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Entstehung und Wandel der Erinnerungspolitik in Frankreich

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Jahrestag des Waffenstillstands am Étoile, 11. November 1923. © Agence Rol/BNF

Nach dem Krieg von 1870, dessen 150. Jahrestag wir kürzlich gedacht haben, entstand die Verpflichtung des Staates, die Kriegsgräber der gefallenen Soldaten zu pflegen. Seitdem hat sich die Gedenkarbeit in ihren Zielen und ihrer Form in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Partnern (öffentliche, private, Verbände) ständig weiterentwickelt.

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1882 stellte Ernest Renan in einem berühmten Vortrag die Frage, was eine Nation ist. Diese Frage, die heute von Historikern wieder aufgegriffen wird, stößt in der Gesellschaft auf Resonanz und verweist auf das komplexe Thema der Identität. Für Renan ist eine Nation „eine Seele, ein geistiges Prinzip", ein „Vermächtnis der Erinnerungen" und ein „Wunsch, in einer Gemeinschaft zu leben" - eine Definition, die üblicherweise derjenigen der germanischen Welt gegenübergestellt wird, die auf Sprache, Religion und Blut beruht. Damit diese Realität jedoch greifbar und verständlich wird, muss sie in einer Gedenkpolitik zum Ausdruck kommen, die den Bürgern Orientierungspunkte und Werte vermittelt. Dabei gründet sich jegliche Gedenkpolitik auf ein ziviles und staatliches Ritual, das „die politische Gemeinschaft krönt und neu begründet" (P. Ory). Dieses Ritual besteht in Frankreich aus dem Gedenken im Sinne von „sich gemeinsam erinnern", das sich zu einer Zeremonie im Sinne von „positiv ehren und zelebrieren" entwickeln kann. Die französische Revolution mit all ihren Akteuren machte daraus ein weltweit einzigartiges Instrument der politischen Bildung, als der erste Titel der Verfassung von 1791 daran erinnerte, dass „öffentliche Feiern die Brüderlichkeit unter den Bürgern pflegen und sie an die Gesetze und das Vaterland binden werden". Seitdem hat dieser Antrieb nie nachgelassen, insbesondere rund um den 14. Juli und die Würdigung großer Persönlichkeiten, wie die aktuellen Debatten über das „Hohe Komitee für Nationalfeiern" zeigen, das 2018 aufgelöst und 2021 durch den „Dienst für historische Jubiläen und Gedenkfeiern" von France Mémoire abgelöst wurde, das dem Institut de France angegliedert ist.

Die Frage wird jedoch komplexer, wenn es um das Kriegsgedenken geht, zumal die Gedenkfeiern zu den Kriegen drei Viertel der 15 nationalen Feier- und Gedenktage in Frankreich ausmachen. Darüber hinaus basiert diese Erinnerungs- und Gedenkpolitik in Frankreich zumindest bis in die 1960er Jahre hinein weitgehend auf der Erinnerung an die deutsch-französischen Konflikte. Wir werden daher versuchen, den Ursprung dieser Besonderheit zu verstehen, die das Kriegsgedenken zu einer staatsbürgerlichen, didaktischen und beispielhaften Praxis machen soll. Anschließend befassen wir uns mit ihrer Entwicklung und ihren Veränderungen im Hinblick auf Europa und die Wandlungen der zeitgenössischen Konflikte.

Einer Niederlage gedenken: Das Paradoxon der Entstehung einer Gedenkpolitik

Alles begann am Tag nach der vernichtenden Niederlage von 1870, dem zweifachen Trauma eines militärischen Versagens und des Zusammenbruchs des kaiserlichen Regimes. Bis zum Wahlsieg der Republikaner im Jahr 1877 schwankte Frankreich zwischen mehreren Regimen, die alle die Frage nach seiner Identität, seinem Gedächtnis und seiner Existenz als Nation aufwarfen. Doch erst in der Republik, die durch die Verfassungsgesetze von 1875 gestärkt wurde, entstand eine Politik des Kriegsgedenkens, die die Nation zusammenhalten und das Land tiefgreifend republikanisieren sollte.

 

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Krieg von 1870. Einweihung eines Denkmals zum Gedenken an die französischen Soldaten unter deutscher Besatzung. Noisseville (Moselle) 1908.
© Maurice-Louis Branger/Roger-Viollet

 

Lange Zeit beschränkte sich das Gedenken an die Konflikte jedoch nur auf die siegreichen Herrscher/Generäle (Ludwig XV. im Fall von Fontenoy oder Desaix im Fall von Marengo), die bei weitem nicht die ganze Nation verkörperten, deren Soldaten systematisch in den Massengräbern vergessen wurden. Dies änderte sich zwar mit der Revolution und dem Mythos von Valmy, der zum Inbegriff der „Nation in Waffen" wurde, doch erst mit dem Zweiten Kaiserreich stellte sich die Frage nach einem Kriegsgedenken.

Seit dem Krimkrieg (1853-1856) wurden nämlich vor allem im Département Landes kleine Kriegerdenkmäler errichtet, um an den kaiserlichen Sieg zu erinnern. Aber erst der Krieg von 1870, ein protoindustrieller Konflikt, der das Land durch die Besetzung, den Verlust der „verlorenen Provinzen" und die hohe Zahl an Opfern - etwa 140.000 - traumatisierte, bewirkte einen Wandel in der Kriegserinnerung. Denn der Konflikt betraf die gesamte Nation und nicht nur die Wehrpflichtigen mit dem Phänomen der Freischärler und Freiwilligen. Wie kann man also gemeinsam einer Niederlage „gedenken" und „Nation sein"? Nach einigen Vorstößen wie dem Gräbergesetz von 1873 beschloss die Dritte Republik, die Erinnerung an diesen Krieg zu instrumentalisieren, um das Land zu republikanisieren. Zu diesem Zweck schuf sie ein bürgerliches Ritual mit seinen Beauftragten (die Kriegervereine, die Liga der Patrioten, der Staat, die Lehrer, die Schulbataillone von Paul Bert), seinen Tempeln (die Kriegerdenkmäler, die Statuen), seinen Sängern (Victor Hugo, Paul Déroulède) und seiner Liturgie (die Einweihung von Denkmälern, auch am 14. Juli, die Reden und Revuen, die Programme und Feste der Schlachten oder der Regimenter), um diese Revanche zu verkörpern, die nur sie selbst vollziehen kann. Durch die Verknüpfung von Revanche, Opfergedenken, Heldentum, Vaterlandsliebe und Republik will sich das Regime durchsetzen und gleichzeitig einen tugendhaften und mobilisierenden Nationalroman entwerfen.

Das Land wurde daher mit Départements- und Regimentsdenkmälern übersät, die den anonymen Kämpfern gewidmet waren, die keine Erkennungsmarke hatten. Außergewöhnlich war auch, dass sich die Bevölkerung um eine Niederlage herum zusammenschloss, die zwangsläufig ruhmreich war (siehe die Schulgeschichtsbücher von Lavisse und das Gemälde mit dem Haus der letzten Patrone) und das in der Zukunft anstehende Opfer rechtfertigte, während die Republik behauptete, sie sei als einzige in der Lage, die verlorenen Provinzen zurückzuerobern.

So wurde jede Einweihung eines Denkmals im Jahr 1870 zu einer staatsbürgerlichen Lektion, bei der man lernte, dass „für das Vaterland zu sterben das mildeste Schicksal ist" und dass nur die Einheit um das Regime herum die mythische Revanche ermöglichen wird. An den Schulen (Lehrpläne, Ethikunterricht, „patriotische Diktate"), im Staat (Reden, Auszeichnungen) und in der Gesellschaft wurde das Thema immer wieder aufgegriffen: In Kinderspielen (dem „Jeu d'assaut"), bei Veteranenverbänden („Patriote", „Vercingétorix"), dem 1887 gegründeten Souvenir français, in der nationalistischen Presse (Le Gaulois), in Revanchegesängen (Le clairon von Déroulède), mit der 1911 geschaffenen Medaille von 1870 und in der Populärkultur (Lieder von Villemer, Bilder von Épinal). Es entstand eine Gedenkpraxis rund um die Einweihung von Denkmälern und Regimentsfeiern, die immer mehr Menschen in ihren Bann zog. Das Ritual mit offiziellen Veranstaltungen am Vormittag, Hymnen aus der Zeit der Revolution (La Marseillaise, dem Chant du départ), der Beteiligung der Kirche, Trompetensignalen, offiziellen Reden und Banketten war gut durchorganisiert. Am Nachmittag folgten dann die Umzüge der Vereine, Kranzniederlegungen am Denkmal, Paraden und Revuen, sogar Feuerwerke mit Hintergrundbeleuchtung, zuweilen mit Spielen und immer mit Trikolore-Flaggen. Was die Denkmäler betrifft, so wurde mit ihnen eine Symbolik und Archetypen (die „Moblots", die trauernde Mutter, das Kind/die Zukunft, der zertretene kaiserliche Adler, die Waffen) geschaffen, die die Symbolik und Archetypen der nachfolgenden Konflikte ankündigten. Wie sagte ein General aus Marseille bei der Einweihung des Denkmals der Revanche im Jahr 1900? „Ihr werdet eure Kinder wie auf einer Pilgerfahrt vor dieses Meisterwerk geleiten. […] So bereitet man die jungen Menschen […] auf die Sternstunde" der staatsbürgerlichen und patriotischen Rückeroberung vor. Der Krieg und die Hingabe der Poilus bewiesen dann auf absurde Weise die Stärke dieses patriotischen Gefühls, das durch die Gedenkfeiern und die republikanische Gedenkpolitik geprägt wurde.

Der Impuls des 11. Novembers: Die Konsolidierung eines bedeutungsvollen Erinnerungsrituals

Mit dem Sieg von 1918 wurden die Karten der Gedenkpolitik im Allgemeinen und der Kriegspolitik im Besonderen neu gemischt. Der Gedenkkalender verdeutlicht die Prägnanz des letzten Konflikts, denn noch vor der Einführung des 11. Novembers richtete die Republik 1920 eine zweite offizielle Feier neben dem 14. Juli ein, den „nationalen Feiertag der Jeanne d'Arc und des Patriotismus", der damals durch Jules Michelets „Heilige des Vaterlandes" verkörpert wurde und die Aufgabe hatte, Staat und Kirche in einer glorreichen Erinnerung an die Kämpferin miteinander zu versöhnen.

 

Soldat inconnu 11 nov 1920
Der Sarg des Unbekannten Soldaten, der während der Feierlichkeiten am 11. November 1920 in Paris auf eine 155er Kanone unter dem Triumphbogen gehievt wurde.
© Excelsior-L’Équipe/Roger-Viollet

 

Denn der Krieg und der Sieg werden zur zwanghaften Erinnerung eines weithin ausgebluteten Landes, in dem ein Fünftel der Soldaten gefallen oder vermisst sind und ein Viertel des Jahrgangs 1914 im Kampf ums Leben kam. Im Parlament verkündete Clemenceau den Sieg wie folgt: „Ihnen (unseren Toten) sei Dank: Weder sie noch ihre Familien werden vergessen werden, und wenn es in meiner Macht steht, muss ihnen zu Ehren in der Französischen Republik ein Gedenktag eingeführt werden". In den vier Nachkriegsjahren entzweite sich Frankreich dann an der Frage, welches Datum als Gedenktag für 1914-1918 gelten sollte, jedoch nicht ohne die notwendigen Instrumente zur Pflege eines spezifischen Kriegsgedenkens aufzubauen.

Die ersten Vertreter des Kriegsgedenkens waren die Veteranenverbände, die an die Stelle der Verbände von 1870 traten. Sie entstanden sehr früh, bereits 1915 inmitten des Konflikts, mit der Association générale des mutilés de la guerre (Allgemeiner Verband der Kriegsversehrten), bevor sie im ganzen Land auftauchten und 1917 in Paris einen Kongress abhielten. Sie umfassten alle sozialen Schichten, Regionen, Religionen und politischen Farben (kommunistische ARAC gegen rechtsgerichtete UNC), waren als gemeinnützig anerkannt und vereinten in den 1920er Jahren etwa drei Millionen Menschen. Sie waren die ersten, die das Gedenken an den Großen Krieg aufrechterhielten und wurden zu einer starken Interessensvertretung, die auf die Einführung eines nationalen Feiertags drängte, der nüchtern das Opfer und das Andenken aller Soldaten ehrt, die vielfach als „Kameraden" bezeichnet wurden. Dies ist nicht ganz im Sinne des Staates, der die notwendigen Anreize schafft, die für einen positiveren, demonstrativeren und klassischeren Kult zum Gedenken an einen Sieg notwendig sind. Zu diesem Zweck vergibt er das Kriegskreuz (1915), die neue Bezeichnung „für Frankreich gestorben" (1915 und 1916), die Kriegsgedenkmedaille (1920) und natürlich die Flamme des unbekannten Soldaten am Triumphbogen (1920 und 1923). All diese Elemente vermitteln den Begriff eines Gedenkens, bei dem klassischerweise die triumphierende Republik ebenso oder sogar noch mehr gepriesen wird als die geopferten Soldaten.

Die entsprechend mit Medaillen ausgezeichneten Vereine versammelten sich vor den 36.000 kommunalen Kriegerdenkmälern, die nun mit den Namen der Verstorbenen versehen waren und das Land innerhalb von fünf Jahren flächendeckend überzogen; deren Anzahl ist viermal so hoch, wenn man die religiösen, administrativen, beruflichen, schulischen oder Vereinsdenkmäler hinzurechnet. Sie übernahmen einen Teil der symbolischen Codes von 1870, wobei der Poilu den Moblot ersetzte und bei denen häufig der gallische Hahn, der besiegte Adler, die Marianne und das weinende Kind und/oder die weinende Mutter (Denkmal des ehemaligen Krankenträgers Dardé in Lodève) dargestellt wurden und bei denen auch keine Rachegefühle mehr im Vordergrund standen. Sie sind „unseren Kindern, die für Frankreich gestorben sind" gewidmet und oft auch tragisch (das Denkmal Les fantômes von Landowski am Butte Chalmont) und werden zum alltäglichen, für alle sichtbaren Kriegsgedenken. Sie wurden bei ihren Einweihungsfeiern gewürdigt und sind das Epizentrum des 11. Novembers, des im Oktober 1922 geschaffenen „Sieges- und Friedensfestes", das als Feiertag und arbeitsfreier Tag begangen wird.

 

Etoile 1923

Jahrestag des Waffenstillstands am Étoile, 11. November 1923. © Agence Rol/BNF

 

Um sie herum entstand das bürgerliche Ritual der Schweigeminute, einer „verweltlichten Form des Gebets" (A. Prost), mit Paraden von Vereinen und Veteranen, dem Totengeläut, dem Totenruf, Messen in einer ansonsten laizistischen Republik, Schulkindern, die die Absurdität des Krieges begreifen sollten, sowie mit Blumenkränzen und bürgerlichen Liedern. Sie erzwangen von den Kämpfern die Vision eines nüchternen Gedenkens an Opfer und Schmerz, eine echte staatsbürgerliche Lektion, die dazu diente, den Krieg zu verabscheuen. Die staatliche und republikanische Vision einer glorreichen und pompöseren Siegesfeier wich daraufhin einer stillen Andacht, ohne weitere Reden als die der Soldaten, die sich „für das Fest des Friedens und nicht des Krieges" einsetzen (Journal des Mutilés von 1922). Es ging jetzt nicht mehr um Revanche, sondern darum, das Kriegsgedenken zu einem Instrument zur Erhaltung des Friedens und der Versöhnung, auch mit den Deutschen, zu machen. Ganz Frankreich war Teil dieses neuen Gedenkkults, auch wenn die einzelnen politischen Fraktionen die leidvollen Botschaften der ehemaligen Poilus gemäß ihrer Ideologie interpretierten.

Dieses Gedenken wurde in den Schulen in großem Umfang verbreitet, wo der 11. November ebenso gefeiert wurde wie der 14. Juli der Preisverleihung, insbesondere von Lehrern, die einen hohen Preis für den Krieg bezahlt hatten und sich dem Pazifismus zuwendeten. Diese leidvolle Erinnerung, die die gesamte Gesellschaft überrollte, wurde sowohl durch das Fest der Jeanne d'Arc , als auch durch lokale Kriegsfeiern (Schwur von Verdun, 1936) vermittelt, bei denen Witwen und Waisen mit der Aufgabe betraut waren, die Liste der im Kampf Gefallenen zu erweitern. Selbst am 14. Juli standen die Verbände der Kämpfer und Versehrten an vorderster Stelle, um zu zeigen, dass der Krieg ein Horror ist und dass 14-18 der „Der des Der" (letzte aller Kriege) war.

Dies änderte sich mit dem Zweiten Weltkrieg, dessen Geschichte schon bald die Gedenken an den Krieg erdrückte, bevor der Wandel der Konflikte und die Machtübernahme durch neue Generationen das französische Kriegsgedenken veränderten.

Wandel und Erweiterung des Kriegsgedenkens nach 1945

Bereits kurz nach dem Ende der Besatzungszeit, als die Generation der ehemaligen Poilus noch zahlenmäßig stark vertreten war, stellte sich die Frage nach einem neuen Kriegsgedenken. Allerdings wurde deren Erinnerung schnell von der Erinnerung an den schrecklichen Zweiten Weltkrieg überschattet, einem Konflikt, der mit einer Politik des Völkermords einherging und in dem sich das Bild des Widerstandskämpfers auf Kosten des besiegten Soldaten von 1940 durchsetzte.

Das französische Kriegsgedenken wurde in dieser Zeit durch neue Feiern erweitert, die von neuen Vereinen begangen wurden. Innerhalb von acht Jahren, von 1946 bis 1954, wurde der Erinnerungskult um die siegreichen Widerstandskämpfer durch imposante Denkmäler (Chasseneuil-sur-Bonnieure 1945, Wasserfall im Bois de Boulogne 1946, Vassieux-en-Vercors 1948) und Straßennamen (Rue Jean Moulin, Rue de Gaulle aber auch Rue Casanova oder Rue Albrecht) bekräftigt.

 

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Zeremonie am 18. Juni 1960, Einweihung des Denkmals für das kämpfende Frankreich, Mont-Valérien. © Musée de l’Ordre de la Libération

 

Inmitten des Resistenzialismus wurde der Gedanke durch die ausgesprochen gaullistische Zeremonie auf dem Mont Valérien (1960) untermauert und wurde zur positiven Erinnerung an den Krieg, zum Nachteil der Soldaten von 40, denen Denkmäler vorenthalten wurden und die einfach auf den Gebäuden von 1914-18 hinzugefügt wurden. Unterstützt durch Schulprogramme, die ausschließlich den Widerstand beleuchten und Vichy ausklammern, durch zahlreiche Vereine (FNDIRP - Fédération nationale des Déportés Internés Patriotes) und ihre Presse (Le Patriote résistant), nicht zu vergessen die Medaillenträger (Médaille de la Résistance Française, 1943), 1943), wurde dieses neue Gedenken durch die „Siegesfeier" am 8. Mai (Gesetze von 1946, 1951,1953 und 1981), aber auch durch den „Nationalen Gedenktag für die Opfer und Helden der Deportation" (1954) ergänzt, der die Erinnerung an den Widerstand um die Erinnerung an die Konzentrationslager erweiterte.

Angesichts dieser Erinnerungsflut verblasste die Erinnerung an den Großen Krieg trotz des 11. Novembers, zumal sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts andere Konflikte und Erinnerungen, insbesondere an Niederlagen, mit diesem Kriegsgedenken überschnitten. Es ging dabei um die Erinnerung an die verlorenen Kolonialkriege (Nationaler Indochina-Tag 2005 und Tag des Algerienkriegs - und des Maghreb - mit dem Denkmal am Quai Branly 2002 und den Gesetzen von 2003 und 2012) sowie vor allem um die Erinnerung an den jüdischen Völkermord nach der Vél d’Hiv-Rede von Präsident Chirac 1995 (Gesetz von 2000 über die Erinnerung an die Beteiligung Vichys an der Shoah, deren historiografische Aufarbeitung gerade wieder in vollem Gange ist). Trotzdem verherrlicht Frankreich weiterhin ausschließlich das Gedenken an die Widerstandskämpfer („Nationaler Tag des 18. Juni" 2006 und „Tag des Widerstands" 2014) in einem Maße, dass die Menschen vom Juni 1940 weiterhin vergessen werden, wenn man von Helden wie de Gaulle absieht, und dies trotz der Anwesenheit von Präsident Macron in Montcornet im Jahr 2020.

 

17 mai 2020, Aisne

Zeremonie zum Gedenken an die Kämpfe von Montcornet und den Westfeldzug. Dizy-le-Gros und La-Ville-aux-Bois-les-Dizy, 17. Mai 2020, Aisne.
© Soazig de la Moissonniere/Présidence de la République

 

Heute ist die Frage des Kriegsgedenkens jedoch noch komplexer. Denn seit der Aussetzung des Nationaldienstes im Jahr 1996 hat der durch die Wehrpflicht vereinheitlichte Begriff des „Volkes in Waffen" ausgedient, wohingegen sich die Art der Konflikte und der internationale Kontext mit der Rolle der Vereinten Nationen verändern. Von daher kann das französische Kriegsgedenken nur im multilateralen und europäischen Rahmen verstanden werden, wie die Reform des 11. Novembers im Jahr 2012 zeigt. Der neue Jahrestag des Waffenstillstands wird zum Gedenken an „alle für Frankreich Gefallenen" in der Vergangenheit, der Gegenwart und sogar der Zukunft und untergräbt damit die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg so dass die Poilus nun eher als Opfer denn als handelnde Helden gesehen werden, als Brüder ihrer deutschen Kameraden, die denselben Schrecken ausgesetzt waren. Er beschleunigt vor allem die Entstehung des Gedenkens an die OPEX (Auslandseinsätze), die einzigen aktuellen Kriege, die von Frankreich mit einer Berufsarmee und nicht mehr mit bewaffneten Bürgern geführt werden, manchmal unter UN- oder EU-Kommando, während der 8. Mai in Frage gestellt wurde (von de Gaulle, dann Giscard, bevor Mitterrand ihn 1981 wieder als Feiertag einführte). So wurde ein Denkmal für die in den Auslandseinsätzen für Frankreich Gefallenen errichtet (2019, Paris), um die neuen „Waffengenerationen" zu ehren und ein neues Kriegsgedenken zu begründen, einschließlich des 11. Novembers, bei dem die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern, darunter Deutschland, von entscheidender Bedeutung ist und die Art der nationalen und erinnerungspolitischen Überlegungen Frankreichs verändert.

 

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Einweihung des Denkmals für die Gefallenen der Auslandseinsätze durch den Präsidenten der Republik, Parc André Citroën, Paris, 11. November 2019.
© Philippe Servent/Présidence de la République

 

In Frankreich beruht die Gedenkpolitik zwar weitgehend auf dem Gedenken an Konflikte, sie ist aber nach wie vor eine staatsbürgerliche Bildungsmaßnahme, mit dem Ziel, „eine nationale Identität zu schaffen". Vom Staat angeregt und an assoziative, schulische und phaleristische Gedenkunternehmen angelehnt, hat sie sich seit ihrer Entstehung nach der Niederlage von 1870, deren Gedenken das Land hinter der Republik zusammenschweißt, stark weiterentwickelt und fast ihren eigentlichen Wesenskern verändert. Das Gedenkritual wird zwar weitgehend durch die Erinnerung an den Großen Krieg festgelegt, der durch das Leiden der Poilus/Helden geprägt ist, doch seine Darstellung (Bedeutung des Zweiten Weltkriegs) und Zielsetzungen sind heute vielfältig, da sich die Kriege ebenso verändert haben (Kolonialkriege, Erinnerung an die Shoah, Ende der Wehrpflicht) wie der Standpunkt gegenüber den Soldaten (die Poilus als einzige Opfer, Rolle der Widerstandskämpfer, neue Gremien und der Blick auf Vichy). Das gegenwärtige französische Kriegsgedenken ist also komplexer geworden und kann nun nicht mehr ohne die Europäische Union stattfinden, in der die Beziehung zu Deutschland von grundlegender Bedeutung ist. Auch heute noch ist das Gedenken eine staatsbürgerliche Aufgabe, die eine Nation in ihren Strukturen prägt, und die sich heute dem Zusammenschluss von Demokratien und dem Frieden in einer immer bedrohlicheren Welt verpflichtet fühlt.

 

Rémi Dalisson - Professor (Zeitgeschichte) an der Universität Rouen