um jeden Preis verteidigen mussten. Genau das passierte auch. Aber in den deutschen Stäben sprach vor der Schlacht niemand vom Blutvergießen. Im Übrigen war Verdun für die Franzosen bei weitem nicht so wichtig wie Reims. Im September 1914 gab es sogar den Befehl zur Evakuierung. In der Tat waren es militärische Gründe, die Falkenhayn bewogen. Die befestigte Region von Verdun stellte einen bedrohlichen Einschnitt in seinen Linien dar. Andererseits war sie auch schwer zu verteidigen. Vor allem war ihre Verbindung im Inneren sehr schlecht: Die Eisenbahnlinie nach Nancy wurde in Saint-Mihiel von den Deutschen und die von St. Menehould unter dem Feuer ihrer Artillerie gekappt. So blieb nur eine schmalgleisige Bahn und eine Schotterstraße, die 1915 erweitert wurde, die jedoch nicht so intensiv genutzt werden konnte wie dies die Franzosen taten. Andererseits würden diese Schwierigkeiten haben, am rechten Ufer zu kämpfen, da die Maas einen großen Einschnitt darstellte und es weniger als ein Dutzend Brücken gab. Falkenhayn entschied also zunächst, nur am rechten Ufer und nicht auf beiden Seiten anzugreifen, wie es der Stabschef der Angriffsarmee verlangte.

          Diese Wahl war eine Entscheidung für die Taktik, die seine Truppen schonen sollte. Er verließ sich auf seine schwere Artillerie, die viel stärker als die der Franzosen war, um deren Positionen so niederzuschlagen, dass sie diese nicht mehr verteidigen konnten. In der Tat ist der deutsche Angriff kein Sturm, die Infanteristen haben Vertrauen; wenn sie auf Widerstand treffen, ist der Befehl, auf eine weitere Bombardierung zu warten. Diese Taktik konzentriert das gesamte Feuer auf einem relativ engen aber tiefen Bereich, um so das intensivste Trommelfeuer zu erreichen und die Ankunft von Verstärkungen zu vereiteln.

          Die im Dezember beschlossene Offensive wurde schnell gestartet: am 12. Februar war sie bereit, aber aufgrund des schlechten Wetters wurde sie auf den 21. verschoben. Joffre der große Schlachten in breiter Front entwarf, konnte sich nicht vorstellen, dass die Deutschen in diesem Gelände mit tiefen Furchen so massiv angreifen könnten und hat die Gefahr erst sehr spät erkannt. Er war sich der dramatischen Unvorbereitetheit der Front von Verdun nicht bewusst und seine Armee war sowohl quantitativ als auch qualitativ der Armee von Falkenhayn unterlegen. Er traf die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen erst im letzten Moment. Man kann nicht sagen, dass die Franzosen überrascht waren, aber sie waren nicht bereit. Die erste Woche der Schlacht endete fast in einer Katastrophe.

          zeremonie an dem

          Zeremonie an dem im Bau befindlichen Beinhaus von Douaumont 1927

          © Suddeutsche Zeitung / Rue des Archives

           

          WARUM WURDE DIE SCHLACHT VON VERDUN ZU EINEM SYMBOL DES ERSTEN WELTKRIEGS?

          Antoine Prost : Verdun ist nicht überall das Symbol für den ersten Weltkrieg. Für die Engländer zählen die Somme oder Passendale viel mehr. Aber ja, für die Franzosen ist sie ein Symbol für den gesamten Krieg. Die Soldaten sagten bereits 1916: "Wer nicht in Verdun war, war nicht im Krieg." Dies ist übrigens auch in Bezug auf den Völkermord an den Armeniern alles, was laut den Programmen Schülern sinnvollerweise über den Krieg gelehrt werden sollte.

          Für die Soldaten stellt dieser Kampf den Höhepunkt der Gewalt dar: sie hatten noch nie eine derartige Hölle gesehen; es war schlimmer als in den früheren Schlachten. Aber sie konnten Verdun nicht mit den folgenden Schlachten an der Somme oder dem Chemin des Dames vergleichen. Nun, sie waren wahrscheinlich die schlimmsten, da sich das Kriegsmaterial weiterentwickelt hatte, die Bombardierungen immer massiver und die Maschinengewehre immer zahlreicher wurden. Zeugen erzählen überall von den gleichen Schrecken: Durst, Schlamm, Gerüche, Erschöpfung, Hilflosigkeit unter den fallenden Granaten, Rufe der Verwundeten, zerfetzte Leichen, der Tod ist allgegenwärtig. Wir können das Grauen der Schlachten nicht messen und das Ergebnis waren 143.000 tote Deutsche und 163.000 tote Franzosen, wobei die monatlichen Verluste an der Somme höher waren als die von Verdun.

          Es wurden weitere Gründe zur Erklärung der Ausnahmestellung von Verdun genannt: Die Tatsache, dass es die einzige Schlacht des Krieges ist, an der die Alliierten nicht direkt beteiligt waren oder die Noria (Pater Noster), die 73 der ungefähr 100 Divisionen der französischen Armee nach Verdun geschickt hat, ebenso wie die Tatsache, dass an ihr von allen Schlachten des Krieges die meisten Soldaten beteiligt waren. Diese Erklärungen sind dennoch nur zweitrangig.

          die sterblichen

          Die sterblichen Überreste des unbekannten Soldaten verlassen Verdun für die Zeremonien am 11. November 1920 in Paris.

          © Neurdein / Roger-Viollet

          In der Tat galt Verdun zu der Zeit als Ausnahmeschlacht - "die" Schlacht, die man nicht verlieren durfte. Seit 1914 lag die Initiative bei den Alliierten. Und nun griffen die Deutschen an. Und was für ein Angriff! Innerhalb weniger Tage rückten sie 6 bis 8 Kilometer vor, die Front brach zusammen und die Niederlage drohte. Die Franzosen fürchteten, den Krieg zu verlieren, und sie wussten, was das bedeutete: sie hatten den vorigen Krieg verloren und das hatte sie das Elsass und Lothringen gekostet. Sie mussten um jeden Preis verhindern, dass die Deutschen durchbrachen. Die Angst war überall zu spüren: bei Politikern, Journalisten und der gesamten Bevölkerung. Die Soldaten verstanden die Bedeutung dieser Herausforderung und in den entscheidenden Momenten der Schlacht - Ende Februar oder im Juni, als die Deutschen bis auf weniger als 4 km bis zur Stadt vordrangen - kämpften sie mit einer unvorstellbaren Verbissenheit unter fürchterlichen Bedingungen. Darauf sind sie berechtigterweise stolz - dies verdanken wir zahlreichen Zeugenaussagen, denn Redakteure und Öffentlichkeit waren ganz begierig darauf.

           

          WIE LÄSST SICH DIE BESONDERE STELLUNG VON VERDUN IN DER VORSTELLUNG DER FRANZOSEN ERKLÄREN?

          Antoine Prost : Diese Frage habe ich bereits zum Teil beantwortet, aber man muss noch präziser sein. Der Mythos von Verdun konzentriert sich auf das rechte Maasufer: zwischen der Stadt und dem Beinhaus von Douaumont. Das linke Maasufer zählte weitaus weniger, auch wenn die Franzosen im Dezember 1916 nach der Wiedereinnahme der zwei Forts von Douaumont und Vaux dort Sieg riefen, und ebenso wenig die Höhe 304 und der Mort-Homme (Toter Mann), wo ebenfalls heftige Kämpfe stattfanden und die immer noch von den Deutschen gehalten wurden. Diese Asymmetrie erklärt sich durch die Entscheidung der Militärs und der Politik vom 25. Februar, Verdun am rechten Ufer zu verteidigen. Dies hieß mit der Schwierigkeit zu spielen, denn es war militärisch machbar, sich hinter die Maas zurückzuziehen. Diese Möglichkeit wurde übrigens mehrfach ins Auge gefasst. Aber durch diese Entscheidung bekommt das rechte Ufer einen außergewöhnlichen symbolischen Wert.

          zeremonie am beinhaus

          Zeremonie am Beinhaus von Douaumont bei der Ankunft der Särge von 52 nicht identifizierten Soldaten, 1927.

          © Albert Harlingue / Roger-Viollet

          Bereits 1916 wollen alle, die wichtig sind, wie Minister, Parlamentarier, Journalisten, Akademiker, Künstler nach Verdun und dies auch kundtun. Poincaré fährt sechs Mal dorthin. Im September verleiht er der Stadt den Orden der Ehrenlegion und das Kriegskreuz sowie ein Dutzend ausländische Ehrenzeichen. Im November schafft die Stadt eine Medaille für die Soldaten von Verdun. 1920 werden in der Zitadelle von Verdun aus acht Särgen mit unbekannten Soldaten derjenige ausgewählt, der unter dem Arc de Triomphe begraben wird. Städte taufen Straßen auf den Namen von Verdun. Mehrere Akteure beteiligen sich daran, das Schlachtfeld, wo das Leben nicht wieder aufgenommen wird, für unantastbar erklären zu lassen. Der Bau des Beinhauses durch einen Ausschuss umfasste 14 Millionen Spenden und man wartete darauf, dass sich auch der Staat beteiligte, damit die Arbeiten 1932 abgeschlossen werden konnten. 22 kleine Friedhöfe befinden sich in einer Nekropole von 16.000 Gräbern vor dem Beinhaus. Pilgerreisen von Veteranen, Tourismus, Gedenkfeiern ergänzen diese Arbeit. Im Juli 1936 kamen 30.000 Veteranen aus zehn Ländern, hauptsächlich Franzosen, Italiener und Deutsche nach Douaumont, um einen Eid auf die Verteidigung des Friedens zu schwören. Zwischen 1962 und 1967 erbaute das Nationalkomitee zur Erinnerung an Verdun neben dem zerstörten Dorf Fleury ein Denkmal, um die Erinnerung an die Soldaten fortbestehen zu lassen, auch wenn es die Zeitzeugen nicht mehr gibt.

          Aber der Kontext verändert sich. Da Douaumont ein wichtiger Ort für den heute pazifistischen Nationalstolz ist - der eines Frankreichs, das nicht angreift, aber sich zu verteidigen weiß - gab es keinen besseren Ort als diesen, um mit einer stillen und dennoch starken Geste, einem Händedruck zwischen François Mitterand und Helmut Kohl, der Versöhnung der beiden Völker, die sich so hart bekämpft haben, Ausdruck zu verleihen.

           

          WELCHEN STELLENWERT HAT DIE SCHLACHT VON VERDUN IM EUROPÄISCHEN BEWUSSTSEIN?

          Gerd Krumeich : Was man über die "Besonderheit" der Schlacht sagt, gilt ebenfalls in einem hohen Maß für die europäische Erinnerung.

          Der Erste Weltkrieg hatte enorme Folgen für Europa; er hat seine herausragende Stellung in der Welt endgültig verloren. Und die Schlacht von Verdun hat heute einen derartigen Charakter, dass sie immer das Symbol des Ersten Weltkriegs bleiben wird. Sie ist es bereits seit der Schlacht, als "Verdun" von französischen Politikern und Militärs zu einem heiligen Ort - einem Ort, "an dem man nicht vorbeigeht" - hochstilisiert wurde und nicht nur vom Präsidenten der französischen Republik Raymond Poincaré, sondern auch von zahlreichen Staatsvertretern der Alliierten und neutraler Staaten besucht wurde, die auch der Stadt einen Besuch abstatteten und diese viele Male auf unterschiedliche Weise auszeichneten.

          Nach dem Krieg wussten alle, dass Verdun der unausweichliche Ort des Massakers und des Schreckens war; allen, die die Möglichkeit eines Krieges in Erwägung ziehen könnten, zeigte er die Sinnlosigkeit jedes Kriegs. Verdun wurde eine Art Hauptstadt des europäischen Friedens. Und dies vor allem, weil die Erinnerung der Franzosen an Verdun keine triumphierende Erinnerung an den Sieg, sondern eine heikle Mischung ist aus Stolz auf das, was man erreicht hat, und tiefer Trauer um die Toten, deren Schicksal die Gedenkfeiern überragt ...

          Die Erinnerung an die Schlacht von Verdun wurde daher schnell zur Erinnerung an die großen Opfer, die von vielen Soldaten verlangt wurden - Soldaten der beiden Nachbarvölker, die seit vielen Jahrhunderten Feinde waren. Beide Länder, die das Zentrum eines entstehenden Europas waren und immer noch sind, wissen, dass Verdun nur der Triumph des Todes war. Und aus diesem Grund machte man sich auch daran, dieser Schlacht gemeinsam zu gedenken, Poilus und Feldgrau vereint. Dies geschah ab dem Ende der zwanziger Jahre, als die Treffen zwischen Veteranenorganisationen begannen. Diese Bewegung in Richtung einer gemeinsamen Erinnerung erreichte ihren Höhepunkt - auf dieser Ebene unumgänglich - als sich am 12. und 13. Juli 1936 über 30.000 Veteranen aus zehn Ländern, vor allem Franzosen, Deutsche und Italiener in der Nekropole von Douaumont vor dem Beinhaus versammelten und einen "Friedenseid" mit dem folgenden Wortlaut schworen:

          "Weil diejenigen, die hier und anderswo ruhen, nur in den Frieden der Toten eingegangen sind, um Frieden zwischen den Lebenden zu stiften…

          Und weil es ein Sakrileg wäre, etwas zuzulassen, dass die Toten verabscheut haben

          Wir schwören, dass wir den Frieden, den wir ihrem Opfer verdanken, bewahren und wünschen."

          Dies war der erste Schritt in Richtung einer endgültigen Versöhnung, aber in diesem Augenblick hatte er keine merkliche Wirkung, denn die Deutschen wollten vor dem Frieden Rache. Aber nach dem "Zwischenspiel" des Zweiten Weltkriegs konnte Verdun schließlich wieder als symbolträchtiger Ort der Versöhnung auferstehen und die Symbolfunktion für den Frieden bekräftigen, die die Stadt in den zwanziger und dreißiger Jahren innehatte.

          Im europäischen Bewusstsein ist "Verdun" heute immer noch das Symbol für einen "absoluten" Krieg, das am Ende jede kriegerische Regung ausgelöscht hat.

          50e anniversaire

          50. Jahrestag der Schlacht von Verdun: General de Gaulle und Pierre Messmer, Verteidigungsminister, im Beinhaus von Douaumont, 29. Mai 1966.

          © Rue des Archives / AGIP

           

          WELCHEN STELLENWERT HAT VERDUN IN DER ERINNERUNG DER DEUTSCHEN?

          Gerd Krumeich : Heute sind sich die Deutschen der Tatsache, dass Verdun sie als Teil ihrer Geschichte betrifft, nur in sehr geringem Maße bewusst. Für die meisten unserer Zeitgenossen ist es eine Schlacht, die genauso weit entfernt ist wie Sedan oder Leipzig. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass der Erste Weltkrieg insgesamt nicht im entferntesten den wichtigen Stellenwert hat wie in der Erinnerung der Franzosen und der Engländer. Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wurde quasi "verschluckt" durch die Erinnerung an einen noch größeren Krieg, den von 1939 bis 1945, als Deutschland verwüstet wurde und dessen riesige Verantwortung uns bis heute in erster Linie beschäftigt. Wenn Verdun in der deutschen Erinnerung präsent ist, dann in kriegsgeschichtlicher Hinsicht und nicht als nationale Geschichte. Es gibt keine trauernden Gemeinden mehr. Es wird persönlich kein Unterschied gemacht, ob der Großvater oder Urgroßvater in Verdun oder an der Somme oder an der Ostfront gefallen ist. Das alles ist so weit weg ...

          Und dies natürlich umso mehr, da Verdun nicht nur eine verlorene Schlacht war, sondern auch durch die tiefe Erinnerung kompletter Absurdität besudelt wurde.

          Dies ist die Wirkung der so genannten "Weihnachtsdenkschrift" von Generalstabschef Erich von Falkenhayn, der behauptet hat, dass er Verdun nicht einnehmen wollte, aber dort einen geeigneten Platz gefunden hat, um die Franzosen "ausbluten" zu lassen. Es wurde nun aber festgestellt, dass diese Weihnachtsdenkschrift zweifellos eine Fälschung ist, die nach dem Krieg erstellt wurde, um die Niederlage zu erklären. Dadurch wurde verhindert, dass die Feldgrauen von Verdun und auch die gesamte Öffentlichkeit 1920 nicht zutiefst schockiert waren, als sie diese Version der Schlacht erfuhren: Die Deutschen wussten sehr wohl, dass ihre Armee vor Verdun genauso stark ausgeblutet war wie die ihres Feindes. Also eine unnötige Schlacht und der sogenannte Plan von Falkenhayn wurde als eine Art Dolchstoß in den Rücken der Soldaten empfunden: sie wurden vor Verdun geopfert, um es einzunehmen und mit diesem Sieg einen Krieg zu beenden, den niemand mehr wollte. Und so wurde ihnen gesagt, dass es sich darum gehandelt hatte, die Franzosen ausbluten zu lassen. Deshalb ließ man sie selbst ausbluten! Also ein unnötiges Opfer, durch das alles "Heilige" in der Erinnerung an Verdun verloren geht.

           

          WORIN LIEGT DIE BESONDERHEIT DIESER SCHLACHT?

          Gerd Krumeich : Es gibt mehrere Besonderheiten der Schlacht von Verdun. Deshalb ist sie eine der größten Schlachten nicht nur des Ersten Weltkriegs, sondern der Weltgeschichte geblieben.

          Da ist zunächst die Tatsache des Fortbestands. Denn das relativ begrenzte Schlachtfeld (30 bis 40 km2) ist hundert Jahre später immer noch ein vom Krieg erschüttertes Gebiet. Eine Landschaft, in der die - etwas eingeebneten - Granatlöcher dem Ort immer noch einen Dünencharakter verleihen, eine Landschaft, in der die Vegetation - nur mit Mühe - gewonnen hat. So kann man sich leicht vorstellen, wie es damals war. Es gibt andererseits riesige Festungen, so viele Orte und Namen, die den Schrecken der Zeit wieder aufleben lassen: das Fort Douaumont, das Fort Vaux, der Tunnel von Tavannes, Der Mort-Homme usw. Und dann ist da noch das den Ort beherrschende Beinhaus von Douaumont, dieses beeindruckende Gebäude, wo man durch die kleinen Kellerfenster die Menge der Knochen, die dort aufbewahrt werden, kaum sehen kann. Ungefähr 135.000 französische und deutsche Soldaten, deren Namen niemand kennt. "All dies" war auf dem Schlachtfeld verstreut und in der Erde vergraben und wurde dann in den zwanziger Jahren und danach gesammelt. All dies macht das Blutbad von Verdun, dieses 10 Monate dauernde, riesige - und unsagbare - Blutbad für jeden und für alle Zeit greifbar. Ein Nahkampf, ein echter archaischer Kampf "Mann gegen Mann", dessen Besonderheit darin bestand, dass er von einem Granaten-Trommelfeuer aller Kaliber verstärkt durch etwa 10 km entfernte große Kanonen unterstützt wurde. Diese Form des Kampfes war einzigartig; es war der Übergang zu einem wirklich industrialisierten Krieg, der später den Tod aus der Entfernung über ein "leeres" Schlachtfeld" brachte,wie an der Somme und in Flandern. Aber Verdun bleibt einzigartig: es gibt keine andere Schlacht, in der auf diese Weise der archaische Krieg, in dem man sich buchstäblich erdrosselt hat, und der industrielle Tod aus großer Entfernung kombiniert wurden.

          "Verdun" gedenken bedeutet also des Ersten Weltkriegs in seiner Gesamtheit zu gedenken an einem Ort, an dem immer noch der Tod regiert und dessen Landschaft von Militärfriedhöfen beherrscht wird, wo - zusätzlich zu denen im Beinhaus - fast 200.000 junge Franzosen und Deutsche begraben sind. Franzosen und Deutsche - denn in der Schlacht standen sich nur diese kriegführenden Nationen gegenüber - das ist ebenfalls einzigartig während des Ersten Weltkriegs. Verdun zu gedenken ist daher auf mehreren Ebenen und aus mehreren Gründen unerlässlich: Verdun ist ein Symbol des Krieges in all seinen Formen und mit all seinen Verwüstungen. Verdun ist auch ein unumgänglicher Ort für den Krieg zwischen Frankreich und Deutschland vor hundert Jahren, ein Krieg, der so absolut war, dass er nur zum endgültigen Frieden zwischen diesen beiden Nationen führen konnte. Frieden und Verständigung - der Händedruck zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl am 22. September 1984 symbolisiert dies perfekt. Eine Verständigung, die die Grundlage für ein friedliches Europa ist, in dem niemand mehr an einen Eroberungskrieg denkt.

          22 september f mitterrand

          François Mitterrand und Helmut Kohl vor dem Beinhaus von Douaumont, 22. September 1984.

          © Picture Alliance / Rue des Archives

          Autor

          Antoine Prost - emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Universität Paris 1-Panthéon-Sorbonne/Gerd Krumeich - emeritierter Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und außerordentlicher Professor am Institut für Zeitgeschichte

          Der Gedächtnistourismus, eine nationale Herausforderung

          Aktie :

          Zusammenfassung

            Zusammenfassung

            DATUM : 26. November 2015

            ORT : Militärschule, Paris

            AUSGABE : Dritte Ausgabe des Treffens des Gedächtnistourismus

            ORGANISATION : Verteidigungsministerium und Ministerium für Tourismus

            VORSITZENDE : Jean-Marc Todeschini, Staatssekretär für Veteranen und Gedächtnis

            Matthias Fekl, Staatssekretär für Außenhandel, Förderung des Tourismus und der Franzosen im Ausland

            Der Gedächtnistourismus ist eine große Herausforderung für die Regierung und vor allem für das Verteidigungsministerium: eine staatsbürgerliche und pädagogische Herausforderung bei der Weitergabe der Erinnerungskultur an die jungen Generationen, auch eine kulturelle und touristische Herausforderung bei der Bewahrung des Zeugnisses der Geschichte und der Entwicklung des Staatsgebiets.

            Kriegsgräber, wichtige Orte der nationalen Erinnerung, nationale Museen, Traditionsmuseen und andere Gedenkstätten... das Verteidigungsministerium hat in Frankreich und im Ausland ein überaus reiches historisches Erbe und Gedenkerbe, das unbedingt erhalten, gepflegt und ins richtige Licht gesetzt werden muss. Es ist daher selbstverständlich, dass das Verteidigungsministerium, der zweite kulturelle Betreiber des Staates, für die Gebiete, die sich für den Gedenktourismus einsetzen, zum Partner geworden ist.

             

            montluc
            Besucher vor der Hinrichtungsmauer im Gefängnis Montluc in Lyon, Rhône.
            © ECPAD / A. Karaghezian

             

            WICHTIGE STÄTTEN: GEDÄCHTNIS AN ZEITGENÖSSISCHE KONFLIKTE

            Als Orte des Gedenkens und der Erinnerung sind die neuen nationalen Gedenkstätten das Theater für die nationalen Gedenkfeiern. Indem sie das Gedenken an und das Opfer der Soldaten ehren, tragen sie durch die Weitergabe der Werte der Republik auch zur staatsbürgerlichen Bildung der Jugend bei. Diese Stätten rufen jeweils einen Aspekt des Gedenkens an zeitgenössische Konflikte in Erinnerung. Man findet darunter die beiden berühmtesten Militärfriedhöfe Frankreichs: die Nationalfriedhöfe von Notre-Dame de Lorette in le Pas-de-Calais und von Douaumont mit dem Bajonettgraben (Tranchée des Baïonnettes) an der Maas erinnern an das Opfer der im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Fünf weitere Stätten sind dem Zweiten Weltkrieg gewidmet: die Gedenkstätte Mémorial de la France combattante auf dem Mont-Valérien in Suresnes (Hauts-de-Seine), die nationale Gedenkstätte Gefängnis von Montluc in Lyon, le Mémorial des martyrs de la Déportation (Denkmal für die Martyrer der Deportation) auf der Île de la Cité in Paris, die Stätte des ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof im Elsass und Mémorial du débarquement et de la libération en Provence (Denkmal für die Landung und Befreiung der Provence) auf dem Mont-Faron in Toulon. Für die Zeit der Entkolonialisierung ehren zwei Gedenkstätten die Veteranen der Kolonialkonflikte: das Denkmal für die Gefallenen im Indochinakrieg und Fréjus und das Denkmal für den Algerienkrieg und die Kämpfe und Marokko und Algerien am Quai Branly in Paris.

             

            fraternisation
            Einweihung der Gedenkstätte durch den Präsidenten der Republik
            © Présidence de la République

             

            Jedes Jahr ziehen diese Gedenkstätten 300.000 Besucher an. Der Anstieg der Besucherzahlen , die Anpassung des Angebots an die neuen Erwartungen der Öffentlichkeit, die absolute Notwendigkeit, die Erinnerung an die jüngeren Generation weiterzugeben, haben die DMPA dazu veranlasst, seit mehreren Jahren an diesen Gedenkstätten ein großes Arbeitsprogramm zu absolvieren. Es begann mit der Schaffung des Centre européen du résistant déporté (CERD = Europäisches Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers) in Struthof im Jahr 2005. In ähnlicher Weise wurde in der Gedenkstätte von Fréjus der renovierte Saal 2010 für die Öffentlichkeit geöffnet. Auf dem Mont-Valérien wurden eine Dauerausstellung und ein Dokumentationszentrum eingerichtet. Seitdem wird das Programm vor allem mit Renovierungsarbeiten des Denkmals für die Märtyrer der Deportation und des Denkmals auf dem Mont-Faron fortgesetzt.

             

            DAS REICHE KULTURELLE UND HISTORISCHE ERBE DER VERTEIDIGUNG

            Drei nationale Museen sind an das Verteidigungsministerium angegliedert: das Musée de l'Armée (Armeemuseum) des Invalides, das Luft- und Raumfahrtmuseum in Le Bourget, und das Nationale Marinemuseum am Trocadéro und seine vier dazugehörigen Häfen in Brest, Port-Louis, Rochefort und Toulon. Diese drei öffentlichen Einrichtungen, die vom Namen "Museum von Frankreich" profitieren, empfangen jährlich über zwei Millionen Besucher.

            Das Ministerium besitzt 17 weitere Museen, die im ganzen Land verteilt sind. 16 Waffenmuseen, die Geschichte, Traditionen, Handwerk und Techniken der unterschiedlichen Waffen und Abteilungen des Heeres zeigen (Artillerie, Panzerwaffen, Kavallerie, Marinetruppen, Fremdenlegion, Fallschirmjäger, Technik, Kommunikation, Ausrüstung, Musée du Train et des Equipages, Gebirgsjäger, Leichtflugzeuge des Heeres…) und das Musée du Service de santé des armées.

            Darüber hinaus sind viele repräsentative Gebäude, die als historische Denkmäler geschützt sind, Staatseigentum und dem Verteidigungsministerium unterstellt: Das Hôtel national des Invalides, die Militärschule, das Schloss Vincennes oder auch die Zitadellen von Vauban. Das Verteidigungs- und das Kulturministerium, die mit der Erhaltung und Förderung dieses einzigartigen Erbes betraut sind, haben bereits seit 35 Jahren eine jährliche Finanzierungsvereinbarung der geplanten Restaurierungsprojekte von Denkmälern im gesamten Staatsgebiet unterzeichnet.

             

            PFLEGE DER GRÄBER DER FÜR FRANKREICH GEFALLENEN SOLDATEN

            Fast 900.000 Leichname ruhen in 266 Nationalfriedhöfen, 2.200 Militärparzellen der Gemeinden und sieben ausländischen Militärfriedhöfen in Frankreich. Tausende von Grabstätten befinden sich auch in 80 Ländern; dort ruhen 230.000 französische Soldaten. Ein mehrjähriges Programm (2011-2018) wurde für die bevorzugte Wiederherstellung der Friedhöfe des Ersten Weltkriegs gegründet. Es sieht in Frankreich die Wiederherstellung von über vierzig Nationalfriedhöfen und zahlreichen Parzellen der Gemeinden vor; dies sind nahezu 100.000 Gräber und 66 Beinhäuser; dabei sind die Arbeiten an den Stätten im Ausland, vor allem in Belgien und an der ehemaligen Ostfront noch nicht berücksichtigt. Ein Programm zum Austausch der historischen Informationstafeln auf diesen Friedhöfen und auf den wichtigsten Militärparzellen der Gemeinden wurde ebenfalls 2014 ins Leben gerufen. Schließlich legt eine 2015 erstellte Landschaftscharta die allgemeinen Grundsätze für die Raumplanung und -nutzung der Gedenkstätten fest, so dass sich die Besucher dort unter guten Bedingungen treffen können, aber auch etwas über die Geschichte des Ortes und der Soldaten, die dort begraben sind, erfahren und lernen.

             

            maissin
            Friedhof von Maissin, Belgien.
            © SGA-DMPA / G. Pichard

             

            PROJEKTE IN DEN GEBIETEN AUS NÄCHSTER NÄHE BEGLEITEN

            Das Verteidigungsministerium ist ein wichtiger Akteur im Gedächtnistourismus, fördert diesen aber genauso durch die Entwicklung lokaler Partnerschaften zur Verbesserung und Wiederherstellung der Gedenkstätten. Das Ministerium unterstützt Gemeinden und Trägerverbände der kohärenten und hochwertigen Denkmalprojekte. Bereits zwanzig Projekte auf dem gesamten Staatsgebiet wurden so bereits unterstützt. So war das Ministerium an der Förderung und Entwicklung des Hartmannswillerkopf (Haut-Rhin) einschließlich Sanierung der Krypta, des Denkmals des Beinhauses und Bau eines deutsch-französischen Dokumentationszentrums, das 2015 eingeweiht wurde, beteiligt.

            Ebenso werden die Maßnahmen des Rats des Departements Maas seit sechs Jahren unterstützt: Sanierung des Weltzentrums für den Frieden in Verdun, Sanierung des Beinhauses von Douaumont, Arbeiten an den Forts von Vaux und Douaumont und Renovierung des Mémorial von Verdun, die vor kurzem wieder für die Öffentlichkeit geöffnet wurde. Das Verteidigungsministerium ist auch auf seiten des Regionalrats von Nord-Pas-de-Calais bei einem ehrgeizigen Projekt zur touristischen Entwicklung und Förderung der Gedenkstätten wie der Ring der Erinnerung und das Centre d'Histoire Guerre et Paix in Souchez in der Nähe des Nationalfriedhofs von Notre-Dame de Lorette beteiligt.

            Im Departement Somme ist das Ministerium an der Neugestaltung des Museums Historial de la Grande Guerre in Péronne und am Interpretationszentrum von Thiepval beteiligt. Die Realisierung der Gedenkstätte Mémorial du camp de Rivesaltes (Pyrénées-Orientales), im Oktober 2015 vom Premierminister eingeweiht, die Sanierung des ehemaligen Bahnhofs von Bobigny (Seine-Saint-Denis) oder die Einrichtung eines der Résistance en Morvan (Nièvre) gewidmeten Gedächtniswegs erhielten finanzielle Unterstützung.

             

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            Nationalfriedhof Metz Chambière, Moselle.
            © ECPAD / J. Lempin

             

            Das Verteidigungsministerium unterstützt das Entwicklungsprogramm der Gedenkstätten durch Finanzierung von kulturellen Aktivitäten (Wechselausstellungen, Veröffentlichungen ...), Bildungsprojekten oder touristischen Mitteln wie Gedächtniswegen. Partnerschaftsabkommen sind diesbezüglich mit verschiedenen Gedenkstätten wie dem Historial von Péronne, dem Mémorial du Camp des Milles (Aix-en-Provence) oder dem CERCIL (Centre d'étude et de recherche sur les camps d'internement dans le Loiret et la déportation juive) zustande gekommen.

            Aufgrund des Interesses vieler Länder an der Erinnerung an zeitgenössische Konflikte überwindet die Gedächtnispolitik des Staats die Grenzen Frankreichs und nimmt internationale Dimensionen an: Denkmäler zu Ehren der an den zwei Weltkriegen beteiligten Länder werden saniert oder geschaffen. So wird ein französisches Denkmal im Memorial Park von Wellington, Neuseeland aufgestellt. Frankreich ehrt seine Verbündeten und mehrere Projekte wie die Sanierung der Gedenkstätte Mémorial de l'Escadrille La Fayette in Marnes-la-Coquette (Hauts-de-Seine) oder der Bau eines kanadischen Denkmals in Loos-en-Gohelle (Pas-de-Calais) müssten ausländische Touristen nach Frankreich ziehen.

             

            STRUKTURIERUNG DES SEKTORS: DIE ROLLE DES MINISTERIUMS UND DER AUFBAU EINES NETZWERKS

            Frankreich verfügt über ein ebenso wertvolles wie beeindruckendes Angebot für den Gedächtnistourismus. Um die Gedenkstätten und Partner des Gedächtnistourismus zusammenzuschließen, hat das Verteidigungsministerium ein Netzwerk von Museen und Gedenkstätten der zeitgenössischen Konflikte geschaffen (MMCC). Dieses professionelle Netzwerk fördert Synergien zwischen seinen Mitgliedern, koordiniert deren Initiativen und erleichtert die Integration sowohl im Rahmen der Gedächtnispolitik des Staates als auch der lokalen Politik zur Förderung touristischer Einrichtungen.

            Darüber hinaus haben das Verteidigungsministerium und das Tourismusministerium 2004 ein Partnerschaftsabkommen zur Strukturierung des Gedächtnistourismus unterzeichnet. Das Ziel besteht darin, international sichtbare Exzellenz über die Gedenkfeiern im Zusammenhang mit den zwei Weltkriegen hinaus zu bieten. Die erste Maßnahme ist die Messung der Besucherzahlen und des wirtschaftlichen Gewichts dieses Tourismussektors. 2010-2011 wurde die erste nationale Studie über den Gedächtnistourismus durchgeführt. Sie hat gezeigt, dass die historischen Stätten der zeitgenössischen Konflikte im Jahr 2010 über sechs Millionen Menschen angezogen und fast 45 Millionen Euro Umsatz gemacht haben.

            Um die Entwicklung dieser echten Begeisterung zu verfolgen, wurde 2015 eine Beobachtungsplattform, die in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Tourismus und dessen Betreiber "Atout France" entwickelt wurde, ins Netz gestellt. Mit diesem Tool können die Entwicklung des Sektors, die wichtigsten Trends und die Auswirkungen der großen Gedenkfeiern gemessen werden. Die Besucherzahlen der Gedenkstätten steigen ständig: 2014 betrug die Besucherzahl 14 Millionen, eine Steigerung von 42% gegenüber dem Vorjahr.

            Die Gedenkstätte Struthof zählte im Jahr 2014 172.745 Besucher (+5% im Vergleich zu 2013). Das Beinhaus von Douaumont zählte im gleichen Jahr 419.000 Besucher (+72% im Vergleich zu 2013).

            Das Ziel der zweiten Aktion ist die Einrichtung eines speziellen "QualitätstourismusTM" Labels für die Gedenkstätten. Diesem Ansatz liegt die nationale Marke "QualitätstourismusTM" zugrunde, die vom Ministerium für Tourismus unterstützt wird. Das Ziel besteht darin, den Empfang in den Einrichtungen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind, zu verbessern. Eine weitere Maßnahme ist die Beteiligung an den Destinationsverträgen "Erster Weltkrieg" und "Gedächtnistourismus in der Normandie". Der Staat ist somit mit "Atout France" und den betreffenden Gebietskörperschaften Vertragspartner bei diesen Verträgen. Diese Projekte garantieren auch, dass diese zwei Destinationen im Ausland gefördert werden und haben das Ziel, die Professionalisierung der Gebiete in Bezug auf den Gedächtnistourismus und speziell beim Empfang auszubauen.

            Die letzte Maßnahme soll die Entwicklung innovativer Mediationstools ermöglichen. Die beiden Ministerien fördern den Einsatz neuer Technologien, um das Verständnis für die Geschichte zu fördern und den Weg der Besucher zu den Gedenkstätten zu begleiten. 2015 nahmen sie an einer Ausschreibung von Projekten zugunsten des Destinationsvertrags Normandie teil. Das Verteidigungsministerium wiederum subventioniert Projekte rund um digitale Technologien, die die Entwicklung und Förderung der Gedenkstätten in den Vordergrund stellen. Im vergangenen Jahr finanzierte das Ministerium einen Gedächtnisrundweg zur "Schlacht bei Abbeville" an der Somme.

            Das Netzwerk an Museen und Gedenkstätten der zeitgenössischen Konflikte - ein ausgezeichnetes Animationstool - umfasst heute über 90 Mitglieder, die im gesamten Staatsgebiet verteilt sind. Seit einigen Monaten öffnet es sich für ausländische Gedenkstätten, die ebenfalls dabei sein möchten, wie das Museum "In Flanders Fields" in Ypern in Belgien.

             

            Autor

            Laure Bougon - Leiterin des Bereichs Gedächtnistourismus, DMPA

            Radio London, eine Kriegswaffe

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            Zusammenfassung

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              DATUM : Mittwoch, 19. Juni 1940

              ORT : London

              AUSGANG : Erste Ausstrahlung von “Ici la France“, am 6. September in “Les Français parlent aux Français“, auf der Frequenz von Radio London

              VORSPANN : "Radio Paris lügt, Radio Paris ist deutsch! "

              Die große Geheimwaffe waren nicht die V1 oder V2, das war das Radio. Und die Engländer haben es entwickelt". Dies sagte Jean Galtier-Boissière am Ende des Zweiten Weltkriegs. Er war Zeuge der Gewalt eines Krieges der Radiowellen, der sich täglich zwischen den drei prinzipiellen Radiostationen Radio Paris, Radio Vichy und der BBC abspielte.

              Schon 1925 hatte Hitler in seinem Buch Mein Kampf geschrieben: "Im Kriegsfall werden Wörter zu Waffen." Fünfzehn Jahre später war der deutsche Rundfunk eine berüchtigte Waffe geworden, “so wirksam wie die Panzer auf den Schlachtfeldern", laut Propagandaminister Joseph Goebbels. Der Meinungskrieg hatte begonnen, und in diesem Spiel würde die BBC einen Sieg über die Herzen und die Gedanken davontragen und zur Speerspitze des zivilen Widerstands werden, was nie zuvor geschehen war.

              Unveröffentlichte Briefe, die in Archiv-Kartons in England gefunden wurden, zeugen von dieser einzigartigen Beziehung zwischen Radio London und seinen Hörern und übermitteln uns den Zustand der öffentlichen Meinung der unter deutscher Herrschaft stehenden Franzosen. "Liebe englische Freunde, danke für den Trost, den eure Sendungen den nach Freiheit lechzenden Franzosen spenden, die nicht nach Hitlers Pfeife tanzen wollen, jenen, die, trotz der ohnmächtigen Wut gegen die schlechten Hirten, im Herzen die unzerstörbare Hoffnung eines Aufstands bewahren" (eine Hörerin aus Beziers, am 20. Juni 1940).

              radio bourdan
              Pierre Bourdan, eine der berühmten Stimmen der Sendung „Les Français parlent aux Français“ bei der BBC.

              © Rue des archives / Tallandier

               

              TABELLE DER RUNDFUNKDIENSTE

              Im September 1939 zählt man in Frankreich 6,5 Millionen Radiogeräte, verglichen mit 9 Millionen in England und 13,7 Millionen in Deutschland, wo die Führungskräfte ein präzises Ziel verfolgen: den Feind durch moralische Vergiftung und psychologische Lähmung auszulöschen. Seit der Machtergreifung Hitlers unterwirft die Nazifizierung der Medien den Bürgern des Reichs einer täglichen Propaganda durch die Sendungen der Reichsrundfunk Gesellschaft und verbietet ihnen das Hören von “feindlichen“ Radiostationen unter Androhung schwerer Sanktionen.

              Das Genie der Radiowellen, Joseph Goebbels, ist am Werk. Er entwickelt den internationalen deutschen Radiodienst und schafft schwarze Radiostationen, die sich an den Rest der Welt richten. So stellt die Voi de la paix (Stimme des Friedens) unter dem Deckmantel einer pazifistischen und revolutionären rechtsextremen Opposition einen Untergrund-Radiosender dar, der im Dezember 1939 gegründet wird, und im Januar 1940 vervollständigt Radio Humanité, das sich an die französischen Arbeiter richtet, die Propagandamittel mit schwerwiegenden Denunzierungen gegen den so genannten "imperialistischen und kapitalistischen" Krieg.

               

              duchesne
              Jacques Duchesne, Leiter des Teams der Radiosendung „Les Français parlent aux Français“ bei der BBC, ca. 1942.
              © Rue des archives / PVDE

              Angesichts dieser Mittel weigert sich die französische Regierung, den Rundfunk als Kriegswaffe einzusetzen. Ihrer Meinung nach muss sich der Rundfunk im Krieg darauf beschränken, auf gesteuerte und zensierte Weise, Informationen zu verbreiten, jedoch ohne massive Propaganda. Ein schwerer Fehler! Der staatliche Rundfunk entfernt sich sehr rasch von seinem Publikum, das von dieser entmündigenden Zensur und dem zu elitären Ton irritiert ist. Ab nun wenden sich die französischen Hörer der BBC, der schweizerischen Station Radio Sottens, und, was gefährlicher ist, den schwarzen deutschen Sendern zu, deren berühmtestes Aushängeschild in Bezug auf Desinformation und Propaganda der berüchtigte Sender Radio Stuttgart war.

               

              DIE BBC TRITT IN DEN KRIEG EIN

              In Frankreich hat ein Mann die Macht des Rundfunks und der Worte auf dem Schlachtfeld erkannt, ein praktisch unbekannter Offizier, der zum ersten Mal am 21. Mai 1940 in Savigny-sur-Ardres in Champagne-Ardenne interviewt wurde. Am Mikrofon des Journalisten Alex Surchamp äußerte Oberst Charles de Gaulle, Kommandant der 4. Panzerdivision, dass er den Defätismus verweigere und sagt vorher, dass der Sieg durch mechanische Kraft erreicht werden würde. Am 18. Juni ruft er aus einem Studio der BBC in London zum Widerstand auf. Der Krieg der Radiowellen hat begonnen.

               

              les voix de la fr libre
              In einem Studio der BBC in London (von links nach rechts) Jacques Duchesne, Jean-Jacques Mayoux, André Gillois, Maurice Schumann, Jean Oberlé und Geneviève Brissot.
              © Rue des archives / PVDE

               

              Gegenüber Radio Paris, völlig unter der Herrschaft der Deutschen, das eine Mischung aus Propaganda, scharfer Kritik, Unterhaltung und Musik sendet und Radio Vichy, dem Sender von Marschall Petain, welcher zunächst einen moderaten Ton anschlägt, um bald viel feindlicher den Alliierten gegenüber zu werden und zur Kollaboration aufruft, stellt die BBC eines der wichtigsten Instrumente in dieser Schlacht um die Radiofrequenzen dar.

              Im Juni 1940, mit sechs täglichen Nachrichtenbulletins steckten die französischen Nachrichtendienste von Radio London noch in den Kinderschuhen. Aber die Niederlage der französischen Truppen und die Kontrolle der Deutschen über die nationalen Medien beschleunigen den Wandel des britischen Angebots. Am 19. Juni kommt eine neue Sendung, Ici la France, hinzu, die von 20.30 Uhr bis 2.45 Uhr ausgestrahlt wird, zunächst mit dem Journalisten Jean Masson, dann ab dem 24. Juni mit Pierre Bourdan, dessen richtiger Name Pierre Maillaud ist, Journalist der Agentur Havas in London, welcher eine Zeit lang die Sendung von 20.30 Uhr bis 21 Uhr übernimmt.

              Aber die Engländer möchten den französischen Hörern eine Art Treffpunkt bieten, kreativ, ohne offensichtliche Propaganda, mit dem Willen zu informieren, die Moral aufrecht zu erhalten, die Wahrheit zu sagen und wieder Hoffnung zu geben. Am 7. Juli wird der Regisseur Michel Saint-Denis, alias Jacques Duchesne, ernannt, um ein vollständig französisches Team für seine Programme und nationalen Hoffnungen zusammenzustellen. Er umgibt sich mit Männern und Frauen verschiedenster Horizonte, insbesondere Pierre Bourdan, der für die Kommentare zu den Nachrichten zuständig ist, Yves Morvan, alias Jean Marin, der am 2. September zur französisch-englischen Information einberufen und ab Juni 1940 bei der BBC tätig war, Jean Oberlé, ehemaliger Korrespondent der Tageszeitung Le Journal, Pierre Lefèvre, der Jüngste des Teams, der Poet und Filmemacher Jacques Borel (Brunius im Radio), der Zeichner und Antiquar Maurice Van Moppès, den Duchesne zum Sänger macht und, nicht zu vergessen, die schöne Geneviève Brissot. Ende 1943 vervollständigt Pierre Dac das Team. Unter demselben Titel, Ici la France, beginnt das Team am 14. Juli 1940 mit seinen Sendungen und ändert den Namen am 6. September auf "Les Français parlent aux Français". Indem sie die Besatzung und die verheerenden Folgen der Kollaboration mit dem Feind anprangert, stellt die Sendung ein Fenster zur freien Welt und eine Atempause dar, in der man in dieser schwierigen Zeit Hoffnung schöpfen kann.

              Ab dem 18. Juli verfügt das Freie Frankreich von 20.25 Uhr bis 20.30 Uhr unter dem Titel Honneur et Patrie über fünf Minuten Sendezeit, präsentiert von Maurice Schumann, dem Sprecher von General de Gaulle. Ab dem 9. Dezember wird die Sendung in den Mittagsnachrichten wiederholt. De Gaulle ist sich der Kraft dieses modernen Mittels bewusst und weiß, dass die BBC es ihm ermöglichen wird, den Kontakt zu den Franzosen aufrecht zu erhalten und den Geist des Widerstandes zu verbreiten.

              Auch wenn er nur zu besonderen Anlässen auf Sendung geht – 67 Mal in fünf Jahren - ist es seine Stimme, auf die die Franzosen warten. Sie sind der Überzeugung: “Die BBC, das ist de Gaulle!“ Ein offensichtliches Missverständnis, da alle Sendungen einer gezielten Zensur durch die Briten unterworfen sind, einschließlich jener des Generals, der unermüdlich die Reichweite von Radio Brazzaville ausbaut, um seine Redefreiheit wiederzuerlangen.

              Angetrieben von einem Ideal, der Vernichtung des Nationalsozialismus und der Wiedererlangung der Freiheit in Europa, beginnt das französische Programm der BBC jeden Abend um 20.15 Uhr (21.15 Uhr im Winter) mit der Ausstrahlung von auf Englisch verfassten und ins Französische übersetzten Nachrichten, gefolgt um 20.25 Uhr von den fünf Minuten des Freien Frankreichs, dann übernimmt von 20.30 Uhr bis 21 Uhr "Les Français parlent aux Français" die Antenne mit Kommentaren zu den Nachrichten, Sketchen, Szenen, Slogans, Liedern und Refrains, die die Franzosen als Erkennungszeichen sogar nachsingen. "Radio Paris lügt, Radio Paris ist deutsch! " wird zu einem erfolgreichen Refrain, der im September 1940 von Jean Oberlé kreiert wird, dessen Team sich durch seine Kreativität auszeichnet. So zum Beispiel setzt die “Diskussion der drei Freunde“ drei Personen mit verschiedenen Ansichten in Szene, die sich über aktuelle Themen unterhalten. Und “La petite Académie“, die oft am Sonntag ausgestrahlt wird, versetzt den Zuhörer in die Académie française wo Jacques Borel in der Rolle des Präsidenten, Jacques Duchesne in der des Archivars und Jean Oberlé als Reporter die Ausdrücke des Wörterbuchs im Lichte der Besatzung neu definieren: “Freiheit = zurzeit gestrichenes Wort“ oder auch “Ration = Reste der Besatzer“. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei, auch für die Kinder, denen jeden Donnerstag eine Sendung gewidmet ist, in der Babar und andere bei Kindern beliebte Figuren den Zielen der Alliierten dienen.

              Aber das Faszinierendste für die Hörer von Radio London bleiben die mysteriösen Sätze, die sich in die Sendungen für persönliche Nachrichten schummeln, ab dem 28. Juni 1940, und die zunächst den aus Frankreich Entkommenen vorbehalten waren, die ihren Angehörigen auf kryptische Weise ihre sichere Ankunft mitteilen wollten. Aufgrund einer Idee von Oberst Buckmaster, Chef der französischen Sektion des Büros für Spezialoperation SOE, halten codierte Nachrichten Einzug in die Sendungen der BBC. “Lisette geht es gut“, “Der Mond ist voller grüner Elefanten“, “Der Hund des Nachbarn jault“ usw. Unzählige faszinierende Formulierungen, die als Mittel zur Kommunikation mit den Widerstandsbewegungen dienen, um Agenten zu identifizieren, Sabotageakte, Materiallieferungen, Verhaftungen, kommende Gefahren oder andere Widerstandsoperationen anzukündigen.

               

              general micro
              Franchot „der General Mikro“, Lithografie. Propagandaplakat, das General de Gaulle auf Grund seiner Rundfunkmacht verspottet, 18. November 1941
              © Musée Carnavalet / Roger-Viollet

               

              DIE ANTWORT DER DEUTSCHEN

              Der Erfolg des Programms lässt nicht lange auf sich warten: Zeugnis dafür sind die Reaktionen der deutschen Karikaturisten, die de Gaulle als “General Mikro“ und jene von Radio Paris, das seine Londoner Gegner der Sendung Les Français parlent aux Français mit der von Georges Oltramare präsentierten Sendung Au rythme du temps kopieren. Eine Nachahmung, die für die BBC einen ersten Sieg darstellt! Aber auch eine Reaktion der Deutschen, die Halbwahrheiten nach sich ziehen wird...

              Die Deutschen antworten durch das Stören der “feindlichen“ Frequenzen und des Verbots, alliierte Radiosender zu hören. Wer in flagranti erwischt wird, kommt im besten Fall mit einer Geldstrafe und der Beschlagnahme des Radiogerätes davon, im schlimmsten Falle folgt eine Gefängnisstrafe und Verurteilung zur Zwangsarbeit.

              Ab nun beginnt der Krieg der Techniker auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Auf deutscher Seite geht es darum, die Wirksamkeit der Störsender zu verbessern, bei den Alliierten darum, neue Wellenlängen zu entwickeln, die Reichweite der Sender zu verstärken und die Lärmstörung zu überwinden. Für London gilt es auch, möglichst rasch informiert zu sein, um besser reagieren zu können und der öffentlichen Meinung eine andere Richtung zu geben. Im März 1942, Dank der Einrichtung eines Abhörzentrums, das in der Lage ist, die Sendungen des Feindes zu empfangen, stehen den Journalisten der BBC täglich drei Informationsbulletins zur Verfügung, ein hervorragendes Mittel, um zeitnah reagieren zu können. Das beste Beispiel dieser Informationsschlacht ist sicherlich die Rundfunkansprache von Pierre Laval zu Gunsten der “Ablöse“ am 22. Juni 1942 im staatlichen Rundfunk, in der er “den Sieg Deutschlands wünscht“, und die beißende Antwort von Maurice Schumann am selben Abend: "Nein zur Erpressung französischer Arbeiter!" Ein Sieg für Radio London in diesem Krieg der Worte, wo Radio Paris ohne Unterlass die Kollaboration mit Deutschland im Hinblick auf die Errichtung eines neuen Europas befürwortet und nicht davor zurückschreckt, verleumderische Äußerungen gegen Juden, Engländer, Franzosen, die sich in London aufhalten und Freimaurer zu verbreiten.

               

              schuler
              Schüler, die eine Ansprache des Marschalls Pétain im staatlichen Rundfunk anhören, Oktober 1941.
              © Lapi / Roger-Viollet

               

              Dazu kommt, dass die Rückkehr an die Macht von Pierre Laval, am 17. April 1942, Hand in Hand mit der Ausrichtung des französischen Rundfunks gemäß den Themen von Radio France geht. Sendungen wie “Die Judenfrage“ (La question juive), “Die Miliz spricht zu Ihnen“ (La milice vous parle), oder “Die Legion der Freiwilligen gegen den Bolschewismus (La Légion des volontaires français contre le bolchevisme) auf Radio Vichy verbreiten die gleichen Ansichten wie “La LVF vous parle“ oder die Sendung "Les juifs contre la France", welche vom deutschen Rundfunk ausgestrahlt werden.

              In dieser dämonischen Atmosphäre engagiert sich London in einem ständigen Kampf gegen die Stimmen der Pariser Radiofrequenzen, wie jene von Georges Oltramare, Schweizer Nazi-Schriftsteller und Sprecher der Radiorubrik “Ein Neutraler spricht zu Ihnen (Un neutre vous parle)“, Doktor Friedrich, Kopf der Sendung “Ein deutscher Journalist spricht zu Ihnen (Un journaliste allemand vous parle)“, aber vor allem Jean-Hérold Paquis auf Radio

              Paris seit 1942 und Philippe Henriot, zukünftiger Staatssekretär für Information, Autor einer erfolgreichen, zweimal täglich gesendeten Chronik auf Radio Vichy, die ab 1943 in der nördlichen Zone von Radio Paris ausgestrahlt wird. Die Rhetorik dieses Mannes mit kollaborationistischem Anstrich, seine harschen Formulierungen, seine scharfe Denunzierung der “Märchen der Tollwütigen der BBC“, der mörderischen Bombardierungen der Alliierten, der Judenviertel, der Terroristen der Partisanengruppen und der “blutrünstigen Kommunisten“ beunruhigen zu Recht die Männer in London, die zunächst Maurice Schumann und dann Jean Oberlé damit beauftragen, ihm zu antworten. Schließlich findet der gefährliche Henriot in Pierre Dac seinen brillantesten Widersacher, bis zum 28. Juni 1944, dem Tag, an dem er von einer Gruppe von Widerstandskämpfern in seiner Wohnung in Paris umgebracht wird.

               

              nouvelles de france
              Die Redaktion der französischen Nachrichten bei der BBC.
              © Rue des archives

               

              DAS RADIO, SPEERSPITZE DES ZIVILEN WIDERSTANDS

              Ja, sagt uns was wir tun können. Auf den Mauern ist es erledigt. Die Flugblätter sind erledigt. Aber das reicht nicht, wir müssen die Verräter vernichten“ (Brief aus der besetzten Zone, Mai 1941). Als Radio der Freiheit, der Wahrheit und der Hoffnung, mit der Ambition, die französische Bevölkerung, die nur über kontrollierte Medien verfügt, zu informieren, Vertrauen einzustellen und die Leute aus ihrer Apathie zu reißen, will die BBC zunächst einen Widerstand der Meinung hervorrufen. Aber aus einem Krieg der Worte wird schließlich ein Krieg der Aktion. Aufrufe, Parolen, die somit dem Kriegsgeschehen folgen…und dem Instinkt eines Mannes, General de Gaulle, der überzeugt ist, dass ein Herd des zivilen Widerstandes in der französischen Bevölkerung besteht, der bereit ist, auf die Straßen Frankreichs zu gehen, um offen die Ablehnung der Situation auszudrücken.

              Er ist der Erste, der die Initiative ergreift, und ruft am 1. Januar 1941 die Franzosen auf, die Straßen zu evakuieren, von 14 Uhr bis 15 Uhr in der nicht besetzten Zone und von 15 Uhr bis 16 Uhr in der besetzten Zone. Es folgen weitere Aufrufe, wie die berühmte Kampagne der V, die im März 1941 organisiert wird, Aufrufe zu Demonstrationen am 11. Mai 1941, am 1. Mai, 14. Juli, 11. November, nicht zu vergessen die sporadischen Aufrufe gegen die Gewalt des Besatzers, wie das landesweite Strammstehen am 31. Oktober 1941, im Gedenken an die Geiseln, die kurz zuvor in Frankreich erschossen worden waren. Abgesehen vom Hörensagen konnte die BBC auf die Sender der Widerstandsbewegungen zählen, Radio Brazzaville, Radio Moskau ab Sommer 1941, die Stimme Amerikas oder Radio Alger ab dem Frühjahr 1943. Und die Franzosen waren voll und ganz dabei.

              Regelmäßig marschieren zu festgelegten Daten und Uhrzeiten Männer, Frauen und Kinder auf den Plätzen ihrer Städte und Dörfer, manche tragen die verbotenen Landesfarben, andere das V, das für Sieg steht, zum Klang der Marseillaise und in einer Atmosphäre der Gemeinschaft. So versammeln sich am 14. Juli 1941 allein in der Hauptstadt rund 26.000 Menschen am Triumphbogen. Am gleichen Tag, im Jahr 1942, sind es 150.000 Personen in Lyon, 100.000 in Marseille, 30.000 in Toulouse…, ein landesweiter Aufschrei mit Demonstrationen in 71 französischen Städten.

              Radio London ist zu einem bedeutenden Vektor des zivilen Widerstands geworden, ein Anführer der Massen, der hofft, wenn die Zeit gekommen ist, sein Potential an Hilfsmitteln im Hinblick auf die Befreiung zu koordinieren! Aber vor diesem letzten Moment gilt es noch, gegen die Verzweiflung anzukämpfen, von der die Franzosen ab 1943 unerbittlich erfasst werden.

               

              DAS RADIO ALS HERAUSFORDERUNG

              Außer ein Machtinstrument war das Radio auch eine Herausforderung für die Alliierten. So erhielten zum Anlass der anglo-amerikanischen Landung in Nordafrika in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1942, General de Gaulle und seine Männer, die von der Vorbereitung der Operation Torch ausgeschlossen waren, ein Sendeverbot von der BBC. Zuvor, im Oktober 1942, wiederum ohne das Wissen des Generals, hatten die Engländer einen geheimen Posten namens “Radio Patrie“ in England gestartet. Dieser geheime Radiosender, der von den Männern des kämpfenden Frankreichs ausgemacht wurde, nahm es sich zum Ziel, den internen französischen Widerstand zu kontrollieren. Nach einigen bewegten Diskussionen entstand daraus im Juni 1943 eine neue Station, “Honneur et Patrie, poste de la résistance française“, die von Franzosen und Briten gemeinsam geführt wurde. Bis zum 2. Mai 1944 war der talentierte André Gillois dort tätig, bevor die Station mit den französischen Programmen der BBC fusionierte, kurz vor der Landung am 6. Juni. Zuvor, am 27. Mai 1943, verließ der General London, um sich nach Algier zu begeben, mit einer Hörfunkausrüstung, die sich nunmehr auf Radio Brazzaville und Radio Alger stützte, zwei Programme, die von den Männern des kämpfenden Frankreichs geleitet wurden.

               

              DIE TSF, EIN WERTVOLLES GUT

              Im Übergang von einem Krieg der Worte zu einem Krieg der Aktion zählten die Alliierten auf das Radio, um die Franzosen zu leiten, die sie in Hilfstruppen der alliierten Truppen am D-Day zu verwandeln hofften, und um die Bewegungen des Widerstands zu kontrollieren. Das Radiogerät TSF war also ein wertvoller Gegenstand, den es zu beschützen galt und der sich zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt verkaufte…, bis zu 7.000 Francs für ein gebrauchtes Modell, wobei der Stundenlohn eines Facharbeiters in Paris 10 Francs betrug.

              Besorgt durch die repressive Politik der Besatzer starten die Briten regelmäßig Kampagnen, um die Bedeutung der TSF zu unterstreichen, sie fordern die Hörer auf, Gruppen zu bilden, um die Geräte zu schonen, Geräte anzuschaffen, die mit Batterien oder Akkus funktionieren, Geräte, die mit Galenit funktionieren zu beschaffen und Verstecke vorzusehen, falls es zu massiven Konfiszierungen in Frankreich kommen sollte.

              Als das Ende näher rückte, kam es zu Beschlagnahmungen, die bedeutendste im März 1944 in den Regionen Orne, Calvados, Manche, Eure, Nord und Seine Inférieure, mögliche Schauplätze einer alliierten Landung. Aber diese lokalisierten Aktionen konnten das Radio nicht daran hindern, ab dem 6. Juni 1944 seine Führerrolle in den Befreiungsaktionen des nationalen Territoriums zu spielen, bevor die Bevölkerung im Laufe des Sommers wieder zur Normalität zurückfand.

              Am 18. August stellte Radio Paris seine Sendungen ein. Am 20. August, um 22.30 Uhr, war die Marseillaise zu hören, gefolgt von dieser Ankündigung: "Hier ist der Rundfunk der französischen Nation". Am 26. August wurde auch Radio Vichy eingestellt. Der Wiederaufbau des Rundfunks war im Gange. Eine neue Ära kündigte sich an, und die BBC nahm nach und nach die Rolle eines Mythos an; aber das unsichtbare Band zwischen der “großen Dame von London“ und den Franzosen wurde nie durchtrennt, was Briefe beweisen, die noch immer in London eintrafen: "Werte Herren, Ihnen gebührt die unendliche Anerkennung der französischen Patrioten. Als Alles um uns herum zusammenbrach, boten uns Ihre täglichen Sendungen einen Kontakt zur Außenwelt, Sie waren für uns der Leuchtturm, der es den Seefahrern ermöglicht, Riffen auszuweichen und der die Einfahrt in den Hafen anzeigt. Sie waren der Führer, der unterstützt und tröstet".

              no name

              Autor

              Aurélie Luneau - Historikerin-Produzentin bei France Culture

              Das Jahr 1915 - Das Ende der Schützengräben

              Aktie :

              Zusammenfassung

                Zusammenfassung

                DATUM : Sonntag, 25. April 1915

                ORT : Gallipoli, türkische Halbinsel, am Eingang der Dardanellen

                AUSGANG : Landung der Alliierten

                STREITKRÄFTE VOR ORT : Frankreich, Großbritannien, Osmanisches Reich

                Die große Zahl an Todesopfern im Jahr 1914 war für die Führungsstäbe überraschend und führte zu großer Verunsicherung. In dem Moment, wo die Front eingefahren war, gestaltete sich der Krieg in den Schützengräben genauso mörderisch, wie auch der Bewegungskrieg und keine der kriegführenden Mächte konnte entscheidende Vorteile gewinnen. Wie konnte also dieser Stellungskrieg in den Schützengräben beendet und dieser Krieg möglichst schnell gewonnen werden?

                Ende des Jahres 1914 geraten die Führungsstäbe immer mehr in Bedrängnis. Nur sechs Monate früher, im August 1914, hatten sie noch viel Vertrauen in ihre Feldzüge. Sie waren überzeugt, dass es ein kurzer Krieg sein würde, der an die Erfolge Napoleons anknüpfen sollte. Mit Krieg verband man Mut, Mumm, Elan. Es war eine Angelegenheit des Fußvolkes, der säbelrasselnden Kavallerie, erbitterten Erstürmungen der Infanterie mit blanken Bajonetten. Schnell wichen diese Illusionen jedoch der Wirklichkeit und sie mussten erkennen, dass dieses Modell aus dem 19. Jahrhundert sich vollständig revolutioniert hatte.

                In den Schützengräber vor dem Angriff, Souain (Marne), September 1915.

                in den schutzengraber

                © ECPAD / Victor Chatenay

                Bereits bei den ersten Auseinandersetzungen mussten die Franzosen erkennen, dass die Ära des industriellen Krieges begonnen hatte. Die Schlagkraft der Kanonenfeuer beherrschte die Schauplätze und zwang die Infanteristen in die Schützengräben, wo sie versuchten, den Schock zu überwinden und zu überleben. Zwischen Oktober und November entstand auf einer Länge von 700 km, von der Nordsee bis zur Schweiz, ein Wall an Schützengräben, der den Bewegungskrieg in einen Stellungskrieg verwandelte.

                An der Ostfront bot sich ein nahezu identisches Bild. Obwohl sie in Westpreußen von den Deutschen geschlagen wurden, gelang es den Russen die österreichisch-ungarischen Streitkräfte auf ihre Seite zu ziehen und ihre Truppen in Richtung Karpaten zu bewegen. Dennoch ist auch dieser Angriff ins Stocken geraten: es fehlt an Munition, an Koordination und Leitung und die im Winter vom General verordnete Waffenruhe lässt die Gesamtsituation bis ins Frühjahr nahezu einfrieren. Ende 1914 stellt sich für die Führungsstäbe insbesondere eine Frage: Wie kann dieser Stellungskrieg beendet werden? Wie kommt man aus dieser Blockade wieder heraus? Wie entkommt man den Stacheldrahtzäunen, den Straßensperren der Artillerie und den Maschinengewehrsalven, die die sichere Niederlage für alle bedeuten, die verrückt genug sind, diese anzugreifen? In beiden Lagern beginnt man sich auf die Mittel zu besinnen, die diese neue Art des Krieges beenden könnten. Eine Art der Kriegsführung, die noch zu unbekannt war, zwang die Lager dazu, neue Möglichkeiten oder neue Fronten zu finden, an denen es möglich gewesen wäre, zu entkommen.

                 

                DIE KEHRSEITE DES SCHLIEFFEN-PLANS

                Deutsche Soldaten in den Schützengräben nahe Ivangorod (Russland), Juli 1915.

                deutsche soldaten

                © PA Archive / Roger Viollet

                Vor dem Hintergrund dieser neuen Erfahrungen mit diesen detaillierten und massiven Angriffen, wie z. B. der Angriff der Deutschen auf Calais, lag es auf der Hand anzunehmen, dass in diesem Fall die Verteidigung besser sei als der Angriff. Aber selbst wenn man alle verfügbaren Mittel bereitstellt und Tausende Soldaten opfert, um einen feindlichen Schützengraben einzunehmen, so zog sich der Feind einfach zurück in die in zweiter Linie angebrachten Gräben, und die Situation war wieder dieselbe, nur um einige Hundert Meter nach hinten verlagert. Während des Jahreswechsels 1914/1915 müssen auch die Generäle und Politiker einsehen, dass sie die Kriegssituation aktiv betrachten und die Oberhand gewinnen mussten, um nicht 1915 hohe Todesopfer zu verzeichnen, ohne dass irgendwelche Ergebnisse erzielt werden würden. Diese Männer mit Weitblick waren insbesondere von zwei Erwägungen geleitet, die sich mit der Blockade an der Ostfront auseinandersetzten: Rückkehr zum Bewegungskrieg und, falls man die Stärksten nicht besiegen kann, Angriffe auf die schwächsten Stellen.

                Diese Debatten wurden insbesondere in Frankreich und Großbritannien geführt, eher weniger in Deutschland. In Berlin fürchtete man sich nach wie vor, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen - in Russland und in Frankreich - und um die Streitkräfte nicht aufteilen zu müssen, entstand in der deutschen Armee der Schlieffen-Plan. Er sah einen schnellen Sieg über Frankreich vor. Wenn dies gelungen war, sollten die Streitkräfte schnell nach Russland verlegt werden, wo die Mobilisierung angesichts der Größe länger dauern würde. Die Schlacht an der Marne jedoch machte diesen Plan zunichte. Obwohl Frankreich größtenteils schon besiegt war, hielt es noch dagegen, wodurch die deutsche Armee in starke Bedrängnis geriet.

                Dies führte dazu, dass einige Strategen, angefangen von Hindenburg und seinem Quartiermeister Ludendorff, kommandierende Chefs an der Ostfront, 1915 die Umkehrung des Schlieffen-Plans in Erwägung zogen: Beibehalten der Verteidigungslinie im Westen und Sieg über Russland im Osten. Die Armee von Zar Nicolas II verfügte über zahlreiche Soldaten. Allerdings standen nur wenige Kanonen zur Verfügung und die Granatenlager waren leer. Somit sollte es ein Leichtes sein, diese mit ein wenig Kriegsmaterial zu bezwingen. Der deutsche Armeechef, General Falkenhayn, unter dessen Einfluss Kaiser Wilhelm II stand, ist hingegen dagegen, die Streitkräfte gen Osten zu verlagern. Hatte sich nicht schon Napoleon die Zähne an Russland ausgebissen? Hinzu kam die Tatsache, dass die russischen Truppen dank ihrer zahlenmäßigen Stärke durchaus zurückschlagen und die Deutschen zum Rückzug zwingen konnten. Unter dem Druck von Marschall Hindenburg, der seit dem Sieg über die Russen in Ostpreußen sehr beliebt war, lenkte Falkenhayn im August teilweise ein. Statt der Verlegung von 80% der deutschen Truppen an die Ostfront, sollten es nun nur noch 60% sein. Dies sollte genug sein, um den Armeechefs an der Ostfront Unterstützung zu bieten, um Russland einzunehmen.

                Österreichische Truppen in den Dardanellen, 1915.

                autrichiens

                © Library of Congress / George Grantham Bain Collection

                 

                AUSDEHNUNG DES KRIEGES IN DEN BALKANSTAATEN

                In Paris und London gab es ähnliche Überlegungen. Die Blockade im Westen ist umfassend und ein Sieg über Deutschland erschien nur wenig möglich. Warum sich also nicht auf ein anderes Gebiet auf dem Balkan konzentrieren, den Bewegungskrieg wieder aufnehmen, Siege an den Schwachstellen des Gegners erringen, in diesem Fall Österreich-Ungarn, um dann Deutschland zu isolieren und schließlich den Angriff über die Südflanke zu starten? Für diesen Plan bedürfte es enormer Kräfte, mindestens 500.000 Soldaten in Griechenland, Thessaloniki, die über Mazedonien kommend erneut Serbien einnehmen sollten, das immer noch gegen Österreich standhielt. Darauf sollte gemeinsam mit den Russen eine große Operation folgen, mit dem Ziel, die österreichisch-ungarischen Streitkräfte auszulöschen. Dieser Plan war theoretisch betrachtet genial. Insbesondere wegen seines ebenso politischen wie militärischen Ansatzes. Als jedoch die neutralen Balkanstaaten die mögliche Niederlage des österreichisch-ungarischen Reiches erahnten, bestand kein Zweifel daran, dass auch sie in den Krieg eintreten und sich ihre Beute sichern würden: Italien, das mit dem Trentino und Istrien liebäugelte, Rumänien, das davon träumte, Transsylvanien zu erobern jedoch auch Bulgarien und Griechenland waren sichere Ziele. Ab Oktober 1914 setzte sich diese Idee in den Köpfen der Generäle de Castelnau und Franchet d'Esperey fest, und auch Politiker wie z. B. Aristide Briand in Frankreich, und David Lloyd George in Großbritannien unterstützten diesen Plan.

                Britische Truppen beim Angriff in der Nähe von Achi Baba auf der Halbinsel Gallipoli, 25. April 1915.

                britische truppen

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                Es gab jedoch auch Gegner dieses Vorhabens...und zwar bedeutende: Lord Kitchener. Kriegsminister seiner Majestät, bevor er Interesse an diesem Vorhaben einer Orientarmee entwickelte, die das Potential hatte, die Kriegskarte auf den Kopf zu stellen. Es standen nicht ausreichend Soldaten und Materialien zur Verfügung, die die Westfront hätten ausreichend versorgen können, weshalb ihm nicht daran gelegen war, sich auf ein weit entferntes und kostspieliges Abenteuer auf dem Balkan einzulassen.

                Dennoch ist es vielmehr Joseph Joffre, französischer General, der diesem Projekt am ablehnendsten gegenüber steht. Er hatte die bedauerliche Angewohnheit, einen Sieg binnen drei Monaten zu versprechen, so sicher war er sich, dass die Deutschen im Frühjahr geschlagen sein würden und er deshalb alle Männer und Kanonen brauchen würde. Der Sieg über Österreich, das schwächste Glied, war in seinen Augen nicht die beste Idee: "Wir müssen nicht Österreich schlagen, wir müssen über Deutschland siegen", verkündigt er am 8. Januar 1915 wütend.

                 

                TEILSIEG DEUTSCHLANDS IN RUSSLAND

                Obwohl Falkenhayn die Idee eines Großangriffs gegen Russland akzeptierte, so machte er sich dennoch keine Illusionen um die Umstände: Er glaubte nicht an den vernichtenden Niedergang, sondern eher an kleinere Siege, die den Feind schwächen und die vielleicht zu einem separaten Frieden führen würden. Es steht für ihn außer Frage, die Beliebtheit des Duos Hindenburg-Ludendorff zu stärken. Zudem vertraut er auf die Angriffsstrategie von General Mackensen, der auch das Kommando über die an der Seite der Deutschen kämpfenden Österreicher hatte.

                Osmanische Soldaten während der Kämpfe in Gallipoli, 1915.

                osmanische soldaten

                © Library of Congress / George Grantham Bain Collection

                Während des ganzen Aprils konzentrieren sich Truppen unter strengster Geheimhaltung auf eine Linie von 50 km, unterstützt von 2.000 Kanonen und nahezu einer Million Granaten. Nie zuvor wurde eine Schlacht so sorgfältig vorbereitet. Am 1. Mai werden die russischen Positionen den ganzen Tag lang bombardiert. Eine Feuerbrunst, die auf den Feind hernieder schlägt. Als am nächsten Morgen der Befehl zur Erstürmung erfolgt, sind die russischen Linien bereits vollkommen zerstört. Die russischen Soldaten ergeben sich zu Massen oder fliehen mit großen Schritten. Mit nur einem Gewehr pro drei Soldaten hatten sie einen guten Grund, sich dem Kampf zu entziehen! Binnen eines Monats gerieten 300.000 Russen in deutsche Gefangenschaft. Es schien, als könne nichts das Voranschreiten von Mackensen aufhalten: Die russische Dampfwalze war schien nur mehr ein Scherz zu sein. Am 4. August wird Warschau eingenommen und der gesamte russische Teil Polens fällt in die Hände der Deutschen. Während die Versorgungswege der Deutschen während des Voranschreitens immer länger wurden, werden die der Russen immer enger.

                Im September nehmen die Angriffe ihr Ende: Für den Weg ins heutige Sankt-Petersburg über die baltischen Länder waren deutlich mehr Soldaten und Kanonen erforderlich. Hindenburg und Ludendorff verlangten diese mit Nachdruck, Falkenhayn konnte dem jedoch nicht zustimmen. Frankreich bereitete bereits einen Großangriff in der Champagne vor und die Deutschen hatten alle Hände voll zu tun, um sich auf diese "schlimmen Moment" vorzubereiten.

                Dies wird für Deutschland 1915 zum Dilemma, indem man gezwungen ist, einen Zweifrontenkrieg zu führen, bei dem auf keiner Seite ein entscheidender Schlag gelingen wollte.

                 

                DIE VERMEINTLICH GUTE IDEE DER DARDANELLEN

                Abschuss von französischen Granaten auf die Halbinsel Gallipoli, April 1915.

                abschuss von franzosischen

                © Akg-images / Gérard Degeorge

                Bei den Franzosen und Engländern kommt das Projekt einer Orientarmee mit Operationen in den Balkanländern nur langsam voran und gerät ins Stocken, nicht zuletzt bedingt durch die ablehnende Haltung von Joffre und Kitchener. Dieser Widerstand des Oberkommandos führt dazu, dass die Angelegenheit immer mehr politische Züge annimmt. Im Februar beschließen z. B. die beiden Regierungen die Gründung eines französisch-britischen Expeditionskorps, das sich an der serbischen Front bündeln sollte. Der Widerstand gegen dieses Projekt ist jedoch zu groß: Frankreich wird überwältigt und während die Deutschen nur noch 100 km von der Hauptstadt entfernt sind, stellt sich die Frage, ob dies der richtige Moment ist, die Schützengräben aufzugeben, um an einer weit entlegenen Front einen Paukenschlag anzustreben. Wird die öffentliche Meinung akzeptieren, dass die Verteidigung im Westen erhalten bleibt und nichts unternommen wird, um den Angreifer zurückzudrängen?

                Zudem bereitete der General einen kleinen Angriff vor, einen letzten verblüffenden Schlag, den die Deutschen nicht vergessen sollten. Folglich war für ihn das Projekt einer Orientarmee vollkommen unnütz, wenn nicht sogar irrsinnig. "Warum sollten wir den Erfolg woanders und vor allem in der Ferne suchen, wenn ich ihn im März 1915 hier haben kann? Ich bin mir sicher, dass mir der Durchbruch gelingt und ich die Deutschen zurückdrängen kann". In dieser festgefahrenen Situation präsentiert Winston Churchill, Erster Lord der Admiralität, d. h. in seiner Funktion als Marineminister, sein ganz eigenes Projekt, welches genau im Gegensatz zur Orientarmee steht: Stärkung der Türken an den Meerengen der Dardanellen und des Bosporus und die Einnahme von Konstantinopel. Dieser Einsatz sollte lediglich von der Royal Navy ausgeführt werden, weshalb der Minister keine weiteren Kanonen oder die Unterstützung weiterer Regimente anforderte und somit der Plan einstimmige Zustimmung fand. Die Franzosen jedoch konnten diesem Vorschlag nichts abgewinnen. Doch obwohl sie Zweifel hegten, schlossen sie sich dennoch der Operation an. Im Falle eines Erfolges war es für sie undenkbar, den Engländern die alleinige Herrschaft im östlichen Mittelmeerraum zu überlassen und nach ihrem Gutdünken die Aufteilung des Nahen Ostens neu zu gestalten.

                Somit findet sich am 18. März eine französisch-britische Armada in den Dardanellen ein, für eine Expedition, die man eher für einfach hielt. Nichts geschah wie geplant. Die von den Deutschen ausgebildeten und ausgestatteten Türken hatten unzählige neue Batterien errichtet und das ganze Gebiet vermint. Den Schiffen der alliierten Flotte gelang es nicht, die Dardanellen zu überwinden. Die in ihrem Stolz verletzten Engländer und Franzosen entschieden sich dann für eine Operation mit Landstreitkräften und begannen mit der Planung der Landung auf der Halbinsel Gallipoli am 25. April mit Unterstützung der Kolonialtruppen (ein Drittel der französischen Streitkräfte sind Senegalesen, während die australischen und neuseeländischen Truppen den Großteil der britischen Bataillons ausmachten). Da die Türken die Höhen beherrschten, endete auch diese Operation in einem tödlichen Desaster. Auch hier waren das Problem die Schützengräben und die Blockaden, was noch verschlimmert wurde durch den Durst und die Stechmücken. Schlussendlich war die Operation sehr kostspielig. Die hohe Anzahl der Todesopfer (es waren über 500.000 Männer beteiligt) und die materiellen Verluste machen das Ausmaß deutlich - ein einziger Verlust. Der einzige Erfolg, der im Rahmen der Dardanellen-Operation gelang, war die Evakuierung ohne weitere Verluste zwischen Dezember 1915 und Januar 1916.

                 

                ZU SPÄT FÜR DIE ORIENTARMEE

                Ein Transport französischer Truppen trifft am Kai von Thessaloniki (Griechenland) ein 1915.

                ein transport franzosischer

                © Roger-Viollet

                Das desaströse Abenteuer in den Dardanellen hat schwerwiegende Konsequenzen: Es war nicht nur ein Störfaktor für das Projekt der Orientarmee, die in Griechenland landen und die Soldaten an der serbischen Front unterstützen sollten, sondern es ließ auch die Beziehungen zu den zuvor neutralen Balkanstaaten erkalten. Mit Ausnahme von Italien, das bereit war einzugreifen und am 26 April einen Bündnisvertrag unterzeichnet hatte, ein Zeitpunkt, als man noch an einen Sieg in den Dardanellen glaubte, sind die Beziehungen zu Griechenland und Rumänien, die zunächst begeistert waren, äußerst abgekühlt und abwartend. Bulgarien, das seit dem Balkankrieg im Jahr 1913 pro-deutsch gestimmt ist und die Situation Serbiens zu seinen Gunsten genutzt hat, kommt aus seiner Reserve, insbesondere seit klar ist, dass die Franzosen und Engländer nicht in der Lage sind, die Osmanen zu schlagen. Im Sommer verbünden sie sich daher unter strengster Geheimhaltung mit den zentralen Streitkräften, um dann am 5. Oktober in den Konflikt einzugreifen, indem sie Serbien in die Zange nehmen, während die österreichisch-deutsche Armee einen verheerenden Angriff startet. Die serbische Armee wird geschlagen und gezwungen, sich in Richtung Albanien zurückzuziehen, während das komplette Land dem Angreifer überlassen wird.

                Gleichzeitig erhält das Oberkommando von den Regierungen den Befehl zur Gründung einer Orientarmee, um die Serben zu retten. Doch die Landung in Thessaloniki im Oktober kommt bereits zu spät: Serbien ist bereits kurz vor dem Zusammenbruch. Obwohl die ursprüngliche Idee der Errichtung einer Orientarmee Anfang 1915 ganz gut geklungen hatte, so war doch die verspätete Realisierung vollkommen wirkungslos. Am Ende des Jahres ist nicht nur Serbien von der Landkarte verschwunden. Auch Rumänien und Griechenland mussten ihre Neutralität bestätigen, während Bulgarien ins feindliche Lager wechselte: Das Zögern der Alliierten und ihr dramatischer Rückzug aus den Dardanellen lieferte die Balkanländer an die Mittelmächte aus.

                 

                DAS JAHR DER UNNÖTIGEN MASSAKER

                Der Grund, weshalb die Orientarmee torpediert wurde, ist, wie bereits erläutert, dass Joffre absolut dagegen war. Im Jahr 1915 glaubte er fest an den Durchbruch an der Westfront, an mehrere kleine Durchbrüche entlang der gesamten Front. Er war überzeugt von begrenzten Operationen, oder großen Schlägen der Rammböcke, im Frühjahr in Artois und in der Champagne und im Herbst in der Campagne und in Artois. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass Zehntausende seiner Männer gefallen sind und es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Strategie mit der neuen Theorie des Untergrabens zu rechtfertigen. Tatsächlich war es aber so, dass er keine Strategie hatte und auch keine Ahnung, was nun geschehen sollte. Die Idee, den Feind zu untergraben, führte dazu, dass seine Stellungen fortlaufend angegriffen wurden, um die Soldaten zu demoralisieren und sie dazu zu zwingen, entsprechende Schäden zu beheben. Zusätzlich kam es zu regelmäßigen Massakern ohne Maß und Ziel sowie zu Übergriffen auf die Truppen, damit sich diese in ihrer Verteidigungsposition nicht zu sicher fühlten. In Wahrheit führte jedoch dieses Untergraben lediglich zur Schwächung der französischen Armee und keinem gegenteiligen Effekt.

                Ende 1915 waren bereits 320.000 der Frontsoldaten gefallen, nur dafür, dass man in Artois 3 km und in der Champagne 5 km gewonnen hatte. Das kann man nicht wirklich als Erfolg sehen! General de Castelnau bestätigt nicht zu Unrecht die traurigen Umstände, "die unsere Armee während des gesamten Jahres 1915 erleiden und sich unsinnig die Zähne ausbeißen musste". Lloyd George, einer der ersten Partisanen der Orientarmee, äußerte sich sehr wütend über die fehlende Technik des militärischen Kommandos, das immer einen Schritt hinter dem Feind hinterher hinkte: "Wir sind zu spät aufgebrochen, zu spät angekommen, wir haben zu spät eine Entscheidung getroffen, wir haben uns zu spät eingemischt und wir waren nicht rechtzeitig vorbereitet". Glücklicherweise hat Joffre für 1916 einen Plan. Er vertraut inzwischen nur noch auf die Koordination der Fronten und wollte nichts mehr versuchen, bevor sich die russische Armee erholt, neu formiert und zum Gegenangriff starten kann. Vielmehr setzte er auf einen Großangriff im folgenden Sommer.

                Während der Konferenz der Alliierten in Chantilly vom 6. bis 8. Dezember wird vereinbart, dass Frankreich, Großbritannien, Italien und Russland gemeinsam angreifen werden. Dies sollte ungefähr im Juni 1916 stattfinden. Eine gleichzeitige Operation, die Deutschland dazu zwingen würde, seine Ressourcen von einer Front an die andere zu verlagern, was die Niederlage schneller herbeiführen sollte. Aber der Juni 1916 ist noch in weiter Ferne und die Wahrscheinlichkeit gering, dass Deutschland nett genug ist, auf den Feind zu warten. Ganz im Gegenteil. Da von Russland, das seine Wunden leckte, keine Gefahr mehr ausging, konnte Falkenhayn unter strengster Geheimhaltung einen Überraschungsangriff an der Westfront vorbereiten. Er wählt nun als Schauplatz Verdun.

                "Im Stützpunkt in Thessaloniki": Französische Truppe überqueren den Galiko, Ende 1915. Foto, erschienen in der Zeitschrift Excelsior am Sonntag, 30. Januar 1916.

                francais a salonique

                © Caudrilliers / Excelsior - L'Equipe / Roger-Viollet

                Autor

                Jean-Yves Le Naour. Historiker und Experte über die Geschichte des Ersten Weltkriegs

                Wie geht es in Europa weiter nach dem Krieg?

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                Zusammenfassung

                  Zusammenfassung

                  DATUM : 25. März 1957

                  ORT : Rom

                  AUSGANG : Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)

                  GRÜNDUNGSSTAATEN : Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande

                   

                  Wenn die Waffen endlich schweigen, muss das normale Leben im Frieden erst wieder erlernt werden. Es werden zwar internationale Konferenzen zur Bildung eines neuen Gleichgewichts auf der Welt organisiert, dennoch ist Europa ab 1947 in zwei Einflussbereiche unterteilt. Im Westen ist dies eine Gruppe von Politikern, die dasselbe Ideal teilen, das insbesondere auf dem europäischen Einheitsgedanken basiert.

                  Im Jahr 1945 ist die Kriegsbilanz verheerend. 60 Millionen Menschen wurden auf den weltweiten Kriegsschauplätzen getötet. Das Verschwinden von 6 Millionen Juden weckt immer mehr das Bewusstsein, dass es sich hierbei um Völkermord handelt. Zerstörte Bauten prägen das Stadtbild. Millionen von Flüchtlingen überall. Die gesamte Bevölkerung leidet unter der vorherrschenden Lebensmittelknappheit. Die Kolonialreiche zerbröckeln. Die europäischen Währungen haben allesamt deutlich an Wert verloren. Die einzigen Währungen, die das Ganze ohne Schaden überstanden haben, sind der US-Dollar, das britische Pfund mit nur geringen Verlusten und der Schweizer Franken. Der Goldpreis erreicht Höchstwerte. Die Marktwirtschaften stehen unter Regierungsverwaltung. Die Öffentlichkeit sehnt sich nach einer Rückkehr zur Normalität.

                  Ein erstes Abkommen wird im Juli 1944 in Bretton Woods geschlossen. Der Vorschlag des britischen Ökonomen John Maynard Keynes basierte auf der Schaffung einer internationalen Währung, Bancor, die nicht vom Goldpreis abhängt und den wirtschaftlichen Handel unterstützen soll. Harry Dexter White, Vorsitzender der amerikanischen Delegation und hoher Beamter im Finanzministerium, befürchtete hingegen, dass die Defizitländer mit einer neuen und großzügig verteilten Währung die materiellen Ressourcen der USA ohne Beschränkungen ausschöpfen könnten. Die Amerikaner hielten deutlich mehr am Goldstandard fest, was sich dadurch erklärt, dass sie 2/3 der Weltreserven besitzen.

                  depart de molotov

                  Inkraftsetzung des Molotow-Pakts, nach dem Scheitern der Pariser Konferenz, 3. Juli 1947

                  © DR

                  WELTLICHE NEUORDNUNG

                  White setzt vielmehr auf einen Fonds zur Stabilisierung der Mitgliedsländer, mit dem Ziel, Abwertungen zu kontrollieren. Die Definition der Währungsparität sollte in Bezug auf den Goldstandard oder den US-Dollar erfolgen, der wiederum als as good as gold galt. Das gesamte System wurde von den Zentralbanken und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verwaltet. Weitere Organe waren die Internationale Bank für den Wiederaufbau und Entwicklung (BIRD) sowie die Weltbank. Das revolutionäre System regelte alsdann die internationale Zusammenarbeit.

                  plan marshall

                  Marshallplan: Präsident Truman wendet sich an den amerikanischen Kongress, 12. März 1947.

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                  Die Neuorganisation der Welt bestimmt auch die großen internationalen und politischen Konferenzen: zunächst die Konferenzen der Alliierten und später die Konferenzen der Vereinten Nationen. Zu den bekanntesten Konferenzen zählen Moskau (19. - 30. Oktober 1943), Teheran (28. November - 2. Dezember 1943), Jalta (4. - 11. Februar 1945) und Potsdam (17. Juli - 2. August 1945). Die USA, die Sowjetunion und Großbritannien, vertreten durch Roosevelt später Truman, Stalin und Churchill später Attlee, verfolgten das Ziel einer Neuaufteilung Europas nach Herbeiführung des Friedens, wodurch das Schicksal aller Menschen in ihren Händen lag. Die drei Großmächte trafen somit die Entscheidungen für die Landung der Alliierten in Frankreich, die Besatzung von Deutschland, das Schicksal Italiens und die Grenzen von Polen. Die Frage der Westgrenze von Polen war insbesondere Thema nach diversen Gesprächen mit Stalin. Für Deutschland stellte sich die Frage, ob eine Aufteilung oder Deindustrialisierung stattfinden sollte.

                  ratification du traite de paris

                  Ratifizierung der Pariser Verträge (EGKS), April 1951.

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                  Jalta führte nicht zur Teilung Europas: Die Erklärung über das befreite Europa, die am Ende der Konferenz abgegeben wurde, bekräftigt die liberalen und demokratischen Prinzipien der Atlantik-Charta (12. August 1941). Der Geist von Jalta lässt sich zusammenfassen als Versuch des Dialogs zwischen zwei konkurrierenden Wirtschaftssystemen mit dem Ziel, die großen Probleme Europas und der Welt nach Kriegsende zu lösen. Die auf dieser Konferenz getroffenen Entscheidungen wurden jedoch nicht eingehalten. Dies gilt insbesondere für das gegenüber Roosevelt abgegebene Versprechen, freie Wahlen im von der Roten Armee befreiten Europa zu organisieren, wodurch Jalta zum Symbol des Siegs von Stalin wird. Nach Kriegsende werden die Konferenzen auf Ministerebene fortgeführt, um die Stellung der Alliierten in Deutschland festzuschreiben (Vertrag von Paris, 10. Februar 1947). An dieser Verhandlung nimmt auch Frankreich teil. Mit dem Nürnberger Prozess wird die Entnazifizierung weiter vorangetrieben. Zwischen dem 20. November 1945 und dem 1. Oktober 1946 wird bei diesem Prozess Anklage erhoben gegen 24 Kriegsverbrecher wegen Anstiftung von Komplotten, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dank Unterstützung der UNO wurden schließlich Regelungen über territoriale Aufteilungen in Afrika und Europa getroffen (Finnland, Tenda und Briga, Triest, Mazedonien, Thrakien, Transsilvanien, Libyen, Eritrea, Äthiopien, Somalia). Die Sowjetunion drängt zweifellos weiter in Richtung West- und Nordeuropa.

                   

                  EINDÄMMUNG DES KOMMUNISMUS

                  Dennoch verstärkt sich 1947 der Eindruck, dass die Nachkriegsvereinbarungen scheitern könnten. Immer mehr Reibungspunkte, Spannungen und Drohungen belasten die große Allianz. Der kalte Krieg nimmt immer mehr Form an. Bereits in der Rede von Churchill in Fulton (Missouri) am 5. März 1946 macht der Begriff des "Eisernen Vorhangs" die Unstimmigkeiten deutlich. Im Iran stellen sich Engländer und Amerikaner in gefährlicher Weise gegen die Sowjets. Die Sowjetunion setzt die getroffenen Vereinbarungen hinsichtlich der Durchfahrt der Meeresengen in der Türkei außer Kraft. In Griechenland, das unter der militärischen Kontrolle Großbritanniens steht, bricht der Bürgerkrieg aus und am 12. März 1947 fordert Truman mit seiner Doktrin die Eindämmung des Kommunismus. Hinzu kommt die Tatsache, dass der wirtschaftliche Wiederaufbau nur schwerfällig vonstatten geht und das Chaos in Europa weiter begünstigt.

                  Die "deutsche Frage" ist nach wie vor ein Streitpunkt zwischen Ost- und Westeuropäern. Während des Treffens der Außenminister der vier Großmächte im März/April 1945 in Moskau kann keine Einigung gefunden werden und das Misstrauen wird immer größer. Im Januar desselben Jahres kommen in Polen nach einer manipulierten Wahl die Kommunisten an die Macht. In den Ländern Westeuropas übernehmen die kommunistischen Parteien die Kontrolle über den sozialen Kampf und im Mai verlieren die Kommunisten, die in Frankreich, Italien und Belgien Teil der Regierung waren, ihre Macht. Die Unterteilung Deutschlands in vier Zonen schlägt fehl und die Sowjets blockieren vom Juni 1948 bis Mai 1949 den Zugang zu Berlin. Infolgedessen schließen sich die amerikanische, britische und französische Zone zusammen, um dann im Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland (BRD) zu gründen. Auch auf der anderen Seite kommt es zur Staatsgründung und es entsteht die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Die Summe all dieser Ereignisse führte dazu, dass die Regelung der "deutschen Frage" vollkommen ins Stocken geriet. Der Marshallplan vom 5. Juni 1947 bot den europäischen Staaten Unterstützung beim wirtschaftlichen Aufbau an. Dennoch wurde er von der Sowjetunion abgelehnt, die darin eine anti-sowjetische Kriegsmaschinerie sah. Auf beiden Seiten wuchs die Angst immer mehr. Während die Sowjetunion sich vor der amerikanischen Dominanz fürchtete, nahm auf amerikanischer Seite die Angst vor einer weltweiten Expansion des Kommunismus zu. Die Angst siegte über die Vernunft und bot sodann Boden für die Entstehung zahlreicher Konflikte.

                  jean monnet

                  Jean Monnet, Präsident der Hohen Behörde der EGKS eröffnet offiziell den gemeinsamen Markt für Stahl für die sechs Mitgliedstaaten, 30. April 1953.

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                  Die Gründung des Informationsbüros der Kommunistischen und Arbeiterparteien Europas, das so genannte Kominform, in Szklarska Poreba im September 1947 rief im Westen Angst und Schrecken hervor. Der von den tschechoslowakischen Kommunisten am 28. Februar 1948 initiierte Prager Putsch führte zur Amtsenthebung der "bürgerlichen" Minister. Die Politik der "Eindämmung" führt am 4. April 1949 zur Unterzeichnung des Nordatlantikpakts durch die westlichen Militärmächte. Unter der Führung der Sowjetunion entstehen die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW oder COMECON). Als Gegenstück zur 1949 gegründeten NATO wurde im Jahr 1955 der Warschauer Pakt gegründet. Die Großmachtstellung der USA ist eine eindeutige und wesentliche Konsequenz und Folge des Krieges. Europa hatte seine zentrale Rolle sowie die politische und wirtschaftliche Macht verloren. Der Krieg führte zum Verfall, schwächte die Wirtschaft und belastete die Finanzen. Wie sollte in solch einem Umfeld eine europäische Union entstehen können?

                   

                  UMFANGREICHE ÜBERLEGUNGEN ÜBER EINE EUROPÄISCHE UNION

                  Auf den Wiederaufbau der nationalen Staaten und die Gründung internationaler Sicherheitsorganisationen (UNO im Juni 1945) folgt die europäische Union. Ideen für eine europäische Union gab es bereits und sie hatten sich in den Köpfen der Konzipienten bereits verankert. Zwischen 1929-1930 schlug der französische Außenminister und Ratspräsident Aristide Briand die Gründung einer europäischen Union vor. Obwohl das Projekt keine Zustimmung erfuhr, breitete sich die Vorstellung der Gründung regionaler Wirtschaftsunionen in den Köpfen der Industriellen und im internationalen Handelsumfeld immer weiter aus, je mehr die weltweite Wirtschaftskrise leidvoll voran schritt. Der Krieg führte zur vorübergehenden Bildung eines unter deutschem Einfluss stehenden Europas, das durch Militärdiktatur zusammengehalten wurde. Diese Vorstellung galt es nach dem Krieg zu liquidieren und Platz zu schaffen für eine demokratische Union, basierend auf den Werten der Atlantik-Charta. Um die hemmende Angst vor Deutschland und der Sowjetunion aus dem Weg zu räumen, bedurfte es einer gemeinsamen und mächtigen Maßnahme, die sowohl die neuen Weltorganisationen als auch die Diplomatien der europäischen Nationalstaaten schützen sollte. Die Misserfolge der Konferenzen der vier Großmächte waren bereits offensichtlich. In Folge kam es zur Unterzeichnung verschiedener multilateraler Sicherheitsabkommen in Europa. Der im Februar 1948 geschlossene Brüsseler Pakt stärkte die Sicherheit von Frankreich, Großbritannien und den Beneluxländern. Der Atlantikpakt vereinte die Länder Westeuropas und die Türkei (seit 1952) sowie die USA und Kanada zum Schutz gegen jeglichen Angriff von Dritten.

                  Gleichzeitig war eine andere Art von Bündnis in Überlegung: eine europäische Union. Aktive und von der öffentlichen Meinung geleitete Randgruppen verfolgten das Ziel der Gründung regionaler Unionen. Daraufhin entbrannten in allen großen demokratischen Parteien Diskussionen über eine europäische Union, die auch den nationalen Wiederaufbau unterstützen sollte. Bereits im März 1944 setzte sich de Gaulle für eine Föderation Westeuropas ein, nachdem er im Herbst 1943 in Algier mit dem CFLN im Hinblick auf eine europäische Union gearbeitet hatte. Jean Monnet, René Mayer, Robert Marjolin, Jean Chauvel, Maurice Couve de Murville diskutieren kontrovers über ihre Pläne für eine Einheit. Die europäischen Widerstandskämpfer erheben ihre Stimme gegen eine reine Rückkehr zur nationalen Souveränität, die vom Format einer europäischen Einheit oder internationalen Normen geprägt sein sollte. Ohne vorherige Absprache gründeten sie das Projekt namens "Europa der freien Nationen" oder Vereinigte Staaten von Europa (Frenay, Hauriou, Camus, Blum...). Ziel war es nicht, sich an Deutschland zu rächen, sondern vielmehr die Verbrechen der Nationalsozialisten vor Gericht zu stellen, die deutsche Bevölkerung in eine europäische Union zu integrieren und mit dem Ruhrstatut die gemeinsame Entwicklung zu fördern. 1944 trafen in der Schweiz verschiedene Gruppen zur Ausarbeitung europäischer Lösungen zusammen: Im Mai trafen sich Vertreter des europäischen Widerstands bei Pfarrer Visser't Hooft in Genf, und im Juli auf Initiative von E. Rossi, A. Spinelli und H. Frenay eine Abordnung europäischer Widerstandskämpfer. Für die Umsetzung dieser Projekte bedurfte es jedoch der Zustimmung der alliierten Großmächte. Die USA befürworteten die Pläne, während die Sowjetunion jedoch ein eigenes Sicherheitsbündnis zum Schutz vor Deutschland anstrebte. Hat der europäische Widerstand, mehr als die Staaten, den Prozess der europäischen Union vorangetrieben?

                   

                  DIE KOMPLEXE REALITÄT DES EINHEITSPROZESSES

                  Die Idee der europäischen Union wurde sehr populär, als Winston Churchill, in seiner Funktion als britischer Premierminister, im September 1946 die Massen in Zürich begeisterte und zur Gründung der Vereinigten Staaten von Europa aufrief. Er forderte die Gründung eines Europarates. Damit schuf er den Mythos des "Europäischen Frühlings". Zur selben Zeit, während die föderalistischen und unionistischen Organisationen für ihre Vorstellungen kämpften, handelten die europäischen Regierungen weiterhin souverän. Frankreich war zunächst an der Zerschlagung Deutschlands gelegen und es befürwortete eine europäische Union unter seiner Führung, um die Sicherheit des Landes endgültig sicherzustellen.

                  Der Zugang zur deutschen Kohle war eine Grundvoraussetzung für die Modernisierungspläne und den von Monnet angestrebten Aufbau der Wirtschaft. Er war es auch, der im April 1945 versuchte, einen supranationalen Handel europäischer Kohle aufzubauen. Er verfolgte das Ziel einer "Kohlediktatur" in Deutschland, mit gleichzeitiger Kontrolle über die Minen und die alliierten Besatzungsmächte. Eisenhower lehnte diesen Vorstoß ab. Monnet schlug dann im Jahr 1946 erneut vor, den internationalen Organisationen in den Tälern des Rheins, der Elbe, der Donau und der Oder Autonomie zu verleihen, nach dem Vorbild der TVA Roosevelts (Tennessee Valley Authority). Der Funktionalismus von Jean Monnet wird jedoch von den Regierungen nicht unterstützt. Die französische Regierung favorisierte vielmehr eine Zollunion mit den Beneluxstaaten. Anfang 1947 bekommt Léon Blum die Feindseligkeiten Großbritanniens zu spüren, nachdem er seine Ideen für eine kontinentale Union vorgestellt hatte und sich damit zufrieden geben musste, deren Schicksal verstärkt in die Hände der Amerikaner zu legen, mit dem Ziel, die Sicherheit und Modernisierung Frankreichs voranzutreiben.

                  reunion de loece

                  Versammlung der OECD mit Robert Schuman, Vertreter von Frankreich, Paris, 20. Oktober 1952.

                  © Roger-Viollet

                  Dennoch entsteht im Mai 1947 und dank der Rolle Churchills eine Bewegung für ein vereintes Europa, United Europe Movement (UEM), das aus einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der Regierungen bestehen sollte. Im Französischen Rat für ein vereintes Europa findet die UEM in Frankreich Nacheiferer (Herriot, Courtin und Dautry), der auf europäischer Ebene starke politische Unterstützung erhielt, im Gegensatz zu zahlreichen pro-europäischen und immer mehr föderalistischen Organisationen.

                  ullstein bild roger viollet

                  Jean Monnet, Heinz Potthof und Konrad Adenauer, 9. Dezember 1953

                  © Ullstein Bild / Roger-Viollet

                  Der wirtschaftliche Liberalismus hatte in der Europäischen Liga für wirtschaftliche Zusammenarbeit (ELEC) viele Fürsprecher (Paul Van Zeeland, Joseph Retinger). Auf ihrer Seite standen die protestantischen Kirchen, die katholische Kirche, die Hochschulen des Forum Alpbach (Otto Molde) und die internationalen Konferenzen in Genf, die Christdemokraten und die daraus entstandenen so genannten Nouvelles Équipes internationales (NEI), die sozialistische Bewegung für die Vereinigten Staaten von Europa (Marceau Pivert), die allesamt intellektuell äußerst aktiv waren und die Politik einer europäischen Union inspiriert haben. Die UEM schlägt die Organisation einer Synthese durch einen Kongress der pro-europäischen Bewegungen vor, in der Hoffnung, das von Churchill vorgestellte Projekt eines Europarates erfolgreich abzuschließen.

                  Am 7. Mai 1948 trifft der Europa-Kongress, ohne Beteiligung der Regierungen, unter dem Vorsitz von Churchill in Den Haag zusammen, an dem 775 Vertreter aus 24 europäischen Staaten beteiligt sind. Es kommt zur einstimmigen Verfassung verschiedener Resolutionen sowie einer Mitteilung an die Europäer, verfasst von Denis de Rougemont. Er empfiehlt die teilweise Abschaffung der Souveränität und die Integration Deutschlands in Europa, die Gründung einer beratenden europäischen Versammlung, ernannt durch die nationalen Parlamente, die Ausarbeitung einer Charta der Menschenrechte und die Errichtung eines Obersten Gerichtshofs. Die Unstimmigkeiten zwischen Unionisten (Briten) und Föderalisten (Franzosen, Italiener, Belgier) und den Oppositionen, die aus Liberalen und Anhängern der Planwirtschaft bestanden, machen die Grenzen deutlich, die den Einfluss der pro-europäischen Bewegungen hemmten.

                  Währenddessen nimmt die französische Regierung drei Monate nach dem Kongress die Idee der europäischen politischen Versammlung wieder auf (Georges Bidault). Die fünf Unterzeichner des Brüsseler Pakts überprüfen den Sachverhalt eines Europarates. Die am 5. Mai 1949 neu gegründete Organisation war vorgesehen als beratende Versammlung, ernannt durch die Parlamente, sowie als unabhängiger Ministerrat, der sämtliche Beschlüsse einstimmig zu beschließen hatte. Von einer europäischen Föderation war man noch weit entfernt. Trotz des im Sommer 1949 von Winston Churchill, Georges Bidault und Guy Mollet, Pieter Kerstens und auch Eamon de Valera, Paul Reynaud oder Hendrik Brugmans unterstützten lyrischen Höhenflugs, folgte schnell die Enttäuschung. Spaak wurde zum ersten Präsidenten der Versammlung gewählt, doch bereits im Dezember 1951 trat er mit viel Getöse von seinem Amt zurück, nachdem er gegen das von Großbritannien absichtlich herbeigeführte Festfahren des Großen Europa protestiert hatte.

                  Der Kalte Krieg und der Marshallplan wirken sich noch immer auf die Debatten über Europa und die Vorstellungen der Europabefürworter aus. Die Idee, die nationale Souveränität anzutasten, wurde fallen gelassen. Mit dem Brüsseler Pakt, unterzeichnet am 17. März 1948 und von den Amerikanern längst erwartet, bestand die Möglichkeit zur Gründung einer europäischen Union. Es handelte sich jedoch vielmehr um ein regionales Verteidigungsbündnis als um eine Zollunion und die Franzosen und Briten bestanden überdies auf einer militärischen Zusage der USA. Im Hinblick auf eine Union brachte dieser Pakt keine nennenswerten europäischen Institutionen hervor. Aus der ideologischen, idealistischen und pazifistischen Idee für das gesamte historische Europa, wird eine europäische Union, die immer mehr das Format des Widerstands gegen die sowjetische Dominanz annahm.

                  traite de rome

                  Unterzeichnung der Römischen Verträge, 25. März 1957.

                  © TopFoto / Roger-Viollet

                  Die von den Amerikanern zugesagten Hilfen für eine Union Westeuropas unterlagen zahlreichen Bedingungen. Für die Zuteilung der Hilfen musste eine Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) gegründet werden. Gegen den Rat der USA bestanden Frankreich, die Beneluxländer, Italien, Großbritannien, die Schweiz und die skandinavischen Länder mehr auf Kooperation statt auf Integration, obwohl Deutschland Teil der Organisation war. Die OECD förderte den intereuropäischen freien Handel ohne Errichtung einer Zollunion und unterstützte zudem die Rückkehr zur Konvertierbarkeit der Währungen dank einer europäischen Zahlungsunion. Der Marshallplan besiegelte eindeutig das Schicksal Deutschlands innerhalb eines demokratischen Europas. Frankreich war gefordert, seine Politik hinsichtlich der französisch-deutschen Beziehungen zu ändern. Im Osten verfestigte sich der sowjetische Block in einer zunächst wirtschaftlich ausgerichteten Organisation, dem am 25. Januar 1949 gegründeten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Er basierte auf dem Austausch wirtschaftlicher und technischer Informationen. Im Gegensatz zu den Erfahrungen, die man bei der Errichtung Westeuropas machte, war die Organisation des Ostens auf der Dominanz der Sowjetunion und einer ungleichen Partnerschaft angelegt. Dieses "andere Europa" entsprach nicht der europäischen Vorstellung der lokalen Bevölkerungen. In Westeuropa wurden die demokratischen Ideale in Verbindung mit der Dominanz des Auslands in Frage gestellt. In Osteuropa hingegen ließ der Unionsvertrag keinerlei Raum, das sowjetische Modell anzuzweifeln.

                  Daher steht die Erklärung von Schuman von 9. Mai 1950 im Kontrast und ruft Erstaunen hervor. Sie enthält eine klare Vorstellung darüber, wie sich die französische Politik hinsichtlich Deutschland ändern muss. Außerdem schlägt sie eine Aufteilung der Souveränität in den beiden Schlüsselindustrien (Kohle und Stahl) dieses Zeitalters vor. Jean Monnet, Robert Schuman und Konrad Adenauer verfolgen mit dem Plan der Hohen Behörde für Kohle und Stahl unmissverständlich das Ziel, eine föderale Instanz und Frieden in Europa zu schaffen. Es ist schwer zu sagen, wieviel dieser Erfolg den mächtigen und innovativen Ideen und dem Zusammenhang mit dem nicht gelungenen Bestreben einer föderalen europäischen Union verdankt. Auch wenn die Amerikaner nicht auf den Originaltext eingewirkt haben, so haben sie dennoch viel zum Erfolg der Pariser Verträge im April 1951 beigetragen.

                  Auf diese Weise entsteht eine erste Form der Einheit sowie eine Zusammenarbeit und Diplomatie, die weit über die Vorstellungen der USA hinausreichte. Dies wurde bekräftigt durch weitere Anstrengungen in Richtung Einheit, beginnend mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), die 1954 scheiterte, und dann die Römischen Verträge vom 25. März 1957 (Euratom und Gemeinsamer Markt). Die europäische Union wird nicht zwingend auf der idealen Botschaft erbaut. Die Schuman-Erklärung war vielmehr erfolgreich, weil sie passender erschien als die klassische Maßnahme der souveränen Staaten in Bezug auf die Situation des Kalten Krieges, die Vorstellungen der Bevölkerung hinsichtlich materiellen Wohlstands, den Zustand Frankreichs und Deutschlands mit dem Ziel, die materielle Unordnung zu lösen und die gewachsenen Moralvorstellungen zu berücksichtigen.

                  Autor

                  Gérard Bossuat - emeritierter Professor, Universität von Cergy-Pontoise - Geschichte der Einheit Europas - Lehrstuhl Jean Monnet ad personam

                  Der Wiederaufbau

                  Aktie :

                  Zusammenfassung

                    Zusammenfassung

                    DATUM : 8. Mai 1945

                    SCHAUPLATZ : Frankreich

                    SITUATION : Wiederaufbau

                    KRIEGSSCHÄDEN : 550.000 Tonnen Bomben wurden zwischen 1939 und 1945 über dem Gebiet abgeworfen

                    13 Millionen Minen wurden von den Deutschen zurückgelassen

                    460.000 bis 480.000 Menschen starben im Zuge der Kriegshandlungen

                    452.000 Gebäude wurden komplett zerstört, 1.436.000 teilweise

                    In 1.838 Gemeinden herrschten katastrophale Zustände

                    115 wichtige Bahnhöfe wurden zerstört, ebenso 24 von 40 Rangierbahnhöfen

                    7.500 Brücken waren eingestürzt oder zerstört worden

                    460 Milliarden Budgetdefizit für die Jahre 1939 bis 1944

                    Auf Tage der Volksfeststimmung nach der Befreiung folgte ein böses Erwachen. Nach Jahren von Krieg und Besetzung ist Frankreich verletzt und ausgeblutet. Viele Opfer sind zu beklagen, Städte sind verwüstet, die Volkswirtschaft ist zerstört und die Rationierung hält weiter an. Das Land steht vor zahlreichen Herausforderungen.

                    Für einen Großteil der Franzosen bleibt 1944 das Jahr der Befreiung. Mit seinen Festzügen, Ballveranstaltungen, seiner Euphorie…und seinen Illusionen stellt der Sommer 1944 einen Meilenstein in der französischen Geschichte dar, wie zuvor das Föderationsfest 1790, die ersten Wochen der Revolution 1848 oder der 11. November 1918. 1944 rückt die Gegenwart nach der Niederlage von 1940 und den vier langen Jahren der deutschen Besatzung in den Vordergrund.

                    Im Jahr 1945 macht sich die Vergangenheit erneut bemerkbar: Enttäuschungen und Verdrossenheit angesichts einer Lage, die sich nicht wirklich verbessert. Das Jahr 1945 kann im Vergleich zu 1944 nur schlecht abschneiden. Die Zeit ist gekommen, eine Bilanz des Konfliktes zu ziehen. Ernüchtert müssen sich die Franzosen den erdrückenden Folgen des Krieges und der deutschen Besatzung stellen.

                    ruines 1945

                    Déblaiement dans les ruines de Caen.

                    © ECPAD/Vincent Verdu

                     

                    FRANKREICH BESETZT UND BOMBARDIERT

                    Zweimal war Frankreich Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen: im Mai und Juni 1940 im Zuge der deutschen Invasion und später, im Juni 1944 während der Befreiungskämpfe. Blieb das Land während der vier Jahre, die zwischen den zwei Daten liegen, von Konflikten verschont? Kann man dem Argument von Pierre Laval zustimmen, der seine Landsleute am 6. Juni 1944 dazu anhält, die Alliierten, die gerade in der Normandie gelandet sind, nicht zu unterstützen: “Wir sind nicht im Krieg!" In Wahrheit stellte der Waffenstillstand im Juni 1940 keinen Schutzschild gegen die Feindlichkeiten dar. Die Luftangriffe der Alliierten auf Frankreich setzten sich ständig fort. Mit 550.000 Tonnen abgeworfener Bomben (das entspricht 22% der Gesamtmenge), hält Frankreich den traurigen Rekord des am meisten bombardierten europäischen Landes nach Deutschland.

                    In den Jahren 1940 und 1941 beschießt die RAF die Häfen entlang des Ärmelkanals und des Atlantiks in Erwartung einer deutschen Invasion in England. Mit dem Einsatz der US Air Force in den Jahren 1942 bis 1943 beginnen sich die Bombardierungen aufs Landesinnere auszuweiten, wobei die Küste nach wie vor nicht verschont bleibt. Die Unternehmen, die für Deutschland arbeiten, werden besonders ins Visier genommen, insbesondere der Sitz von Renault in Boulogne-Billancourt. 80% der auf Frankreich abgeworfenen Bomben fallen im Jahr 1944. Im Rahmen der Operation Overlord wurde im Zuge der Operation “Transportplan“ die Zerstörung der Verbindungswege, insbesondere der Schienenwege anvisiert. Aber Frankreich muss die Last des Krieges auch in Form einer intensiven Besatzung durch die deutschen Truppen im Jahr 1940 tragen (Vorbereitung der Operation Seelöwe). Die Situation verbessert sich deutlich im Jahr 1942, aber verschlechtert sich erneut ab 1943. Im Jahr darauf besteht die Besetzungsmacht aus mehr als einer Million Soldaten, die insbesondere entlang der Küste stationiert sind.

                    arrive à la gare de l'est à paris

                    Arrivée de prisonniers de guerre français à la gare de l'Est à Paris.

                    © SHD

                    PLÜNDERUNG UND VERFOLGUNG

                    Die “Unterhaltskosten“ dieser Truppen, die den Besiegten vom Sieger abverlangt werden, belaufen sich auf die astronomische Summe von 700 Milliarden Francs für die vier Jahre. Dazu kommt die Plünderung der Konsumgüter, der sich die deutschen Soldaten dank der mutwilligen Aufwertung der Reichsmark ungeniert hingeben können. Aber die Plünderung nimmt auch andere Formen an: modernste Maschinen werden abmontiert und über den Rhein transportiert; Pferde werden massenweise beschlagnahmt, um in einer deutschen Armee zum Einsatz zu kommen, die bei Weitem nicht so mechanisiert ist, wie man allgemein annimmt; Besitzergreifung von fast 30% der Kohleproduktion, 74% des Eisenerzes und 50% des Bauxits; Abgaben auf Fleisch (21%), Weizen (13%), Milch, Butter und andere Lebensmittel, die nunmehr für die Speisekammern deutscher Familien bestimmt sind. All dies wird beglichen durch…die Besatzungskosten, d. h. durch den französischen Staat. Göring hat gesagt “ich gedenke zu plündern, und zwar ausgiebig“, was dann auch der Fall war.

                    Man darf hierbei die Ausbeutung der Menschen nicht vergessen. Auf Grund eines erheblichen Kriegseinsatzes an mehreren Fronten fehlt es der deutschen Wirtschaft an Arbeitskräften. Ab 1940 werden 1.500.000 französische Gefangene in deutsche Lager verfrachtet, wo viele von ihnen als Arbeitskräfte eingesetzt werden, insbesondere in der Landwirtschaft. Die Öffnung der Ostfront verschärft jedoch den Bedarf. In Frankreich, wie in anderen eroberten Ländern, versucht eine intensive Propaganda, freiwillige Arbeitskräfte zu gewinnen. Ungefähr 200.000 Personen (und nicht 70.000, wie oft gesagt und geschrieben wurde), waren einverstanden, ihr Land für einen mehr oder weniger langen Zeitraum zu verlassen. Unter ihnen eine relativ große Anzahl an Ausländern und Frauen. Um den wachsenden Anforderungen Deutschlands gerecht zu werden, erlässt Vichy zwei Gesetze, eines im September 1942 (welches die Zwangsarbeit einführt) und eines im Februar 1943 (obligatorischer Arbeitsdienst), auf Grund derer 650.000 hauptsächlich junge Männer ins Reich entsandt werden.

                    ruines 1945

                    Gare ferroviaire du Mans, 1945.

                    © ECPAD

                    Die Verfolgung stellt eine andere Facette der deutschen Besatzung dar. 90.000 Männer und Frauen wurden in Konzentrationslager deportiert. Es handelte sich um Mitglieder der Résistance (44%) oder um Personen, die dem Besetzer widersprochen oder sich ihm gegenüber feindlich eingestellt gezeigt hatten. Der Rest (27%) waren Geiseln, Opfer von Razzien, gewöhnliche Strafgefangene, ehemalige Kommunisten…Gleichzeitig traf die Verfolgung durch die Deutschen 75.000 Juden, hauptsächlich ausländischer Abstammung, die großteils nach Auschwitz deportiert wurden. Alle jene, die für arbeitsfähig erklärt wurden, wurden in Fabriken und Werkstätten platziert, genau wie die Insassen der Konzentrationslager vor ihnen. Die Anzahl der durch Erschießungskommandos Hingerichteten beläuft sich auf ca. 4.000 Personen (diese Zahl wurde lange überschätzt). Während die Bevölkerung im Norden ab 1940 den Ausschreitungen der deutschen Truppen (insbesondere der SS) ausgesetzt waren, hatten die Massenhinrichtungen in Frankreich bis Anfang 1944 ein Ende genommen, bis im Februar der Sperrle-Erlass im Westen die Einführung scharfer Maßnahmen gegen die Résistance und die zivile Bevölkerung erlaubte, welche bereits an der Ostfront zum Einsatz kamen. Die schlimmsten Gräueltaten waren somit erlaubt, ohne dass die Beteiligten zur Rechenschaft gezogen wurden. “Zu scharfe Maßnahmen können kein Grund zur Bestrafung sein“. Die ersten Opfer der Massaker waren die Widerstandskämpfer im Massif Central sowie die Zivilisten, die sie unterstützten, aber ebenso die Bewohner von Ascq im Norden als Reaktion auf einen Sabotageakt.

                    Auf die Landung folgten in dieser Logik des Schlimmsten die Massaker von Tulle, Oradour-sur-Glane, Argenton-sur-Creuse, Buchères, Maillé, ausgeführt von verschiedenen SS-Einheiten…

                    Mit Ausnahme des Elsass und der so genannten Poches de l'Atlantique ist ein Großteil des französischen Territoriums im Herbst 1944 befreit. Aber in welchem Zustand?

                     

                    HOHE ZAHL AN TODESOPFERN

                    Die Zahl der Opfer, die im Zuge der Kriegsereignisse zwischen 1939 und 1945 getötet wurden, liegt zwischen 460.000 und 480.000, weit unter den von der Kriegsentschädigungskommission Ende der 40er Jahre geschätzten 600.000. Diese Zahl ist nicht mit dem Massensterben des Ersten Weltkriegs zu vergleichen, entspricht aber den Werten der vom Vereinigten Königreich (400.000) und Italien (440.000) erlittenen Verluste. Der andere Unterschied zum Ersten Weltkrieg ist die relativ gleichmäßige Aufteilung zwischen militärischen und zivilen Opfern, was im Übrigen der globalen Opferbilanz des Zweiten Weltkriegs entspricht.

                    Zwischen 55.000 und 65.000 Männer fielen in den Schlachten von Mai bis Juni 1940, und nicht 100.000, wie allgemein angenommen wird. Den Gegenbeweis liefert die Datenbasis des Verteidigungsministeriums. Die Abweichung beruht auf dem - absichtlich oder unabsichtlich - bestehenden Irrtum, die zu den Opfern des Frühlings 1940 die Toten des Sitzkrieges (mehr als 10.000) und die 30.000 bis 40.000 Kriegsgefangenen hinzuzählt, die zwar 1940 gefangen genommen wurden, aber später in Deutschland verstarben. Hinzu kommen im Prinzip die Verluste der Armee von Vichy in Syrien, Nordafrika… (4.300), jene des befreiten Frankreichs (3.200) und schließlich jene der 1943 neu aufgestellten französischen Armee, die in Tunesien und Italien, sowie danach bei der Befreiung Frankreichs und dem endgültigen Angriff auf Deutschland kämpfte. Die Zahl der getöteten Soldaten beträgt 23.000, dazu kommen 14.000 der FFI, die im Kampf gefallen sind oder in Frankreich hingerichtet wurden. Letztendlich darf man auch die 32.500 Elsässer und Mosellaner nicht vergessen, gefallen in deutscher Uniform. Die zivilen Opfer sind den Deutschen, den Alliierten...und nebenbei auch den Franzosen zuzuschreiben. Die von den Nazis ausgeführten Unterdrückungen und Verfolgungen sind verantwortlich für den Tod von fast 4.000 Geiseln und zum Tod durch Erschießen Verurteilten, 36.000 Deportierten, die in Konzentrationslagern starben, mehr als 70.000 Juden und zwischen 10.000 und 15.000 Zivilisten, die Opfer von Massenhinrichtungen oder mutwilligen Massakern wurden. Zu dieser Gesamtzahl kommen freiwillige oder eingezogene zivile Arbeitskräfte hinzu, die in Deutschland gestorben sind. 60.000? 40.000? Wir wissen es nicht. Die Anzahl der im Laufe der alliierten Luftangriffe getöteten Personen wird auf 50.000 bis 70.000 geschätzt. Noch hinzuzufügen ist, dass die “wilde“ Säuberung im Zuge der Befreiung beinahe 9.000 Menschen, die als Kollaborateure angesehen wurden, das Leben gekostet hat.

                    ruines 1945

                    Visite du général de Gaulle en Bretagne, Brest, 26 juillet 1945.

                    © ECPAD/Henri Malin

                     

                    SCHWERWIEGENDE MATERIELLE SCHÄDEN

                    Zwischen 1939 und 1945 hat Frankreich bei Weitem schwerwiegendere materielle Schäden erlitten als im Ersten Weltkrieg. Zwar wurden 13 Departements vollständig zerstört, aber der Rest des Landes hatte keine Schäden zu beklagen. Im Zeitraum von 1940 bis 1945 ist Frankreich zwei unbarmherzigen Feldzügen ausgeliefert. Der Feldzug von 1940 trifft besonders hart die Region Nord; der von 1944 verwüstet die Normandie und, in geringerem Ausmaß die Provence, aber auch die Region Est (Ostfrankreich); zwischen den beiden Fronten werden nur wenige Gebiete von den alliierten Bombardements verschont. Insgesamt sind 74 Departements betroffen.

                    reconstruction immeuble apres la guerre a saint-malo

                    Reconstruction d'immeubles après la guerre à Saint-Malo.

                    © Roger-Viollet

                    Die sichtbarsten Schäden betreffen das materielle Kulturerbe: 452.000 Gebäude werden komplett zerstört (zweimal mehr als im Vereinigten Königreich), 1.436.000 teilweise. Beinahe 20% des Gebäudeparks des Landes werden zerstört, während es im Ersten Weltkrieg nur 10% waren. Eine Million Familien verlieren ihren Wohnsitz, was 4 bis 5 Millionen entspricht; eine schwere Wohnungsnot beginnt sich abzuzeichnen. Im Jahr 1946 schätzt die Kriegsentschädigungskommission die Kosten für eine Rückkehr zu normalen Verhältnissen auf 5.000 Milliarden, was zwei oder drei Jahren des Bruttosozialeinkommens entspricht. In 1.838 Gemeinden herrschten katastrophale Zustände. Darunter 15 der 17 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern; 21 von 39 jener mit einer Einwohnerzahl zwischen 50.000 und 100.000. Aber auch die ländlichen Gebiete wurden nicht verschont: ein Viertel der geschädigten Gemeinden zählt weniger als 2.000 Einwohner. Das am Schwersten betroffene Departement, Calvados, verzeichnet allein 120.000 zerstörte Gebäude. Im Jahr

                    1945 sind die Transportwege durch die massiven Zerstörungen weitgehend gelähmt, was ein zerstückeltes Frankreich zur Folge hat. Als Opfer der Materialbeschlagnahmungen durch die Deutschen, der Sabotageakte der Résistance und der Bomben der Alliierten hat das französische Eisenbahnnetz besonders gelitten: die Hälfte des Schienennetzes für einen mehr oder weniger langen Zeitraum außer Betrieb; 115 wichtige Bahnhöfe zerstört, ebenso wie 24 von 40 Rangierbahnhöfen; 2.000 Bauwerke (Brücken, Tunnel, Viadukte) unbenutzbar. Von den Personenwagen der SNCF ist nur die Hälfte betriebstüchtig, bei den Güterwaggons ist es einer von drei und bei den Lokomotiven eine von sechs. Im Straßenverkehr sieht es nicht viel besser aus, 7.500 Brücken sind eingestürzt und vier Fünftel der Lastkraftwagen verschwunden. Der Schiffstransport und insbesondere die Häfen, die von der RAF vier Jahre lang vehement bombardiert wurden, litten ebenfalls unter den Folgen. Zahlreiche Strommasten wurden zerstört und 90.000 Kilometer Telefonleitungen sind außer Betrieb.

                     

                    ZUSAMMENBRUCH DER WIRTSCHAFT

                    Der Krieg und die Besatzung bringen erhebliche Rückschläge für die nach der Krise der 30er Jahre bereits geschwächte französische Wirtschaft. Die nüchternen Zahlen sprechen für sich. Während des Krieges ist die landwirtschaftliche Erzeugung um 40% zurückgegangen. 1945 betrug die Weizenernte nur noch 42 Millionen Doppelzentner, während es 1939 noch 73 waren; die Kartoffelernte fiel von 144 auf 61 Millionen Doppelzentner; die Menge der im Handel angebotenen Fleischprodukte ist um die Hälfte geringer. Gründe dafür: die Reduktion der Anbauflächen um 3 Millionen Hektar; Gebiete, deren Boden von den 13 Millionen Minen verseucht ist, die die Deutschen zurückgelassen haben; das Verschwinden eines Drittels der Zugpferde, die von den Deutschen beschlagnahmt wurden; der Mangel an Düngemitteln, der für die Ernten verheerende Folgen hat, aber auch der Mangel an Arbeitskräften, der mit sich bringt, dass viele Flächen brach liegen.

                    dresde

                    Dresde en 1945.

                    © Richard Peter/Deutsche Fotothek

                    Der Rückgang der industriellen Produktion ist noch frappierender: 60% im Vergleich zu 1938, und sogar 70% im Vergleich zum Niveau von 1929. 1945 liefern die Kohlenminen nur noch 25 Millionen Tonnen gegenüber 47 Millionen vor dem Krieg; die Stahlwerke 1,6 Millionen Tonnen Stahl statt 6,2 Millionen, und die Zementwerke 126.000 Tonnen statt 296.000. Zahlreiche Umstände erklären diesen Verfall: die Bombardierung von Fabriken, die Beschlagnahmung durch die Deutschen von Maschinen, Rohstoffen und Arbeitskräften, Schwierigkeiten in der Energie- und Rohstoffversorgung… Was eine Wiederankurbelung betrifft, erweist sich diese im Jahr 1945 auf Grund zweier Engpässe als schwierig: Zerfall der Transporte und Kohleknappheit, wichtigster Energielieferant in jener Zeit.

                    Der Rückgang der Produktion bedeutet einen drastischen Einbruch des Angebots gegenüber der Nachfrage und bringt unweigerlich einen starken Anstieg der Preise und der Gehälter mit sich. Die besteuerten Preise steigen zwischen 1938 und 1944 um ein Dreifaches; insgesamt steigen die Preise (einschließlich derer des Schwarzmarktes) um ein Fünffaches. Bereits unter Vichy deutlich zu spüren, steigt die Inflation nach der Befreiung in ungewohntem Ausmaß und wird zu einem immer wiederkehrenden Übel während der 4. Republik. Diese Umstände führen dazu, dass der Franc gegenüber dem Dollar stark abgewertet wird. Die Unzulänglichkeiten der Produktion machen sich auch im Außenhandel bemerkbar. Die Exporte reduzieren sich auf ein Minimum, während die Importe sprunghaft ansteigen, um den Anforderungen der Wirtschaft und der Bevölkerung gerecht zu werden.

                    Im Jahr 1945 übersteigen die Importe um ein Fünffaches die Exporte. Um dies zu finanzieren, muss Frankreich Kredite aufnehmen. Auch die öffentlichen Finanzen sind mit einem kolossalen Budgetdefizit, das für die Jahre 1939 bis 1944 auf 460 Milliarden geschätzt wird, in Bedrängnis. 1939 decken die Einnahmen nur 30% der Ausgaben, und nur 55% im Jahr 1945. Um dieser Situation zu begegnen, schnellt die Staatsverschuldung auf ungeahnte Ausmaße. Sie vervierfacht sich während der sechs Jahre, die der Konflikt dauert.

                    ruines 1945

                    Ruines de Coblence, les ouvriers du STO occupés à déblayer les rues.

                    © ECPAD/André Gadner

                    Auch wenn der französische Durchschnittsbürger sich der enormen wirtschaftlichen und finanziellen Probleme nicht unbedingt bewusst ist, ist er dennoch gewissen Folgen unbarmherzig ausgeliefert, insbesondere was den andauernden Versorgungsnotstand betrifft. Diese während der Besatzung vorherrschende Sorge ist nach der Befreiung nicht verschwunden, ganz im Gegenteil. Eine gewisse Resignation verwandelt sich in Fassungslosigkeit und totales Unverständnis. Der Abzug der Deutschen, die nach Aussagen von Radio London “Alles genommen hatten“ bedeutete für viele die Rückkehr zum ehemaligen Überfluss. Die Rationierung bleibt jedoch bestehen, die berühmten Lebensmittelkarten, ebenso wie die langen Warteschlangen vor den Läden sind nicht verschwunden, und der Schwarzmarkt blüht mehr denn je. In Wirklichkeit wurden die Produktions- und Vertriebssysteme während der Besatzung dermaßen zunichte gemacht, dass eine rasche und einfache Rückkehr zu normalen Verhältnissen nach vier Jahren wirtschaftlicher Störungen und Schwarzmarkt auszulöschen einfach nicht möglich ist. Wir befinden uns also immer noch in Zeiten der Rationierung. Was auf den Teller kommt, ist immer noch nicht besser; Gas und Strom sind nach wie vor rar. Für das Ende der Rationierung muss man 1949 abwarten. Gemäß den von IFOP durchgeführten Studien bleibt die Versorgung die größte Sorge der französischen Bevölkerung.

                     

                    DER WEG ZUM WIEDERAUFBAU

                    Frühling 1945, die “Abwesenden“ kehren zurück: Zwei Millionen Männer und mehrere Tausend Frauen: Kriegsgefangene, Freiwillige oder Zwangsarbeiter, Deportierte. Manche von ihnen finden ihre Familie wieder, die sich verändert hat, insbesondere die Kinder. Sie sind größer geworden und erinnern sich kaum oder gar nicht an den verlorenen Vater. Sie alle finden ein Land wieder, welches nicht unbedingt jenem entspricht, das sie verlassen haben. Ein Land, das unglaublich gelitten hat!

                    papillon anti-allemand

                    Papillon anti-allemand. La question du ravitaillement devient un sujet de préoccupation quotidien alors que les Allemands prélèvent à leur profit 40 % et plus de la production.

                    © Musée de la Résistance nationale – Champigny

                    Allerdings haben der Krieg und die Besatzung trotz zahlreicher Dramen auch die Basis für einen Wiederaufbau geschaffen. So erfolgte zum Beispiel ab 1943 eine Kehrtwende in der seit langem stagnierenden Geburtenrate, die den Beginn des berühmten “Babybooms“ einläutet, zu dem de Gaulle folgendermaßen aufrief: “Wir brauchen in den nächsten zehn Jahren zehn Millionen gesunder Babys“; dies bedeutete das Ende des Alterns der französischen Bevölkerung und stellte eine der treibenden Kräfte der später folgenden goldenen Dreißiger dar.

                    Die materiellen Verwüstungen in Folge der Kriegshandlungen sind der Ausgangspunkt einer Periode, die historisch gesehen als Wiederaufbau bezeichnet wird. In Wirklichkeit sollte man eher von einer “Reurbanisierung“ sprechen, die sich nicht damit zufrieden gibt, die zerstörten Städte identisch wieder aufzubauen, sondern sie logischer und weitläufiger zu konzipieren, insbesondere durch das Ersetzen veralteter und ungesunder Viertel durch neue, mit modernem Komfort ausgestattete Gebäude. In einem anderen Bereich hat der französische Staat –gezwungenermaßen- seinen Interventionsbereich auf die Wirtschaft ausgeweitet, um die Mentalitäten und die öffentliche Meinung auf die großen Reformen vorzubereiten, die auf diesem Gebiet zunächst von der Übergangsregierung und später der 4. Republik durchgeführt wurden.

                    Was die Résistance angeht, so hat sie, während sie den Widerstand gegen den Besatzer und Vichy fortführt, im Geheimen tiefgehende Überlegungen angestellt, welches Gesicht das neue Frankreich nach der Befreiung haben sollte. In diesem Sinne wird im März 1944 das berühmte Programm des Conseil national de la Résistance verabschiedet, welches zahlreiche Reformen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich vorsieht. Es sollte als “Brevier“ für die Regierungen der Befreiung dienen. Im Jahr 1945 sieht die Zukunft immer noch nicht leuchtend aus, aber es besteht zumindest Hoffnung.

                    etiquette

                    Tous les produits, absolument tous, intéressent les Allemands… Étiquette placée sur le wagon d'expédition vers l'Allemagne.

                    © SHD

                    Autor

                    Jacques Quellien - Université de Caen - Basse-Normandie

                    1945, der Horror offenbart sich

                    Aktie :

                    Zusammenfassung

                      Zusammenfassung

                      DATUM : 24. Juli 1944 - 8. Mai 1945
                      ORT : Europa
                      ABSCHLUSS : Befreiung der Lager
                      BETEILIGTE STREITKRÄFTE : Alliierte Truppen
                      SS

                      In den ersten Monaten 1945 befreien die Alliierten nacheinander verschiedene Konzentrationslager der Nazis, wodurch das Ausmaß des Massakers immer mehr ersichtlich wird. Im April gehen die Bilder des Schreckens um die Welt und es beginnt die Rückführung der Überlebenden. Es sind jedoch noch viele weitere Jahre notwendig, um die Realität des Systems der Konzentrationslager und des Völkermords tatsächlich begreifen zu können.

                      "Die Tore zur Hölle sind geöffnet", schrieb der amerikanische Journalist John Berkeley im Mai 1945. Der Horror beschreibt die Entdeckung der von den Nazis errichteten Lager durch die alliierten Armeen. Die Befreiung wird von mehreren Quellen beschrieben, wobei oft der außergewöhnliche Fall von Buchenwald im Mittelpunkt steht, wo die Inhaftierten selbst zu den Waffen griffen, um für ihre Befreiung zu kämpfen und die SS-Wächter zu verfolgen. Nur eine kleine Minderheit konnte im Rahmen der Vereinbarungen zwischen SS und dem Roten Kreuz befreit werden und sich somit der tödlichen Evakuierung der Lager entziehen. Besonders einprägsam sind jedoch die Bilder von Inhaftierten, die kurzerhand exekutiert wurden oder die am Straßenrand erschöpft zusammenbrachen sowie Sterbelager, die nur durch Zufall von den alliierten Truppen aufgespürt wurden. Unter diesen Umständen musste die Organisation der Rückführung von Deportierten größtenteils improvisiert werden. Dieses Ereignis gilt als eine der Informationsquellen über die Lager und die Deportationen.

                      mauthausen

                      La 11e division blindée américaine entre dans le camp de Mathausen, 6 lai 1945 (reconstitution).

                      © Donald R. Ornitz/collection USHMM, Washington

                       

                      DER SCHOCK BEI DER ENTDECKUNG DER LAGER

                      Ende Juli 1944 ist der Krieg noch immer in Gange, als die Sowjets im leergeräumten Lager von Lublin-Maïdanek eintreffen, wo die Vergasungsanlagen noch immer vorhanden sind. Ende November befreien die Amerikaner und Franzosen das Lager Natzweiler-Struthof, das jedoch von den SS-Wachen und den Inhaftierten bereits verlassen war. Dieselbe Situation wiederholt sich im Januar 1945 in Auschwitz, obwohl dort noch eine kleine Minderheit der Inhaftierten vorgefunden wurde.

                      Im befreiten Frankreich, wo die Presse noch immer der Zensur unterlag und die erhaltenen Informationen nicht überprüfen konnte, wird über diese Ereignisse folglich kaum berichtet. Insbesondere sollten auch Familien geschützt werden, die auf die Heimkehr ihrer Angehörigen hofften. L'Humanité veröffentlicht zwei Artikel über die Entdeckung der Lager im Dezember 1944, und dann wird bis zum 5. April über dieses Thema nicht mehr berichtet. Le Figaro veröffentlicht am 3. März 1945 einen Bericht über Struthof, d. h. drei Monate nach der Entdeckung des Lagers. Und auch diese Artikel schaffen es nicht auf die Titelseiten. Es herrscht dieselbe Diskretion wie auch beim Radio oder den Filmnachrichten, wodurch die Beunruhigung eher verstärkt wurde als die Berichte und Horrorbilder veröffentlicht wurden.

                      the liberation of bergen belsen

                      Un soldat britannique parles avec un détenu, Bergen-Belse, 17 avril 1945.

                      © Sgt Oakes/IWM, Londres


                      Anfang April 1945 werden zunächst die Kommandos von Neuengamme entdeckt. Am 5. April verbreitete die Ankunft im Lager Ohrdruf, Thüringen, Angst und Schrecken. Die Befreiungstruppen fanden über 3.000 Leichname, nackt und ausgemergelt. Am 11. April marschieren die Amerikaner in das "kleine Lager" Buchenwald ein, und was sie fanden, glich wahrhaftig einem Sterbelager. Nur wenige Tage zuvor verließen hier mehrere Konvois das Lager in Richtung Dachau. Viele der Inhaftierten waren so erschöpft, dass sie kaum glauben konnten, dass sie nun frei waren. Auch der Anblick der Boelke-Kaserne in Nordhausen, wo viele Kranke untergebracht waren, war schrecklich: 3.000 Leichname, 700 Überlebende, die jedoch im Sterben lagen. Am 14. April wird das Gemetzel von Gardelegen entdeckt. In diesem kleinen Dorf wurden über 1.000 Gefangene nach der Evakuierung durch die Dora-Kommandos bei lebendigem Leibe in einer Scheune verbrannt. Am nächsten Morgen folgte die Befreiung des Todeslagers Bergen-Belsen durch die Briten, wo Tausende Menschen inmitten von Leichen ebenfalls ums Leben kommen. Am 29. April erreichen die Amerikaner das Konzentrationslager Dachau, wo sie einen Bahnwaggon mit über 2.300 Leichen finden, die aus dem Transport von Buchenwald stammten und dort zurückgelassen worden waren. Aufgrund dieser entsetzlichen Bilder wussten sich einige Soldaten nicht besser zu helfen, als die SS-Wachen unmittelbar hinzurichten. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Drittel der 750.000 in Konzentrationslagern Inhaftierten während der letzten Kriegswochen verstorben sind, entweder in den Lagern selbst oder auf den so genannten Todesmärschen.

                      Der Kommandostab der Alliierten wird über diese grauenvollen Entdeckungen unmittelbar in Kenntnis gesetzt. Eisenhower trifft am 12. April gemeinsam mit Patton und Bradley in Ohrdruf ein. Noch am selben Tag entscheidet er sich, die Presse vollständig über die neusten Erkenntnisse zu unterrichten. Er befahl sogar den in der Nähe befindlichen Truppen sich diese grauenhaften Tatsachen anzuschauen: "Man hat uns gesagt, dass die amerikanischen Soldaten nicht wissen, wofür sie hier kämpfen. Nun wissen sie zumindest, gegen was sie kämpfen", verkündet er. Nur wenige Tage später werden Besuche für Journalisten und parlamentarische Vertreter organisiert. Ab diesem Moment fällt die Pressezensur immer mehr: Die Veröffentlichung von Schreckensbildern, Filmen oder Fotografien nimmt immer mehr zu. Es ging darum, den Horror zu zeigen, ihn "pädagogisch" zu nutzen. Die Kamerateams des amerikanischen Senders Signal Corps erhielten die strikte Aufforderung, möglichst viele Bilder der Gräueltaten, der Lager und der Situation vor Ort zu liefern. Zu den vielen Kriegsberichterstattern, die sich an diesen Schauplätzen einfanden, zählen auch zahlreiche namhafte Fotografen: Margaret Bourke-White (von Life, in Buchenwald), Lee Miller (von der Vogue, in Buchenwald und Dachau) und auch Eric Schwab (ein Franzose, in Ohrdruf, Buchenwald, Thekla, Dachau).

                      "Es ist wichtig, dass die gesamte Welt darüber in Kenntnis gesetzt wird" schreibt Sabine Berritz in der Zeitschrift Combat vom 3. Mai 1945. "Müssen diese grauenhaften Tatsachen weitererzählt werden?" fragt sie. "Müssen sich unsere Kinder mit dieser Massenkriminalität beschäftigen? Unlängst hätten wir dies noch verneint. Wir hätten uns gegen die Verbreitung dieser schrecklichen Dokumente gesträubt. […] Heute ist es jedoch wichtiger denn jemals zuvor, dass alle Zeitschriften und Zeitungen auf der ganzen Welt, diese Berichte und Fotos veröffentlichen. Trotz unserer empfundenen Abscheu müssen wir unsere Kinder, ja alle Kinder über diese Gräueltaten informieren. Diese grauenvollen Erinnerungen müssen sich im Gedächtnis unserer Kinder einbrennen […]". Die Bilder der Bulldozer, die die Leichen in Bergen-Belsen in Massengräber transportierten, werden großflächig verbreitet. Die französische Presse, die bis zu diesem Zeitpunkt nahezu keine Informationen über die Lager veröffentlicht hatte, beschäftigt sich Mitte April 1945 mit diesem Thema: drei Viertel aller Artikel zwischen Mitte April und Mitte Juni sind den entdeckten Lagern gewidmet.

                      auschwitz

                      Barbelés et baraquements du camp d'Auschwitz, Pologne, 1945.

                      © Mémorial de la Shoah


                      Alle veröffentlichten Bilder spiegeln den blanken Horror wider. Sie prägen sich für lange Zeit in unser Gedächtnis ein. Es sind ihre Ausdruckskraft und ihre Anzahl, die ein Zeugnis über den verübten Massenmord liefern. Clément Chéroux fasst dies 1945 in Worte: Während uns der Erste Weltkrieg den Tod vor Augen geführt hat, so war es dennoch eine "individuelle" Angelegenheit oder auch "die des Feindes". "Dies ist alles nicht vergleichbar mit dem Massenmord und der Vernichtung in den Konzentrationslagern und den Unmengen von Leichen, die auf den Bildern zu sehen sind".

                       

                      LEBEN UND TOD IN DEN BEFREITEN LAGERN

                      Der Ablauf und das Empfinden der "Befreiungen" über die folgenden Wochen hinweg werden von den Deportierten unterschiedlich beschrieben. Für die meisten waren diese Tage jedoch vor allem schwierig. Aufgrund ihrer schlechten körperlichen Verfassung und den katastrophalen hygienischen Bedingungen kämpften sie täglich gegen die tödlichen Bedrohungen.

                      In Dachau breiteten sich z. B. immer mehr Epidemien aus. Trotz der angeforderten Unterstützung durch die benachbarten Anwohner war es selbst eine Woche nach Befreiung des Lagers noch immer nicht gelungen, alle Toten zu begraben. Im Mai verstarben trotz der von den amerikanischen Truppen ergriffenen Maßnahmen weitere 2.200 Menschen. Dennoch sind diese ersten Stunden und Tage nach der Befreiung sehr intensiv. Die spanischen Gefangenen im Lager Mauthausen fotografieren diese außergewöhnlichen Momente. Sie machen es um die Situation überhaupt glauben zu können, so wie Reporter, die angereist sind, um diese Gräueltaten bildlich festzuhalten. Die Inhaftierten wurden somit zu Fotoobjekten, die die charakteristischen Merkmale des Lagers widerspiegelten. Die Bilder zeigen jedoch auch den Lebenswillen und einen Hauch von Freiheit. Sie zeigen Gruppenbilder von Freunden, die manchmal mit der Waffe in der Hand posieren, Symbole des Sieges einer Gemeinschaft von Überlebenden. Zahlreiche Bilder zeigen Einzelaufnahmen von Männern, die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes und individuelles Leben wieder haben.

                      Die Zeichen der vorherigen unmenschlichen Behandlung sind verschwunden oder versteckt. Sie tragen neue Zivilkleidung, ihre Häftlingsnummer wurde abgerissen. Manche imitieren die ehemaligen Identifizierungsfotos, die in den Lagern gemacht wurden, und auf denen fortan und deutlich sichtbar ihr Name zu lesen ist. Viele denken an die Zukunft und an die Gesellschaften, die es nun wiederaufzubauen gilt. Sie ziehen eine Lehre aus der Tragödie, die erst seit kurzem hinter ihnen liegt. Wie in den meisten befreiten Lagern wird am 16. Mai 1945 in Mauthausen ein internationaler Schwur abgeleistet, wobei die Leistung der Befreier, die Brüderlichkeit und die Hoffnung an erster Stelle stehen. Die Erklärung des französischen Komitees für die Befreiung der Lager fordert die Gemeinschaft der "Bürger der großen alliierten Völker auf, sich für eine gemeinschaftliche Gesellschaft, nationale Erhabenheit und individuelle Entwicklung einzusetzen". Es entstehen Zeitschriften mit aussagekräftigen Namen, wie z. B. Liberté (Zeitschrift der Franzosen in Dachau).

                      In den ersten Tagen nach der Befreiung organisieren sich in den meisten Lagern die ehemaligen Häftlinge, um das tägliche Leben zu organisieren und die Rückführung vorzubereiten. In Dachau kümmert sich das International Prisoners Committee (IPC) um die schwierige Aufgabe, die amerikanische Armee bei der Verwaltung von über 30.000 Menschen zu unterstützen, die dringend Nahrung und Kleidung benötigten. Viele administrative Formalitäten müssen erledigt werden und alle benötigen gültige Ausweispapiere. Es ist auch das IPC, das die ersten Listen mit Namen der Toten veröffentlicht. Die Amerikaner fordern weiterhin die strikte Einhaltung bestimmter Vorschriften und sie beharrten auf Quarantänemaßnahmen aufgrund der vorherrschenden hygienischen Bedingungen. Das Lager durfte nicht verlassen und bestimmte Regeln mussten eingehalten werden: keine Küchen in den Blocks, keine Zerstörung der Gebäude, um Feuerholz zu gewinnen usw. Viele der Überlebenden konnten diese Einschränkungen nicht verstehen und dennoch mussten sie einige Wochen warten, bevor die Rückführungen beginnen konnten.

                       

                      DIE RÜCKFÜHRUNG NACH FRANKREICH

                      buchenwald interieur baraque

                      Intérieur d'une baraque du petit camp de Buchenwald, 16 avril 1945.

                      © Harry Miller/collection NARA, Washington

                      Im November 1943 errichtet das Freie Frankreich in Algier ein Kommissariat, das sich um die Deportierten kümmert. Die Leitung übernimmt Henri Frenay, Gründer der Widerstandsbewegung. Aus diesem Kommissariat entsteht das Ministerium für die Befreiung von Gefangenen, Deportierten und Flüchtlingen, das mit der Rückführung aller "im Ausland Weilender" nach Frankreich betraut wird. Nahezu 950.000 Kriegsgefangene, über 600.000 in Arbeitslagern Gefangene sowie Zehntausende Deportierte befinden sich in Deutschland und warten auf ihre Rückführung. Zahlreiche Dokumente und wichtige Archive aus Lagern und Gefängnissen, die in den Besatzungszonen errichtet wurden, wurden wiederhergestellt, um die lückenhaften Informationen zu vervollständigen. Im Februar 1945 wurde die Rückführung dank französischer Missionen unterstützt, die zur Lokalisierung der Opfer beigetragen haben. Für die genaue Ermittlung der Anzahl der notwendigen Rückführungen wurde am 3. November 1944 ein offizielles Dekret für die Erfassung aller Kriegsopfer erlassen.

                      dachau

                      Devant le camp de concentration de Dachau, Allemagne, mai 1945.

                      © ECPAD/Pierre Raoul Vignal


                      Als die Rückführung dann beginnen soll, ist der Minister Frenay jedoch insbesondere auf die Unterstützung des Oberkommandos der alliierten Streitkräfte (Supreme Headquarter Allied Expeditionnary Forces, SHAEF) angewiesen, wodurch sein Handlungsspielraum deutlich eingeschränkt wird. Für die Rückführung gelten strikte Auflagen: die Kriegsgefangenen werden von den Angelsachsen privilegiert behandelt; Menschen, die auf ihre Rückführung warteten, wurden unter Quarantäne gestellt und sie durften nicht ausreisen; an den Grenzen fanden strenge Hygienekontrollen sowie Identitätsüberprüfungen statt. Wie auch bei den Befreiungsaktionen liefen die "Szenarien" bei der Rückführung sehr unterschiedlich ab: die Abwicklung der ehemals in Buchenwald Inhaftierten lief relativ problemlos ab, während sich das Prozedere für die ehemals nach Dachau, Flossenbürg oder Bergen-Belsen Deportierten deutlich schwieriger gestaltete.



                      Die ersten Kriegsgefangenen und von den Sowjets befreiten Deportierten gelangen per Boot ab Odessa im März 1945 nach Marseille. Die ersten Frauen aus Ravensbrück trafen am 14. April am Gare de Lyon ein und wurden dort von General de Gaulle empfangen. Dank Intervention des schwedischen Roten Kreuzes konnten weitere Kameraden über Schweden ausreisen. In Paris liefen die meisten Rückführungen zusammen: Am Gare d'Orsay kamen viele mit dem Zug an. Weitere landeten am Flughafen Bourget (Schwerkranke und bekannte Persönlichkeiten). Zur Versorgung und Betreuung der physisch und psychisch sehr angeschlagenen Heimkehrer und wegen der Berichterstattung der Presse über die Entdeckung der Lager, wurde im Hotel Lutétia Ende April ein großes Empfangszentrum eingerichtet, das sowohl medizinische als auch administrative Unterstützung bot. Dennoch kritisierten viele Deportierte die Schwerfälligkeit und die Unbeholfenheit der Verwaltungsstelle, die ihrer Meinung nach keinerlei Verständnis für ihr erlittenes Leid hatten.


                      Dennoch unterstreicht Robert Belot, der sich auf die Leistungsbilanz bezieht, die von Frenay vorgelegte Bilanz, dass "die Bemühungen erfolgreich waren, da immerhin in weniger als 90 Tagen zwei Drittel der Befreiten in ihr Heimatland zurückgeführt werden konnten. Im Laufe des Jahres 1945 konnten in dem vollkommen desorganisierten Land über 1.500.000 Männer, Frauen und Kinder in weniger als 100 Tagen zurückgeführt werden. Die Rückgeführten erhielten Geldzuwendungen und Kleidung […] sowie kostenlose Fürsorge. Der finanzielle Gesamtaufwand des Landes ist beachtlich: 20% der zivilen Ausgaben im Jahr 1945 gemäß den in der Bilanz genannten Zahlen." Am 1. Juni wird der 1. Millionste Heimkehrer gefeiert: Jules Garron, ein ehemaliger Kriegsgefangener.

                      magazine de france 1945

                      Couverture de "Magazine de France", numéro spécial consacré aux crimes nazis, été 1945.

                      © Collection Musée de la Résistance nationale, Champigny-sur-Marne

                       

                      ERSTE INFORMATIONEN AUS DEN LAGERN

                      Die Bilder von der Entdeckung der Lager sind die erste "Informationsquelle", die die Existenz der Konzentrationslager beweist. Das dort vorgefundene Grauen wird zahlenmäßig jedoch erst nach detaillierten Analysen bewusst. Die Fotografien sind sehr ungenau und zeigen nicht das wahre Leben im Lager. Die Ausgabe der L'Humanité vom 24. April 1945 zeigt beispielsweise auf der Titelseite zu einem Bericht über Birkenau ein Bild von Bergen-Belsen mit dem Untertitel "Ohrdruf". Diese Fotografien zeigen ein System der Konzentrationslager, die bereits zerschlagen waren: viele der Inhaftierten wurden bereits vor Eintreffen der Alliierten auf die Straße gejagt, wo viele bei den so genannten Todesmärschen ums Leben kamen. Diese Bilder zeigen nicht den üblichen Ablauf in den Lagern: Disziplin, Demütigungen, Zwangsarbeit usw. Das Ende der Deportationen mit den letzten gefundenen Massengräbern ist insbesondere kein Zeugnis für den Völkermord an den Juden in Europa. In seiner Ansprache bei der Rückkehr der "im Ausland Weilenden" fordert Minister Frenay ebenfalls einen globalen Ansatz für alle "Deportierten", was zu einer weiteren Verwirrung über die Feinheiten der Nazipolitik führte.

                      de gaulle accueille des rescapees de ravensbruck

                      Le général de Gaulle accueille des rescapées de Ravensbrück, avril 1945.

                      © Mémorial de la Shoah/CDJC


                      Auch wenn die schwache Weiterverbreitung nicht außer Acht gelassen werden darf, so werden dennoch bereits in den ersten Monaten nach Entdeckung der Konzentrationslager der Nazis wichtige Erkenntnisse gesammelt. In dieser Hinsicht ist die Bezeichnung des Völkermords an den Juden als "großes Schweigen" bereits vielsagend. Dies lässt sich anhand verschiedener Informationen belegen, die aus den Lagern bekannt sind. Diese Informationen stammen in erster Linie von den Deportierten selbst: zwischen 1944 und 1947 werden Berichte von nahezu 210 Zeitzeugen veröffentlicht. Aussagen von Juden, von denen nur wenige zurückkehren, sind sehr selten. Hinzu kommt die Tatsache, dass, wie Annette Wieviorka berichtet, diese Berichte nur selten von einer Gesellschaft gelesen werden, die davon eigentlich nichts wissen will. Die Vereinigungen für Opfer arbeiten bis heute daran, diese Informationen zu verbreiten. Annette Wieviorka merkt weiterhin an, dass trotz gewisser Ungenauigkeiten, die Verbände der Juden einen "beachtlichen Schritt in Richtung Wahrheit" gemacht haben. Auszüge des Berichts von Vrba und Wetzel über Auschwitz werden von den Zeitschriften editiert. Außerdem leistet die Dokumentationsstelle für jüdische Zeitgeschichte (CDJC) beeindruckende Aufklärungsarbeit über den Völkermord, die sich insbesondere auf eine Sammlung wissenschaftlicher Werke stützt.

                      Die Untersuchungen und die Verurteilungen von Kriegsverbrechern des NS-Regimes helfen weiterhin, wichtige Informationen zusammenzutragen. Die ersten Untersuchungsberichte des Forschungsdienstes des Justizministeriums oder auch der allgemeinen Informationen sind in manchen Fällen äußerst präzise. Bei den internationalen Nürnberger Prozessen erinnert Staatsanwalt Robert Jackson in seinem Eröffnungsplädoyer an den Mord an 60% der Juden in Europa, d. h. 5,7 Millionen Tote. In den folgenden Sitzungen erläutert er detailliert den "Plan der NS" für die Vernichtung "des gesamten jüdischen Volkes". "Nie gab es in der Geschichte ein vergleichbares Verbrechen, das vorsätzlich und mit solcher Grausamkeit an den Opfern verübt wurde", schließt er seinen Bericht und verweist auf ein Beispiel aus einem Bericht der Einsatzgruppe des 15. Oktober 1941, über die Auslöschung der Juden in Litauen.

                      In diesem Rahmen wird häufig der Anschein geweckt, dass der Staat von alldem nichts wahrgenommen oder das Ausmaß des Völkermordes nicht erkannt hätte. Die Bemühungen von Minister Frenay für die Rückführung und die zahlenmäßige Erfassung der Heimkehrer, sowie die Entschädigung und die Anerkennung der Opfer, trugen wesentlich dazu bei, mehr Details über die Umstände zu erfahren. Im Rahmen der Einholung von Informationen sowie späterer Recherchen und Dokumentationen arbeitet eine Abordnung "israelischer Deportierten" unter der Leitung eines ehemaligen Häftlings von Drancy, François Rosenauer, seit Herbst 1944 an der Erfassung der deportierten Juden und den im Rahmen der "Endlösung" durchgeführten Deportationen. Dank den wiederaufgefundenen Archiven von Drancy konnten schnelle und genaue Ergebnisse erzielt werden: am 23. Juli 1945 berichtet beispielsweise Minister Frenay von 66.576 Deportierten im Lager Drancy, eine Bilanz, die nahezu vollständig ist. Zu diesem Zeitpunkt ist dem Ministerium bereits bekannt, dass die große Mehrheit der Personen Juden sind, die in Birkenau ermordet wurden. Im Juni 1945 wird in Paris die Ausstellung "Verbrechen von Hitler" eröffnet, die sich auf diese Arbeit stützt und eine Chronologie der Verfolgung und Deportationen zeigt. Im Buch La persécution raciale beschreibt der Autor Roger Berg eine weitere Darstellung. Das Buch erscheint im Rahmen der vom Staat in Auftrag gegebenen Reihe von "Dokumenten über die Kriegsgeschichte".

                      Es sind noch viele weitere Jahre notwendig, um das Ausmaß der Verbrechen in den Konzentrationslagern genau zu beziffern und die Spezifität des Völkermordes an den Juden in Europa zu verstehen. Erste Erkenntnisse sind jedoch unmittelbar nach Kriegsende durch Überlebende der Lager bekannt. Nach dem ersten Schockmoment beginnt anhand von Quellen und Analysen der Denkprozess über dieses Phänomen und die Gräueltaten, die im Jahr 1945 im Abendland ans Licht der Öffentlichkeit kamen.

                      retour vers la france

                      Retour vers la France de rescapés de Buchenwald, 1945.

                      © Service historique de la défense

                      Autor

                      Thomas Fontaine - Forscher am Zentrum für Sozialgeschichte im 20. Jahrhundert in Paris 1

                      Indochina 1954

                      Aktie :

                      Übung einer Panzerschwadron der vietnamesischen Armee. - © ECPAD
                      Übung einer Panzerschwadron der vietnamesischen Armee. - © ECPAD

                      Zusammenfassung

                        Zusammenfassung

                        DATUM : 13. März-7. Mai 1954

                        ORT : Diên Biên Phu (Indochina)

                        AUSGABE : Französische Niederlage

                        PRÄSENTE STREITKRÄFTE : Französisches Expeditionskorps im Fernen Osten (circa 10.000 Männer bei Beginn der Kämpfe)

                        Truppen der Viêt Minh (circa 70.000 Männer)

                        Vor 60 Jahren lieferte die französische Armee während der heftigen Kämpfe in Diên Biên Phu die letzte große Schlacht in Indochina. Während der Eröffnung der internationale Konferenz in Genf beschleunigt diese Niederlage das Ende des Krieges und der französischen Präsenz in dieser Region.

                        Am 7. Mai 1954, nach 56 Kampftagen, hat sich das befestigte Camp Diên Biên Phu ergeben. Am nächsten Tag greifen die überregionalen Zeitungen das Thema auf und die französische Niederlage beherrscht in fetten Buchstaben die Schlagzeilen. Ein Teil der öffentlichen Meinung ist Bestürzung und Unverständnis: der Krieg in Indochina hat sich in Frankreich auf sehr grausame Art und Weise an diesem Jahrestag der deutschen Kapitulation in Erinnerung gebracht. Die Politik der Vierten Republik - außer vielleicht Kommunisten - ebenso wie viele Soldaten, die mit der Realität in Indochina wenig vertraut waren, stellen sich die Frage, die bald berühmt werden wird: "Warum Diên Biên Phu?".

                        Überquerung des Flusses Nam Nim durch Teile des 2. Fremdenregiments der Fallschirmjäger auf ihrem Vormarsch nach Nghia Lo Oktober 1951

                        uberquerung

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                        DIE FRANZÖSISCHE ARMEE IN DER SACKGASSE

                        "Auf der anderen Seite des Hügels" wird der Sieg der vietnamesischen Volksarmee (VVA) mit Inbrunst gefeiert. Für alle Vietnamesen, die sich für die Sache der Vi?t Minh eingesetzt haben, stellt Diên Biên Phueinen wichtigen Schritt in Richtung Frieden dar, für viele noch kolonialisierte Völker wird es zum Symbol der Hoffnung. Doch für Paris ist der Fall des militärischen Stützpunkts von Diên Biên Phu kein unüberwindbares Handicap, da die beteiligten - und somit verlorenen - Streitkräfte in der Schlacht nicht mehr als 3,3% der 450.000 Soldaten ausmachen, die Frankreich und seine Verbündeten gegen die Vi?t Minh haben. In der Tat stärkt der psychologische Schock den politischen Willen, den Konflikt zum Abschluss zu bringen, und beschleunigt das Ende.

                        Im Frühjahr 1953 ist der Konflikt in Indochina im achten Jahr. Die vielen wechselnden Regierungen haben nie klar definierte Kriegsziele genannt. Wenn es also nicht darum geht, die alte Kolonialordnung wiederherzustellen, geht es dann um den Aufbau einer echten französischen Union, die in jeder Hinsicht eine Last für das Land wäre, oder darum, im Namen der "freien Welt" gegen den internationalen Kommunismus zu kämpfen? Niemand weiß es wirklich, aber für viele Offiziere gibt es wenig Zweifel darüber, dass Frankreich - als Sieger oder Besiegter - kurz danach gehen muss.

                        Erster Abwurf auf Diên Biên Phu, Operation Castor, 20. November 1953.

                        operation castor 1953

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                        Aus militärischer Sicht ist der Krieg eine Sackgasse. Seit 1946 haben die Franzosen nach und nach die Initiative gegenüber den Viêt Minh verloren und die militärische Führung gibt sich damit zufrieden, die Schläge mehr oder weniger erfolgreich zu parieren. Die Siege "des Jahres von Lattre" - 1951 - scheinen fern und im Jahr 1952 konnten keine nennenswerten Fortschritte verzeichnet werden.

                        Die Siegesmeldungen am Tag nach der Schlacht von Na San sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Verteidigungserfolg in Wirklichkeit alles andere als zufriedenstellend ist. Wie Marschall Juin ein Jahr nach den Ereignissen schrieb: "Dank der Tüchtigkeit unseres Kommandos und unserer Truppen sind wir davongekommen, aber es bleibt die Tatsache, dass die Ergebnisse schwach [sind]".

                        Patrouille westlich von Diên Biên Phu mit Maschinengewehr-Batterie 1954.

                        patrouille de l'ouest

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                        "EINEN EHRENHAFTEN AUSWEG" AUS DEM KONFLIKT FINDEN

                        In der Tat hat General Gilles, der in Na San das Kommando hatte, seinem Stab folgendes gesagt: "Wir dürfen uns nie wieder auf ähnliche Bedingungen einlassen". Auch wenn in Südvietnam in der Befriedung einige Fortschritte verzeichnet werden konnten, so dass einige Provinzen den Bataillons der vietnamesischen Volksarmee übertragen werden konnten, ist im Zentrum von Annam und mehr noch im Süden des Landes die immer stärkere Bedrohung durch eine Kampftruppe der Viêt Minh kein gutes Vorzeichen für die Zukunft. Die Situation wird immer schlechter und die "Verschlechterung" im Tonkin-Delta, wie es die Militärs nennen, wird jeden Monat größer, so dass am Ende dieses besagten Jahres ein General mit einer gewissen Ironie folgendes geschrieben hat: "Nicht die Viêt Minh, sondern wir sind in das Delta eingedrungen" ... Die Möglichkeit, dem Konflikt "ein Ende zu setzen", der mittlerweile zu einem echten finanziellen Desaster geworden war, ist in vielen Köpfen der politisch Verantwortlichen der Vierten Republik. Es ist René Mayer, Vorsitzender des Rates zwischen 8. Januar und 28. Juni 1953, der sich um die Umsetzung einer neuen Politik kümmert, mit der festen Absicht, das Wespennest in Indochina zu verlassen.

                        Diese Bereitschaft zur Veränderung zeigt sich sofort durch den Austausch von General Salan. Er ist sicherlich einer, der Indochina und auch den Gegner am besten kennt, aber seine Strategie ist umstritten - vor allem bei den Amerikanern, die ihn für zu "zaghaft" und nicht "offensiv" genug halten - und vor allem muss ein Mann gefunden werden, der eine neue Politik umsetzen kann. Dieser Mann ist General Henri Navarre, der am 8. Mai 1953 zum Kommandanten ernannt wird. Er versichert, dass die völlige Unkenntnis über Indochina es möglich macht, die Situation mit "neuen Augen" zu sehen. Die Mission von General Navarre ist klar: Es geht darum einen "ehrenhaften Ausweg" aus dem Konflikt zu finden, d.h. die Viêt Minh an den Verhandlungstisch zu bringen, nachdem man sie zuvor politisch und militärisch geschwächt hat.

                        Um diese Mission zu erfüllen, schlägt Navarre einen Zwei-Jahres-Plan vor, der folgendes vorsieht: im ersten Jahr sollen sich die Streitkräfte des Expeditionscorps - gemäß der Kampagne von 1953-1954 - in Nordvietnam streng defensiv verhalten und das Delta nur verteidigen, wenn sie angegriffen werden. In Süd-Vietnam wiederum muss die Befriedung fortgesetzt werden und es dürfen nur groß angelegte Operationen zur Reinigung von Zentral-Vietnam wie die bekannte Lien Khu V (oder Interzone V) der Viêt Minh durchgeführt werden. Parallel dazu würde General Navarre versuchen, die Sicherheit der sichersten Regionen so weit wie möglich der vietnamesischen Nationalarmee zu übertragen. Mit dieser Politik wäre es möglich, Einheiten zurückzugewinnen und ein Kampfkorps aufzubauen, das sich dieses Namens als würdig erweist und sich den gegnerischen Divisionen von General Giap widersetzen kann.

                        Überführung eines Verletzten von Diên Biên Phu nach Luang Prabang (Laos).

                        evacuation blesse

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                        Nach den Worten von General Navarre würde im zweiten Jahr von 1954-1955 die Offensive in Nordvietnam wieder aufgenommen und die Franzosen könnten hoffen, dass sie dank der wiederhergestellten mobilen Streitkräfte, der verstärkten vietnamesischen Ausbildung und der größeren amerikanischen Unterstützung dem Feind einen schweren Rückschlag zufügen könnten, der "eine angemessene politische Lösung des Konflikts" ermöglichen sollte. Dieser Plan, der letztlich auf den Empfehlungen von General Salan basiert, bleibt in der Tat Theorie und beruht auf unsicheren Annahmen.

                        Denn damit die Chance bestand, dass er eingesetzt würde und die gewünschten Ergebnisse erzielen könnte, wäre es notwendig, dass die Viêt Minh im Winter 1953-1954 keine große Offensive in Richtung Laos machten und sie nicht mehr Unterstützung aus dem kommunistischen China bekämen. Tatsächlich nahmen die Lieferungen von Ausrüstung und Waffen an die Divisionen der Viêt Minh im Laufe eines Jahres stark zu. Zusammenfassend schreibt Pierre Rocolle in seinem Werk Warum Diên Biên Phu?, der Plan von Navarre "sieht vor, 1954 das Gleichgewicht zum Kampfkorps der Viêt Minh zu erreichen und es in der zweiten Hälfte des Jahres 1954 zu übertreffen".

                        Es gab keine großen Einwände gegen den Plan von Navarre, der erstmals im Juli 1953 in Paris im Ausschuss der Generalstabschefs, dem Organ, dem alle Generalstabschefs der Streitkräfte (Land, Luft, See) angehören, und dann in verschiedenen Ministerräten, die Interesse an Indochina-Fragen hatten, besprochen wurde. Wenn der Plan nicht Gegenstand einer formellen Genehmigung ist, ist es seltsam, dass der Kommandant in Indochina nicht mehr klare Richtlinien für die Politik erhält, die die Regierung verfolgen will. Als dann Navarre die Frage nach der Strategie stellt, die er bei einer Bedrohung von Laos einsetzen soll, bleibt diese offen: er erhält keine Antwort.

                         

                        EXPEDITIONSCORPS EINGESCHLOSSEN IN DIÊN BIÊN PHU

                        Von Seiten der Viêt Minh blieben die Kriegsziele unverändert; es ging immer noch darum, die Macht zu übernehmen und im wiedervereinigten Vietnam ein kommunistisches Regime zu etablieren. Aber im Herbst 1953 wird der Strategie, die Giap verfolgen möchte, kein gutes Ende gesetzt: eine allgemeine Offensive im Delta, wo die Franzosen im Schutz ihrer Festung ihre Feuerkraft voll ausnutzen können, erscheint riskant, vor allem da Verstärkung aus dem Mutterland erwartet wurde. Auch beschloss das Kommando der Viêt Minh Ende Oktober 1953, den Krieg in die hohe Tonkin-Region zu verlegen: das Ziel ist, Laïchau in Thailand zu erobern, dass gegenüber den Franzosen loyal geblieben ist, und die pro-kolonialen Maquis zu zerstören, die die Einheiten der Viêt Minh erheblich behinderten.

                        Stab der GAP (Groupement Aéroporté) von Dien Bien Phu mit, von links nach rechts, Kapitän Botella, Bataillonskommandeur Bigeardm, Hauptmann Tourret, Oberstleutnant Langlais und Kommaneur de Seguins-Pazzis.

                        etat major

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                        Die Division 316 und das unabhängige Regiment 48 werden nach Laïchau geführt. General Navarre, der über die Absichten des Gegners vollständig informiert ist, befiehlt am 2. November 1953 das Tal von Diên Biên Phu wieder zu besetzen, um zu verhindern, dass eine Operationsbasis der Viêt Minh wird. Sie ist zu dieser Zeit die einzige wichtige Ebene der Region, die reich an Reis ist; sie sieht aus wie eine Ellipse, deren Nord-Süd-Achse bis zu 17 Kilometer erreicht und die Ost-West-Achse beträgt stellenweise bis zu 7 Kilometer. Die Operation Castor fand schließlich am 20. November 1953 statt: drei Bataillone Fallschirmjäger der Luftlandetruppen Nr. 1 (GAP 1) werden abgesetzt und schlossen sich in den folgenden Tagen drei anderen Bataillons der Luftlandetruppen Nr. 2 (GAP 2) an. Am Abend des 22. November, 1953, haben 4.560 französische und vietnamesische Fallschirmjäger das Tal von Diên Biên Phu besetzt und begonnen, daraus eine Luftlandebasis zu machen, d.h. ein Logistikbereich um eine Flugfeld, das von Widerstandszentren verteidigt wird.

                        Im Geiste von Navarre entspricht die Einrichtung einer Luftlandebasis in Diên Biên Phu sicherlich der Verpflichtung, Laos zu schützen, aber sie muss auch als Ausgangspunkt für die französischen Truppen dienen, um die gegnerischen Truppen auf der Rückseite zu erreichen und sie schließlich vom Delta wegzulocken, wo ein Angriff immer noch möglich war. General Giap, sieht er vor allem in der Einrichtung dieser Garnison, die einzig und allein von der Luftversorgung abhängig ist, eine Möglichkeit, einen wichtigen Sieg zu erringen: Am Tag nach der Operation Castorbefiehlt er also, einem Teil seines Kampfkorps im Eilmarsch nach Diên Biên Phu. so ist Diên Biên Phu nicht das Ergebnis einer lange geplanten Offensive, sondern das Resultat von Entscheidungen und Reaktionen, die jede Seite getroffen hat.

                        Bereits Ende Dezember 1953 sind Oberst Christian de la Croix de Castries und zwölf Bataillone des Expeditionskorps, die jetzt die Garnison in Diên Biên Phu bilden,

                        eingekreist. General Giap hat einen Großteil seiner Kampftruppen - die Infanteriedivisionen 308, 312, 215 und ein Teil der 304 - um ein Camp konzentriert, das de facto zu einem richtigen militärischen Stützpunkt wird. Darüber hinaus ist die gesamte Infanteriedivision 351 mit ihren Artillerie- und Luftverteidigungsregimentern präsent.

                         

                        DER ANGRIFF DER VIÊT MINH

                        Ende Januar 1954 verschiebt der General den Angriff schließlich, weil er der Ansicht ist, dass die Voraussetzungen für den Sieg nicht gegeben sind. Trotz der Enttäuschung der Kämpfer der Viêt-Minh, die begierig waren, diese Situation des Wartens zu beenden, ist dieser Aufschub eine gute Entscheidung für die Viêt-Minh. Tatsächlich führt Mitte Februar 1954 die Ankündigung einer Konferenz in Genf, die das Ziel hat, das Problem der Wiederherstellung des Friedens in Indochina" zu untersuchen, zu einer plötzlichen Beschleunigung der chinesischen Hilfe: Bewaffnung, Munition, Fahrzeuge, Benzin kommen in Massen.

                        Im Stützpunkt der Viêt-Minh ist ein Sieg in Diên Biên Phu die Voraussetzung dafür, dass sie in einer starken Position an den Verhandlungstisch kommen: Dies muss erreicht werden, egal welche menschlichen Verluste dazu notwendig sind. Am Vorabend des Angriffs ist der militärische Stützpunkt von Diên Biên Phu eine Stellung, die die Besucher - Politiker wie Journalisten - beeindruckt, die sich dorthin auf den Weg machen. Die Verteidigung von Diên Biên Phu ist auf den Schutz des Flugplatzes, ein Schlüsselelement der Anlage, die von Widerstandszentren geschützt wird, die auf den Hügeln mit weiblichen Vornamen eingerichtet wurden: Anne-Marie, Béatrice, Gabrielle, Huguette, etc.

                        Am 13. März 1954 um 17:10 Uhr eröffnet die Artillerie der Viêt-Minh das Feuer: der Kampf beginnt und wird fast zwei Monate dauern. Auch wenn die Franzosen von dem Angriff nicht überrascht wurden, die Uhrzeit war dank der Geheimdienste bekannt, sie waren von der Gewalt bestürzt. Aber noch größer ist der Schock, als man am Morgen des 14. März vom Fall von Béatrice erfährt, dieser Hügel wurde von einem der Bataillons verteidigt, das als das stärkste angesehen wurde: die 3. der 13. Halbbrigade der Fremdenlegion. Am nächsten Tag fällt das Zentrum des Widerstands Gabrielle trotz heftiger Kämpfe. Der Bataillonskommandant Roland de Mecquenem, der eine Zeit lang unter Schock stand, erinnert sich, als er das Bewusstsein wiedererlangt: "Ich hörte Lärm [...], zuerst das Kampfgetöse, dann näher kommende Geräusche, Stöhnen, Schmerzensschreie. [...] Ich hebe die als Tür dienende Zeltplane an, um hinauszugehen. Es ist noch Nacht, die Luft ist voll mit gelbem Staub. Eine [Flugzeug] Dakota wirft nacheinander Leuchtbomben ab. Die Feuer von Freunden/Feinden kreuzen sich: die Artillerie von Diên Biên Phu zielt auf den Norden von Gabrielle, wo ich bin. Das Schauspiel ist unfassbar".

                        In den folgenden Tagen führt der Ausfall einer Reihe von thailändischen Soldaten, die Anne-Marie besetzten, dazu, dass die gesamte Nordpartie des militärischen Stützpunkts an die Viêt Minh ausliefern mussten. Giap hat die erste Runde gewonnen: er bedroht unmittelbar die Start-/Landepiste, die Lebensader der französischen Garnison, die schließlich vom 26. März an nicht mehr verwendet wird. Nur noch Fallschirmabwürfe können die Soldaten versorgen und die Garnison verstärken. Die Angriffe der Viêt Minh waren jedoch sehr blutig und Giap wird nun eine Taktik anwenden, die abwechselnd aus brutalen Angriffen und der allmählichen Aufzehrung der französischen Anlagen besteht. Für diese Aufzehrung lässt er ein Netz von Gräben bauen, die den Militärstützpunkt buchstäblich "ersticken".

                         

                        EINE GROSSE NIEDERLAGE

                        In der Nacht vom 30. bis 31. März startete Giap die zweite Phase seiner Offensive und beginnt die sogenannte Schlacht um die "fünf Hügel" östlich des Militärstützpunkts. Die Zentren des Widerstands Dominique und Éliane sind Schauplätze heftiger Nahkämpfe, aber die Franzosen müssen sie unbedingt halten, denn das Schicksal der Garnison hängt davon ab. Letztendlich dauern die Kämpfe bis zum 10. April 1954 an: durch die Gegenangriffe der Fallschirmjäger und Legionäre kann ein Teil der verlorenen Stellungen zurückerobert werden. Die Auszehrung wird in der zweiten Aprilhälfte verstärkt, in der es auch zu regnen beginnt. Für die Franzosen wird die Versorgung durch die geringere Fläche des Stützpunkts immer prekärer und in den Unterkünften sind Tausende von Verletzten unter unhygienischen Bedingungen zusammengepfercht. Am 1. Mai 1954 beginnt General Giap die letzte Offensive: die Stützpunkte, verteidigt von erschöpften Soldaten, denen die Munition ausgeht, fallen nacheinander. Nachdem er das erkannt hat, gibt General de Castries (am 15. April befördert) am 07. Mai am späten Nachmittag endlich den Befehl, den Kampf einzustellen. Am Tag nach dem Fall des Stützpunkts wird Bilanz gezogen.

                        Wie es oft bei der Bestimmung der Verluste der Fall ist, sind die Daten je nach Quelle unterschiedlich und es ist schwierig, eine genaue Schätzung zu erhalten. Beim Expeditionskorps, das 17 seiner besten Bataillone im Einsatz hatte, ist die Berechnung weniger kompliziert. Am 5. Mai 1954 wissen wir, dass 1.142 Soldaten als tot und 1.606 als vermisst gemeldet sind; außerdem

                        wurden 4.436 mehr oder weniger schwer verletzt. Zu dieser Summe kommen noch die Verluste der letzten zwei Kampftage hinzu, die zwischen 700 und 1000 Mann geschätzt werden. Die Viêt-Minh haben insgesamt etwas mehr als 10.000 Männer gefangen genommen, davon starben 60% in den Lagern der Viêt-Minh an Unterernährung, Krankheiten, physiologischem Elend. Auch wenn der vietnamesische Staat offiziell immer noch nicht mehr als 4.020 Tote, 792 Vermisste und 9.118 Verwundete auf der Seite der VVA offiziell anerkennt, liegen die allgemein von Historikern akzeptierten Zahlen bei 22.000 Opfern, die entweder getötet oder verwundet wurden.

                        Wenn es an der Zeit ist Bilanz zu ziehen und sich zu besinnen, ist es auch Zeit, auf die Such nach den Verantwortlichkeiten zu gehen. Schon am 8. Mai 1954 übernimmt General Navarre seine Verantwortung in dem Moment, in dem er die Besetzung und die Schlacht von Diên Biên Phu rechtfertigt. Dadurch wurde Laos verschont, das feindliche Kampfkorps blutete aus und die französischen Bataillone haben insgesamt 33 Bataillone der Viêt Minh in großer Entfernung vom Delta festgehalten und rettete dieses so vielleicht vor einer Katastrophe.

                        Aus dieser Perspektive wäre Diên Biên Phu sicherlich eine taktische Niederlage, aber dennoch ein strategischer Sieg, da die vom befehlshabenden Kommandanten angestrebten Ziele erreicht wurden. Diese Ansicht scheint sich tatsächlich durchzusetzen und die von Navarre vorgebrachten Argumente schienen zuzutreffen, auch wenn dieser nicht schuldlos ist.

                        Doch der Fall des Stützpunkts - was auch immer die objektiven Gründe für die Niederlage waren: Verstärkung der Feuerkraft der Armee der Viêt Minh aufgrund der Hilfe Chinas und der Ankündigung der Genfer Konferenz, Schwäche der französischen Luftwaffe, Fehler in der Kampfführung auf allen Ebenen - war eine große politische und psychologische Niederlage für die Franzosen. Drei Monate später, am 21. Juli 1954 wurde der Waffenstillstand unterzeichnet, der den ersten Indochinakrieg beendete. Sechzig Jahre danach ist Diên Biên Phu eine Stadt mit rund 70.000 Einwohnern geworden, in der man hier und dort die Überreste der heftigen Kämpfe sehen kann, in denen sich Franzosen und Viêt Minh gegenüberstanden. Die Taten beider Seiten müssen unter Achtung der Geschichte im nationalen Gedächtnis Frankreichs und auch Vietnams bewahrt werden.

                        Eiinzug der Truppen der Vietnamesischen Volksarmee (VVA) in Hanoi, Oktober 1954.

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                        Autor

                        Ivan CADEAU - Offizier und Doktor der Geschichte im Service Historique de la Défense (Historischer Verteidigungsdienst)

                        Rückkehr zur Republik

                        Aktie :

                        Zusammenfassung

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                          DATUM : 10 – 31. August 1944

                          ORT : Paris

                          ZIEL : Befreiung von Paris

                          BETEILIGTE STREITKRÄFTE : 5. Amerikanisches Armeekorps unter der Leitung von General Gerow
                          2. Panzerdivision unter Befehlsgewalt von General Leclerc
                          Forces françaises de l'intérieur (FFI)
                          Deutsche Garnison unter der Leitung von General von Choltitz

                          Das jahrhundertealte Herz des souveränen Staates, Paris war bereits seit dem 14. Juni 1940 von den Deutschen besetzt, ist für de Gaulle “das schlechte Gewissen der freien Welt”. Seit der Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 ist die Hauptstadt zentraler Punkt der Strategie und Politik.

                          Paris, das “Herz des gefangen genommenen Landes” hat in der letzten Schlacht eine außergewöhnliche Bedeutung. Die Rückeroberung der Hauptstadt ist ein entscheidender Schritt, sowohl im Inland wie auch im Ausland, um die nationale Souveränität wiederzuerlangen.

                          Am 3. Juni 1944 übernimmt das Französische Komitee für die nationale Befreiung (CFLN) die provisorische Regierung der Republik und macht den Alliierten dadurch deutlich, dass es eine Kriegsregierung unter der Leitung von General de Gaulle gibt. “Die nationale Befreiung kann nicht vom nationalen Aufstand getrennt werden”, hatte dieser im April 1942 bekräftigt. Daran erinnert er auch in den Jahren 1943 und 1944, wobei er dann jedoch unterstreicht, dass dies nicht ohne entsprechende Ordnung und Kontrolle möglich ist. Dieser Ansatz spiegelt die Maßnahmen von Algier wieder, die im Rahmen der Organisation der zivilen und militärischen Machtverhältnisse und zur Wiederherstellung der republikanischen Legalität in der Metropole während der Befreiung ergriffen wurden. Der Befehl vom 21. April, abgesehen von der Wiederherstellung des republikanischen Staates, erinnert an die Aktionen des militärischen Komitees in Frankreich (COMIDAC) unter der Leitung von de Gaulle, die die “Durchführung von Operationen in besetzten Gebieten” regelten, wie z. B. die militärische Vertretung in London durch General Koenig, Leiter der Forces françaises de l'Intérieur. Einen Monat zuvor hatte er daran erinnert, dass das COMIDAC das Kommando übernommen hatte, angeführt vom nationalen militärischen Delegierten der Untergrundbewegung, General Chaban-Delmas, der im April ernannt wurde.

                          leclerc

                          Leclerc avec Rol-Tanguy accueillant le général de Gaulle à la gare Montparnasse, 25 août 1944.

                          © coll. privée

                          Paris, Einsatz für Souveränität

                          Auf Drängen von Jean Moulin, der eine Gegenregierung des Untergrunds durch die Zusammenführung der Widerstandsgruppen und die Gründung des Nationalen Widerstandsrats unter Beteiligung verschiedener Gruppen, Syndikate und politischer Parteien durchsetzt, erhält Paris 1943 wieder den Status der politischen Hauptstadt. Die nach dem Verschwinden von Jean Moulin geschwächte Delegation bestätigt in der Stunde der Befreiung ihre Stellung als Einrichtung des Staats. Alexandre Parodi, der im April 1944 zum Berater des Staats ernannt worden war, wird am 14. August als “Mitglied der GPRF, Abgeordneter des Staats für die besetzten Gebiete” vorgeschlagen. Als direkter Repräsentant von de Gaulle ist er verantwortlich für die Bildung einer provisorischen Regierung in der Hauptstadt. Der CNR, die seit September 1943 von Georges Bidault angeführt wurde, gegenüber bekräftigte er die repräsentative Autorität des Widerstands und erhebt den Anspruch auf Autonomie. Er wendet sich dem von Kommunisten dominierten Militärischen Komitee (COMAC) zu, um die militärischen Aktionen in Frankreich zu leiten. Trotz der seit April anhaltenden Beteiligung der GPRF ist der kommunistischen Partei daran gelegen, in der Hauptstadt eine entscheidende Rolle zu übernehmen, was seitens der GPRF entsprechende Befürchtungen wachruft. Weder Chaban-Delmas noch Parodi befürchteten eine Machtübernahme durch die Kommunisten.

                          barricades

                          FFI à l’affut derrière une barricade, Paris, août 1944.

                          © DR

                          Paris mit seiner besorgniserregenden revolutionären Geschichte wird Gegenstand einer speziellen Befehlsgewalt, die sich auf kommunale und auf Department-Ebene ausgeübte Administration stützt. Die Präfekten der Seine und der Polizei werden auf dem Prinzip des inneren Widerstands und eines freien Frankreichs ernannt, ebenso wie die Kommissare der Republik. Der Widerstandskämpfer Marcel Flouret (1892-1971) wird am 28. April 1944 zum Präfekten der Seine ernannt. Während das Rathaus besetzt wird, übernimmt er zeitgleich am 20. August seinen Posten im Rathaus, um die Weiterführung der kommunalen Angelegenheit zu gewährleisten. Am 17. Juni ernennt de Gaulle den Vertreter des Freien Frankreich, Charles Luizet, zum Polizeipräfekten, der sein Amt am 18. Juni 1940 übernimmt und der seine Fähigkeiten bereits als Präfekt des befreiten Korsika unter Beweis gestellt hatte.

                          prise de guerre ffi

                          Amené à la Préfecture de police, un canon antichar pris aux Allemands par les FFI – policiers ; certains d’entre eux portent le brassard réglementaire.

                          © Gandner Musée du général Leclerc et de la Libération de Paris/Musée Jean Moulin (Paris Musées)

                          Außenpolitisch betrachtet legt de Gaulle insbesondere Wert darauf, dass die Armeen Frankreichs vor denen der Alliierten in Paris zum Einsatz kommen. Er befürchtet, dass die Amerikaner eine militärische Verwaltung für die besetzten Gebiete einsetzen, wie dies bereits in Italien geschehen war. Im Dezember 1943 erteilt er General Leclerc und der 2. Panzerdivision den Befehl zur Befreiung von Paris und zur Einsetzung einer politischen Führung. Der begeisterte Empfang in Bayeux, der de Gaulle am 14. Juni 1944 seitens der Bevölkerung entgegengebracht wird, sowie die Bestätigung ziviler Behörden erweitert das Spektrum der militärischen Verwaltung für die besetzten Gebiete. Mitte August führen der Durchbruch am Kessel von Falaise und die Landung in der Provence zur späteren Befreiung von Paris durch Eisenhower. Die Priorität lag hierbei auf der Ostfront und der Einkesselung der großen Stadt. Die Versorgung der Bevölkerung war logistisch betrachtet ein großes Problem und man wollte mit allen Mitteln ein “neues Stalingrad” in Paris verhindern.

                          Leclerc examinant le plan de Paris avec son supérieur le général Gerow

                          Leclerc examinant le plan de Paris avec son supérieur le général Gerow, 25 août 1944.

                          © coll. NARA, Musée du général Leclerc et de la Libération de Paris/Musée Jean Moulin (Paris Musées)

                           

                          Der Verlauf des Aufstands (14. Juli bis 18. August 1944)

                          Obwohl die Schlacht um die Normandie bis Mitte August oberste Priorität hat, bleibt auf der deutschen Seite die Stadt Lumière symbolträchtig für Hitler, der General von Choltitz zum Befehlshaber über den Großraum Paris gemacht hatte, mit dem Ziel, die Stadt bis zum letzten Mann zu verteidigen. Die Streitkräfte (20.000 Männer und ca. 20 Panzer) bestehen aus Verwaltungskräften, alten und wenig motivierten Soldaten, jedoch auch aus SS-Kräften, die den Feind terrorisieren. Zeugnis dieser Massaker sind die vielen Massengräber (Kampfhandlungen in Bois de Boulogne, Mont Valérien). Trotz der beschränkten logistischen Mittel setzt die Besatzungsmacht die Deportationen fort: Die letzten Konvois verlassen die Region Paris am 31. Juli, 15. und 17. August, um 3.451 Juden und Widerstandskämpfer in die Konzentrationslager zu deportieren. Der Konsul von Schweden, Raoul Nordling, ist besorgt um die politischen Gefangenen in Paris. Nach harten Verhandlungen mit von Choltitz und der SS gelingt ihm die Befreiung von 2.000 Menschen im Austausch gegen deutsche Gefangene. Mitte Juli kommt in der kommunistischen Partei, der COMAC und dem Pariser Befreiungskomitee, gegründet im Oktober 1943 vom kommunistischen Widerstandskämpfer und Gewerkschaftler André Tollet, der Wunsch auf, am 14. Juli zu Demonstrationen aufzurufen, um damit den Aufstand einzuleiten. Die Spannungen zwischen den Aktivisten und den eher Abwartenden steigen. Auf die Demonstrationen folgen aufständische Streiks, initiiert durch die Bahnarbeiter am 10. August, gefolgt am 15. August von den Polizeikräften sowie am 18. August von den Stadtfunktionären, den Postbeamten und den Sanitätern. Sie alle folgen dem Aufruf von General de Gaulle vom 7. August “Franzosen, steht auf und kämpft [..]” “Alle Arbeiten, die dem Feind nützen könnten, müssen verweigert werden.” Am 18. August geraten die Ereignisse in Paris außer Kontrolle. Trotz dem Rat von Koenig, der von Chaban-Delmas aus London zurückbeordert wurde, um die Aktionen zu beenden, ist der Aufstand in vollem Gange, was auch von Alexandre Parodi bestätigt wird. “Paris war reif für den Großaufstand”. In Paris wird die Befehlskette vereinfacht: Oberst Rol-Tanguy (Kommunist, FTPF), Kommandant der FFI in Ile-de-France und anerkannter Kriegschef, sichert der militärischen Leitung zu, dass sämtliche Kräfte des Widerstands, der FPTF unter Charles Tillon, nationaler Leiter, sowie alle Regierungskräfte, Polizisten, Feuerwehrleute, die Parodi unterstanden, einheitlich und effizient zusammenarbeiten werden.

                          Allgemeine Mobilisierung! (19. August – 23. August 1944)

                          Die spontane Besetzung der Polizeipräfektur am 19. August, ausgeführt von 2.000 Agenten unter der Leitung von Rol-Tanguy führt kurze Zeit später zum allgemeinen Befehl zur Mobilisierung, die von seiner Frau Cécile abgetippt wurde und an die Mission jedes Einzelnen erinnerte: Patrouillen, Besetzung von öffentlichen Gebäuden, Fabriken… und schließlich “den Weg für die siegreichen alliierten Armeen in Richtung Paris freizumachen und sie zu unterstützen”. Das Fehlen von Waffen, um sich gegen die deutschen Angriffe zu wehren, führt zu Verhandlungen über eine Waffenruhe zwischen dem Konsul von Schweden und von Choltitz. Diese gilt zunächst nur für die Polizeipräfektur, später dann jedoch für die gesamte Stadt. Trotz der Unterstützung von Parodi, Chaban-Delmas, Hamon der CPL, der hier die Chance sah, auf die Alliierten zu warten, wird sie von Rol, der COMAC und der CNR abgelehnt, die die Demobilisierung anprangern und hinter der Aktion eine List des Feindes befürchten, um Nachschub in die Normandie transportieren zu können. Die niemals respektierte Waffenruhe wird am 21. gebrochen. Am Sonntag den 20. August drängen Polizei, Widerstandskämpfer und junge Menschen der nationalen Truppen im Namen der provisorischen Regierung in das Rathaus ein. Die Mobilisierung wird fortgesetzt, indem nahezu 500 Barrikaden errichtet werden, ein außergewöhnliches Beispiel in Frankreich im Sommer 1944. Die Bewohner von Paris knüpfen erneut an ihre jahrhundertealte Rolle an. Da die Aufständischen aufgrund der schwierigen Kommunikation mit London und Algier isoliert werden, kehren am 21. August der Rundfunk der französischen Nation sowie das Zeitungswesen aus dem Untergrund zurück, ausgestattet mit den Depeschen der neu gegründeten Französischen Pressestelle, und auch sie treiben die Mobilisierung voran.

                          archives

                          Le général de Gaulle est accueilli par les représentants de l’État installés à la Préfecture de police. (de g. à dr.) Charles Luizet, Achille Peretti, commissaire de police et Alexandre Parodi, ministre des territoires occupés.

                          © Service de la mémoire et des affaires culturelles - SMAC- de la Préfecture de police.

                          Trotz seiner Guerillamethoden ordnet der Generalstab der FFI von seinem Stützpunkt in Denfert-Rochereau die Überwachung der Trinkwasservorräte an, um sämtliche Gefahren zu vermeiden, die es dem Feind erlauben könnten, Wasser zu vergiften, nachdem auch bereits mehrere Orte vermint worden waren: Die Telefonanlagen in der rue des Archives (3e) und Saint-Amand (15e), der Senat, die Brücken in Saint-Cloud, Alexandre III oder Neuilly, der militärische Kreis in Saint-Augustin und auch auf den Ausweichrouten, sowie das Fort Charenton und die Festung Vincennes. Der vom Feind am 23. August in Brand gesteckte Grand Palais gilt als Vergeltungsmaßnahme für den Angriff von Polizei und FFI auf eine deutsche Kolonne, deren Ziel die Zerstörung historischer Bauwerke war. Die deutschen Einheiten und Panzer, die sich daraufhin zurückzogen, dienten weiterhin als temporäre Unterstützung, die die Angst weiter schürrte.

                           

                          Die 2. Panzerdivision im Aufmarsch (23. – 24. August)

                          Mit der Ankündigung des Aufstands am 18. wächst die Sorge von Leclerc, die dann noch größer wird, als die Amerikaner die Stadt einkesseln. Bereits seit Mitte August ist er von Paris besessen und er wendet sich zunächst an General Patton (Leiter der 3. Armee) und dann an de Hodges (1. Armee), während seine Division dem 5. Amerikanischen Armeekorps unter der Befehlsgewalt von General Gerow zugewiesen wird. Ohne auf eine Bestätigung des Befehls zu warten, führt er seine Einheit wieder zusammen und schickt am 21. ein Leichtkommando (Panzer, Radpanzer, Infanterie) unter der Leitung des Freien Frankreich des Tschad und dem Kommando von Guillebon in Richtung Versailles, mit dem Befehl zum Einmarsch in Paris, falls sich der Feind ihnen widersetzen sollte. Die Entsendung von Abgesandten des Widerstands zu den Alliierten und die Beharrlichkeit von de Gaulle, der damit droht, der 2. Panzerdivision den Befehl zum Einmarsch in Paris zu geben, führen dazu, dass Eisenhower die 2. Amerikanische Panzerdivision und die 4. Infanteriedivision unter General Barton in Richtung Paris befiehlt. Den Amerikanern ist viel daran gelegen, Paris zu retten.

                          Trotz des schnellen Voranschreitens am 23. August wird der Erfolg am 24. gebremst, da die 2. Panzerdivision auf die deutsche Verteidigung trifft. Parodi, Chaban-Delmas und Luizet drängen darauf, dass Leclerc mit seiner Division in Paris einmarschiert. Als Antwort schickt Leclerc unter Missachtung der deutschen Flak (deutsche Flugabwehrkanone) eine Piper-Cub (kleines Aufklärungsflugzeug) in Richtung Polizeipräfektur los, um zu verkünden: “Haltet durch, wir kommen”. Am Abend in Antony nimmt seine Anspannung immer mehr zu und er hofft nach wie vor, dass es seinen Truppen gelingen wird, noch am selben Abend in Paris einzutreffen, während der deutsche Nachschub aus Nordfrankreich bereits unterwegs war. Als er einen seiner ersten Weggefährten trifft, Hauptmann Dronne, befiehlt er ihm “Paris klar zu machen”. Um 21.20 Uhr treffen die Panzer und Halftracks “La Nueve”, hauptsächlich besetzt mit spanischen Republikanern, unter stürmischem Beifall auf dem Rathausplatz ein. Die Kirchturmglocken werden geläutet. Kurz darauf, befiehlt der General: “Einmarsch in Paris über die Hauptwege, Vordringen bis ins Herz der Hauptstadt, Einnahme der Brücken […] und direkte Aufforderung an VON CHOLTITZ zur Kapitulation“.

                          “Das befreite Paris” (25. August 1944)

                          Während am 25. August die drei Gruppierungen in Paris einmarschieren, fährt Leclerc gemeinsam mit Chaban-Delmas in seinem “Kommandofahrzeug” über die Porte d'Orléans durch die völlig wild gewordenen Massen bis zum Stützpunkt am Gare Montparnasse. Dort trifft er auf General Gerow, seinen amerikanischen Vorgesetzten, und unterbreitet ihm seinen Schlachtplan. Nachdem er sich mit den Worten “ihr habt hervorragende Arbeit geleistet“ bei den Bahnarbeitern bedankt hat, kehrt er zur Polizeipräfektur und Barton zurück. Im Billardraum des Präfekten, Stützpunkt seines Stellvertreters Oberst Billote, trifft er gegen 15 Uhr auf den mittlerweile verhafteten Choltitz, um die Vereinbarung über die Kapitulation der deutschen Truppen zu unterzeichnen. Unterstützt wird er hierbei von Luizet, Chaban-Delmas, Kriegel-Valrimont der COMAC und von Rol-Tanguy. Der im Kommandofahrzeug von Leclerc zum Generalstab in Montparnasse zurückgebrachte Choltitz unterzeichnet ca. 20 Befehle für die Kapitulation seiner Einheiten, die nach wie vor kämpften. Auf Bitten von Chaban-Delmas und Kriegel-Valrimont akzeptiert Leclerc, dass Rol-Tanguy ein Exemplar der Vereinbarung in der Rolle des “Widerstandskämpfers“ unterzeichnet. Im persönlichen Beisein von von Choltitz setzt Leclerc durch, dass alles Mögliche getan werden musste, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, bis die Hilfe seitens der Alliierten eingetroffen ist. Den Männern von Leclerc gelingt es gemeinsam mit der FFI, die deutsche Verteidigung zu brechen. Die 4. Division hingegen operiert im Osten der Stadt. Am Abend des 25. August folgen weitere Kämpfe in den Vororten.

                          Kurz vor 17 Uhr empfangen Leclerc und Rol den Chef der provisorischen Regierung in einem intakten und befreiten Paris. De Gaulle hatte den Ablauf dieses Tages bereits im Vorfeld festgelegt: “Jede einzelne Seele muss mit dem einheitlichen nationalen Geist getränkt werden, und dennoch muss unverzüglich die Autorität des Staats demonstriert werden“. Leclerc führt dies befehlsgerecht aus. Es bleibt ihm keine Zeit zum Ausruhen. De Gaulle, der bereits am Morgen erbost war über die CNR, die die einzige Autorität für sich beanspruchen wollte, erhebt wegen der Unterschrift von Roi schwere Vorwürfe gegenüber dem Leiter der 2. Panzerdivision. Dennoch anerkennt er die Rolle der FFI und macht Rol-Tanguy am 18. Juni 1945 zum Kameraden der Befreiung.

                          Er nimmt sein Büro im Staatssekretariat des Krieges ein, das er bereits während der letzten Regierungszeit während der 3. Republik nutzte, das sich im Ministerium in der rue Saint-Dominique befand und demonstriert dadurch den Fortbestand des Staates. Obwohl der Krieg noch nicht beendet ist, hat der Präsident der provisorischen Regierung nicht vergessen, dass er gleichzeitig auch Oberbefehlshaber der Armeen ist. Er begibt sich sodann zur Polizeipräfektur, wo er bereits von Vertretern der provisorischen Regierung erwartet wird: Die Präfekten Flouret und Luizet sowie der abgeordnete General Parodi. Er beharrt auf ein sofortiges Treffen mit Luizet im Rathaus, wo bereits Mitglieder der CPL und CNR warteten. Nach Marrane und Bidault, verliest er seine Rede als Regierungschef ohne Amtseinführung. “Gekränktes Paris, zerstörtes Paris, gequältes Paris und dennoch befreites Paris, Paris, das sich selbst befreit hat mit Unterstützung seiner Einwohner und der Armeen Frankreichs.“

                          De Gaulle sur les Champs-Élysées

                          De Gaulle sur les Champs-Élysées (à gauche) Le Troquer Georges Bidault, Alexandre Parodi, Achille Perretti, colonel de Chevigné, (à l’arrière) les généraux Koenig, Leclerc et Juin, (à droite) le FFI Georges Dikson.

                          © Serge de Sazo. Musée du général Leclerc et de la Libération de Paris/Musée Jean Moulin (Paris Musées)

                           

                          Die republikanische Regierung (26. August – 13. Oktober 1944)

                          Er widersetzt sich Bidault, der von ihm verlangt, die Republik auszurufen, indem er auf seiner Meinung beharrt, dass die Republik nie aufgehört hätte zu existieren. Der seit dem 18. Juni 1940 geführte Kampf erfolgt während gleichzeitig die Republik fortgeführt wird. Der Befehl vom 9. August 1944 erinnert an Artikel 1 “Die Regierungsform Frankreichs ist und bleibt eine Republik. Dieses Recht hat nie aufgehört zu bestehen“. Erst der Erfolg des Manifests vom 27. Oktober 1940, erlassen in Brazzaville, bestätigt die Nichtigkeit der Gesetzgebung der Vichy-Regierung. Erst später wird de Gaulle bewusst, dass die CNR und CPL die Absicht hatten, diese Republik mit oder ohne ihn auszurufen.

                          Die Einladung an die Widerstandskämpfer, sich an der Parade am 26. August zu beteiligen, gewünscht von de Gaulle aufgrund einer jahrhundertealten Tradition, sollte nach Triumphen und Siegen die Gemüter beruhigen. Nichts wird dem Zufall überlassen. Der Mann des 18. Juni schreitet das Sonderkommando des Marschregiments des Tschad, Einheiten des Freien Frankreich der 2. Panzerdivision ab, die im Sommer 1940 für Frankreich gekämpft haben. Dann legt der vorübergehende Regierungschef am Grab des unbekannten Soldaten einen Kranz nieder und setzt seinen Triumphzug von der Champs-Élysées bis Notre-Dame fort, indem er das Volk begrüßt und ihnen Sicherheit verspricht. Begleitet wird er von Parodi und Mitgliedern der provisorischen Regierung, Bidault und den Widerstandskämpfern der CNR und der CPL, den Präfekten Luizet und Flouret, den Generälen Leclerc, Koenig, Juin und Chaban-Delmas, Admiral Thierry d'Argenlieu, während er die letzten beiden Kilometer vom Place de l'Etoile bis zum Place de la Concorde unter Beifallsrufen zu Fuß schreitet. Dies ist einer der wenigen Momente der nationalen Einigkeit. Der Mann des 18. Juni war eine Stimme, er bekam ein Gesicht und wurde zum wahrhaften Ritter. Dies ist die triumphale Wiedereinführung in der Hauptstadt des republikanischen Staates.

                          Am 31. August nimmt die provisorische Regierung ihre Arbeit auf. Die Wiederherstellung der Ordnung hat oberste Priorität. Die Parade der beiden amerikanischen Divisionen am 29. ist eine Machtdemonstration, ausgeführt als Antwort auf die Besorgnis, die de Gaulle gegenüber Eisenhower zum Ausdruck gebracht hatte. Am Vorabend unterzeichnet de Gaulle einen Befehl zur Auflösung der Generalstäbe der FFI in den befreiten Regionen. Koenig wird zum Militärgouverneur von Paris ernannt, General Revers (Leiter der ORA) übernimmt die Region Paris und Oberst Rol-Tanguy wird mit der Eingliederung der FFI in die Befreiungsarmee beauftragt. Ende Oktober werden die unter kommunistischer Befehlsgewalt stehenden patriotischen Milizen aufgelöst und de Gaulle setzt die Staatsmacht durch.

                          Nachdem die GPRF von den Alliierten am 23. Oktober 1944 anerkannt waren, gab es keinen Grund mehr, die Legitimität von de Gaulle anzuzweifeln, weder im Inland noch im Ausland. Trotz der Anpassung eines Programms zur wirtschaftlichen Entwicklung durch die Regierung, hält die provisorische beratende Versammlung am 9. November eine feierliche Sitzung im Senat ab, wo sie bis zur Verabschiedung der Verfassung am 21. Oktober 1945 ihren Platz einnimmt. Infolge der Beratung wird das Wahlrecht der Franzosen auf Frauen und Soldaten erweitert. Dieser Beschluss wird erstmals für die Kommunalwahlen im April 1945 umgesetzt und später dann auch für die Kantonswahlen und die Wahl der Legislative im November 1945.

                          Zwischen dem 18. und 30. August (Datum der letzten Kämpfe im Norden von Paris) verloren 5.000 Menschen im Kampf das Leben: 1.800 Gefallene (156 Männer des 2. Panzerbataillons, ca. 1.000 Kämpfer der FFI, darunter 177 Polizisten, ca. 600 Zivilisten und 3.200 Deutsche) sowie 12.800 Gefangene. Die Befreiung von Paris durch deren Einwohner, unterstützt durch die 2. Panzerdivision und die Alliierten, ist ein wichtiger historischer Eckstein, selbst wenn der Krieg dadurch nicht zu Ende war.

                          Autor

                          Christine Levisse-Touzé, Forschungsleiterin in Paris 4, Direktorin des Museums über General Leclerc und die Befreiung von Paris sowie des Museums über Jean Moulin (Museen Paris), Chefkonservatorin

                          Der Schlacht von Norwegen (9. april - 7. juni 1940)

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                          Tag der Opfer rassistischer Verbrechen

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                          Denkmal zu Ehren der Opfer rassistischer und antisemitischer Verfolgungen. Quelle: SGA/DMPA - Jacques Robert
                          Denkmal zu Ehren der Opfer rassistischer und antisemitischer Verfolgungen. Quelle: SGA/DMPA - Jacques Robert

                          Der nationale Tag der Deportation

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                          Eine der Devisen über dem Eingang der Lager heißt 'Arbeit macht frei'. Quelle: Sammlung SGA/DMPA
                          Eine der Devisen über dem Eingang der Lager heißt "Arbeit macht frei". Quelle: Sammlung SGA/DMPA

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                          Un élève / professeur / personnel de l'éducation nationale
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                          La Plaine au Bois

                          Aktie :

                          Quelle: Kommune von Esquelbecq

                          Gedenkstätte 39-45 in Esquelbecq (59)

                          Im Rahmen der Operation Dynamo gelingt es den britischen und französischen Truppen, über das Meer kommend, Dünkirchen zu evakuieren. Mehrere britische Bataillone waren im Sektor von La Plaine au Bois in Position gegangen, um den Vormarsch der deutschen Truppen aufzuhalten. Nach neun Stunden heroischer Kämpfe, bekannt als die Schlacht von Wormhout, mussten die zum Großteil verletzten Briten, denen mittlerweile auch die Munition ausgegangen war, sich dem Feind ergeben. Zu ihrem Leid war ihr Gegner die SS-Truppe der persönlichen Garde des Führers, die unter Missachtung des Genfer Abkommens den Gegner in eine Scheune pferchte und unter Granatfeuer kaltherzig exekutierte. 

                           

                          Quelle: Kommune von Esquelbecq

                           

                          Am 28. Mai 1940 wurden um 17.30 Uhr 80 britische Soldaten sowie 1 französischer Soldat massakriert.
                           
                          13 britische Soldaten überlebten und sie wurden von den Anwohnern versorgt, bis die medizinischen Einsatzkräfte vor Ort waren.

                          Quelle: Kommune von Esquelbecq

                           

                           

                          Dieses Massaker wurde lange Zeit ignoriert. Bis auf diejenigen, hauptsächlich britische Kriegsveteranen, die dieses Massaker überlebt haben und zum Jahrestag der Operation Dynamo an die alten Schauplätze reisen, um von ihren damaligen schrecklichen Erlebnissen zu erzählen. Basierend auf ihren sehr aussagestarken Zeugenberichten verfasste der lokale Hobbyhistoriker Guy Rommelaere sein Buch: „Le massacre oublié“ (*)

                           

                           

                          Quelle: Kommune von Esquelbecq

                           

                           

                          Im Jahr 2000 wird in Folge einer Flurbereinigung der landwirtschaftlichen Fläche der Schauplatz des Massakers zur neuen Nutzfläche. Dies geschah ohne die Berücksichtigung der Wünsche der gewählten Vertreter der drei Gemeinden Esquelbecq, Ledringhem und Wormhout, wo sich die Gräueltaten am 28. Mai 1940 abspielten. Eine französisch-britische Vereinigung betrachtet den Tag mit folgendem Ziel: Rettung, Wertschätzung und Instandsetzung dieses geschichtsträchtigen Ortes. Das Nutzland wurde von der Vereinigung gekauft. Sie errichtete eine Scheune nach dem damaligen Vorbild sowie einen Aussichtspunkt mit Orientierungstafeln, die die tragischen Ereignisse dieses Tages erläutern. Erst kürzlich wurde anlässlich des 70. Jahrestags der Operation Dynamo eine Stele errichtet zum Gedenken an den Frieden und die Freundschaft zwischen den Menschen. 

                           

                           

                          Quelle: Kommune von Esquelbecq

                           

                           

                          (*)Sämtliche Erlöse aus dem Verkauf dieses Buches gehen an die Stiftung. Das Buch ist zum Preis von 20 Euro erhältlich in den Fremdenverkehrsämtern von Esquelbecq und Wormhout.

                           

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                          Informationen

                          Anschrift

                          Office de Tourisme 9, place Alphonse Bergerot – 59470
                          Esquelbecq
                          Tél. : +33 03.28.62.88.57 – Fax: +33 03.28.62.49.57

                          Gebühr

                          Geführte Führungen für Gruppen (2 € pro Person)